Als die Trauben vor fünf Jahren eingebracht wurden, war der Jubel groß: vollreifes Lesegut, gesunde Trauben, überdurchschnittliche Menge. Mit fünf von fünf Sternen haben die Experten dem Jahrgang einige Monate später die höchst mögliche Wertung gegeben. Eine entsprechende Kachel wurde am Uhrenturm des Palazzo Civico im Zentrum von Montalcino angebracht. Seitdem kann jeder Einwohner und jeder Tourist sich von der Güte des Jahrgangs überzeugen – der vermuteten Güte.
Doch schon damals dämmerte einigen Produzenten, dass die Bewertung des Jahrgangs 2007 wohl ein wenig zu euphorisch ausgefallen sei. Denn Montalcino ist kein homogenes Anbaugebiet. Es gibt kühlere und wärmere Ecken. In den kühlen Jahren kommt der beste Brunello logischerweise aus den warmen Südwestlagen, in den wärmeren Jahren aus den kühlen Nordostlagen. Und 2007 war ein warmes Jahr. Viele Trauben waren, als sie gelesen wurden, durch die Hitze im Zustand der Überreife. Durch die Trockenheit im Juli hatte sich der Saft konzentriert. Die Zuckergehalte schnellten in die Höhe.
Die Amerikaner sagen „sexy“, die Deutschen „lecker“
Und so schmecken viele Weine heute denn auch: Sie weisen Noten von Trockenfrüchten statt von frischen Früchten auf, schmecken kompottig, haben einen spürbaren Alkoholüberhang, sind leicht likörfruchtig. Im jungen Stadium, also jetzt, besitzen sie noch Biss und Frische. Die Likörnoten lauern nur im Hintergrund. Es dominiert die Süße der Frucht. Daher sind die Kommentare jener Kritiker, die einen Wein nach dem Ist-Zustand bewerten, bisher meist positiv ausgefallen. Verständlich: Denn die Weine sind, so bei der Vinifizierung keine größeren Fehler gemacht wurden, durchaus attraktiv. Sie sind zugänglich, duftig und gleichzeitig vollmundig. „Sexy“ sagen die Amerikaner. Die Deutschen sagen „lecker“.
Ich habe 67 Brunellos des Jahrgangs 2007 Mitte Februar in Montalcino verkostet – offen, nicht blind. Ein hartes Stück Arbeit! Die Weine einiger renommierter Güter wie Biondi-Santi, Case Basse, Pieve Restituta, Pian dell’Orino, Salicutti, Altesino waren nicht verfügbar. Dafür habe ich noch rund 30 Brunello di Montalcino Riserve des Jahrgangs 2006 probiert, die jetzt – ein Jahr später als die Basisweine – in den Verkauf kommen. Darüber mehr in den nächsten Wochen auf weinkenner.de. Und ich habe auch ein wenig 2010 Rosso di Montalcino probiert, den zweiten Wein, der ebenfalls reinsortig aus Sangiovese-Trauben gewonnen, nur schon nach einem Jahr freigegeben wird. Ihn kann ich wärmstens zum Kauf empfehlen. Denn im Gegensatz zum 2007er hat der Jahrgang 2010 die fünf Sterne, die die Kachel am Uhrenturm von Montalcino zieren, ehrlich verdient.
Der 2007er wird seinen Höhepunkt früh erreichen
Sei’s drum: Den Restaurants, die weder Zeit noch Platz haben, um Weine länger zu lagern, kommt so ein Jahrgang wie der 2007er sehr entgegen. Er verlangt keine großen Erklärungen gegenüber dem Gast. Er erklärt sich meist selbst. Private Weinliebhaber hingegen sollten wissen, dass sie diesen Jahrgang, wenn sie ihn genießen wollen, nicht lange im Keller nachreifen lassen dürfen. Er wird seinen Höhepunkt früh erreichen.
Schon jetzt fällt auf, dass die meisten 2007er Brunello di Montalcino überraschend weit entwickelt sind. Für den Kunden zunächst ein Vorteil: Die Weine verströmen, kaum dass sie im Glas sind, einen tiefen Beerenduft, zeigen den charakteristischen Teerstich, charmieren mit verführerischer Süße. Der leichte Alkoholüberhang ist derzeit nur für jene Koster spürbar, die genau hinschmecken. In zwei, drei Jahren, wenn die erste Frische verflogen ist, wird sich der Alkohol jedoch als bitterer Nachgeschmack bemerkbar machen. Die jetzt noch schöne Beerenfrucht wir dann zu dicker Likörfrucht mutieren. Das duftige Bouquet wird erste Anzeichen von Unfrische aufweisen. Das, was einen großen Brunello, etwa die 2006er und die 2004er, auszeichnet, dass sie nämlich auch nach zehn oder 15 Jahren noch frisch sind, fehlt den meisten 2007ern. Sie werden rasch welken. Nicht wenige sind jetzt schon unfrisch in der Nase.
So früh wie nie gelesen
Nur in 2000 wurde ähnlich früh gelesen wie in 2007: nämlich um den 10. September herum. Normal wird die relativ spät reifende Sangiovese-Traube (aus der der Brunello di Montalcino zu hundert Prozent gekeltert ist) erst ab 20. September herum, nicht selten auch erst Anfang Oktober geerntet. Selbst im heißen Jahr 1997 begann die Lese erst Mitte September – und die Weine dieses Jahrgangs, der in der Presse damals völlig überschätzt wurde (Parker: „Kaufen Sie jede Flasche, die Sie kriegen können“), sind heute meist nur noch matte, welke Tröpfchen.
Ein ähnliches Schicksal wird auch den 2007ern blühen – aber nicht allen. Denn es gibt in 2007 durchaus einige gelungene Weine. Sie kommen meistens aus dem kühleren Norden und Nordosten des Anbaugebiets: der Gegend um Montalcino sowie zwischen Montalcino und Torrenieri. Auch um Castelnuovo dell’Abate herum sind einige begeisternde Weine geerntet worden. Sie sind reich, ohne überladen zu sein, und kompensieren den Alkoholgehalt mit entsprechend hohen Extrakten. Ihnen hohe Benotungen zu geben, halte ich auch angesichts der Probleme des Jahrgangs für gerechtfertigt.
Übrigens: Die Preise für den Brunello di Montalcino schwanken zwischen 25 und 90 Euro. Durch Qualität sind diese Preise nicht immer gedeckt.