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Zwei stille Könige des Châteauneuf-du-Pape

Das Schlimmste ist, wenn man zu Laurent Charvin sagt, er mache einen guten Wein. „Ich bin kein Weinmacher“, giftet er dann zurück. „Weinmacher sind Leute, die meinen, dass ein guter Wein in erster Linie im Keller entsteht. Sie glauben an die Technik und an die Fähigkeit, die Methoden, die sie bereitstellt, wie ein Koch oder ein Mechaniker anzuwenden. So bin ich nicht, und Wein funktioniert auch nicht so.“

Eigentlich ist Gesprächigkeit kein hervorstechendes Merkmal des 42jährigen Winzers im Nordwesten von Châteauneuf-du-Pape mit angrenzenden Côtes-du-Rhône-Lagen. Er schaut sich denn auch kurz um, so als wolle er prüfen, ob das Gesagte auch stimmt – und schweigt dann wieder. Aber nur kurz. Denn es fehlt noch der zweite Teil seiner Botschaft: „Wein entsteht im Weinberg. Im Keller kann man ihn nicht verbessern, höchstens verschlechtern. Mein Ziel ist es, das Potenzial der Trauben, das ihnen Boden, Wetter, Rebsorten und Weinbergsarbeit mitgeben, so genau und authentisch herauszuarbeiten wie möglich.“

Fast die gleichen Worte höre ich eine Stunde später von Philippe Bravay, 43, Besitzer der Domaine de Ferrand, die nur einen Kilometer von der Domaine Charvin seines Freundes Laurent entfernt liegt. Auch er besteht darauf, dass in allererster Linie der Weinberg sprechen muss, wenn es um Qualität geht, nicht die Kellertechnik. Allerdings giftet er nicht, sondern trägt seine Botschaft eher mit entwaffnender Freundlichkeit vor.

Wenn man sich heute in Châteauneuf-du-Pape nach Aufsteigern in die Spitzengruppe der Renommiergüter wie Rayas, Beaucastel, Clos des Papes und Marcoux umhört, werden die Domaine Charvin und die Domaine de Ferrand, wie das Weingut von Philippe Bravay offiziell heißt, immer häufiger genannt – zusammen mit Jean-Paul Daumen von der Domaine de la Vieille Julienne. Und wenn man die Bewertungen der Jahrgänge seit 1998 Revue passieren lässt, wird schnell klar, dass sie in den letzten Jahren ganz oben angekommen sind. Der 2007er Châteauneuf-du-Pape von Charvin wurde vom amerikanischen Wine Spectator mit 95 Punkten, Bravays 2007er von Parker sogar mit 98+ bedacht.

Beide, Charvin und Bravay, sind sehr traditionelle und äußerst bodenständige Winzer. Neue Erkenntnisse der önologischen Forschung prallen an ihnen ab. Sie verlassen sich auf ihr Erfahrungswissen. Die Öffentlichkeit meiden sie tunlichst. Bravay hat noch nicht einmal eine Website, die von Charvin ist völlig veraltet. Und beider Domaines sind völlig unspektakulär und eher kleinbäuerlichen Zuschnitts. Wer sie finden will, muss genau hinschauen. Immerhin hat Bravay inzwischen ein kleines weißes Holzschild aufgestellt, das zur Domaine Bravy führt. Vorher stand der Name nur auf einen Stein am Straßenrand, kaum sichtbar mit roter Farbe gepinselt.

Auch ihre Preispolitik ist äußerst konservativ. Beide erzeugen nur klassischen Châteauneuf-du-Pape, keine Sondercuvées, keine Selektionen Alter Reben, keine Lagenweine. Entsprechend moderat sind ihre Preise. Mit den auf schnellen Ruhm bedachten Weingütern des Anbaugebiets verbindet sie nichts. Deren saftige Preiserhöhungen haben Charvin und Bravay nicht mitgemacht. Besuche zwecks Weineinkaufs lohnen sich dennoch nicht. Beider Produktion ist lange vor der Freigabe der Weine ausverkauft.

Die zwei Winzer sind seit ihrer Kindheit miteinander befreundet. Sie waren Nachbarskinder in Maucoil und Les Grès, zwei stillen Vororten des berühmten Weinorts Châteauneuf-du-Pape.  Die steinigen Weinfelder mit ihren geduckten, alten Grenache-Stöcken, die im Winter fast menschlich wirken, waren ihr Abenteuerspielplatz. Nach der Schule trennten sich ihre Wege, obwohl beide das Winzerhandwerk lernten. Charvin erhielt seine Ausbildung in Beaune im Burgund, und manche meinen, er habe dort sein Faible für Frische, klare Frucht und Eleganz ausgebildet. Bravay ging nach Lyon und nach Orange. An der dortigen Weinbauschule arbeitete er zunächst auch nach dem Ende seiner Ausbildung weiter, bevor er in das Weingut seiner Eltern einstieg – wie übrigens auch Charvin.

Danach entwickeln Laurent und Philippe wieder auffällige Gemeinsamkeiten. Beide entschlossen sich, ihre Trauben selbst zu verarbeiten, anstatt sie – wie ihre Eltern es getan hatten – an Händler zu verkaufen. Sie wählten den steinigen, erhebliche Investitionen erfordernden Weg zum Selbstabfüller.

Laurent Charvin weiß also sehr genau, was er meint, wenn er der Technik gegenüber der Weinbergsarbeit nur einen minderen Status einräumt. Und das bedeutet etwas. Denn er ist ein Tüftler, einer, zu dessen Hobbys es gehört, seine Maschinen und Geräte möglichst selbst zu reparieren, wenn ihnen etwas fehlt.

Charvin und Bravay verfielen der Grenache, der Haupt-Rebsorte im Anbaugebiet von Châteauneuf-du-Pape, obwohl sie damals keineswegs so en vogue war wie heute. Vielmehr wurde sie mit überbordendem Alkohol und Weinen ohne scharfes Profil assoziiert. Auf manchen Châteauneuf-Gütern war sie deswegen ins Hintertreffen geraten. Man zog ihr die aus dem Norden kommende, ebenso farbstarke wie würzige Syrah und den tanninreichen Mourvèdre vor. Was wirklich in der Grenache steckt, demonstrierten damals nur wenige Weingüter – am eindruckvollsten der 1997 verstorbene Jacques Reynaud mit seinem Château Rayas. Aus teilweise uralten Rebstöcken produzierte er Weine von geschliffener Frucht und freigiebiger Fülle, die mit Nuanciertheit und Eleganz aufwarteten und zum Allerfeinsten gehörten, was man in der Weinwelt finden konnte. Der seine Begeisterung für große Bordeaux gewiss nicht versteckende Weinkritiker Robert Parker erklärte einmal, einen 1990er Château Rayas höchstens für einen 1921er, 1929er, 1947er oder 1961er Petrus herzugeben.

Mit Jacques Reynaud will sich weder Bravay noch Charvin vergleichen. Aber es ist auffällig, wie stark die Grenache-Traube in ihren Châteauneuf-du-Pape dominiert: mit 95 Prozent bei Bravay, mit 85 Prozent bei Charvin. „Königin der Reben“ nennt sie Letzterer. Dabei kommt beider Grenache von sehr alten Rebstöcken. Bei Bravay hat mehr als die Hälfte ein Alter zwischen 80 und 105 Jahren. Charvins Reben sind um die 85 Jahre alt. So gering wie die Erträge, so hoch ist die Konzentration des Saftes, den sie von diesen Reben erhalten.

Ganz wichtig ist es Charvin und Bravay, Frische, Harmonie und Eleganz zu erhalten. Dabei hilft ihnen nicht Kellertechnik, sondern nur die Natur. Konkret: die mageren sandig-lehmigen Böden am nördlichen Rand des Quartiers Maucoil und im anschließenden Quartier Le Grès – also da, wo Philippe und Laurent als Kinder gespielt hatten. Diese Böden sind nicht mit dicken, „Rollkiesel“ genannten Steinen bedeckt, welche als typisch für das Anbaugebiet von Châteauneuf-du-Pape und als beste Böden gelten. Charvins und Bravays Böden galten lange Zeit als zu kühl für einen guten Châteauneuf, weshalb die „Rollkiesel“-Winzer immer ein wenig verächtlich auf die Sand-und-Lehm-Winzer herabschauten.  Außerdem machen diese Böden viel Arbeit. Drei- bis viermal im Jahr müssen sie zur Auflockerung und besseren Drainage umgepflügt werden, was bei den nicht an Drahtrahmen gezogenen alten Grenache-Stöcken extreme Aufmerksamkeit erfordert.

Dass sich der Aufwand lohnt, zeigen die Weine der beiden stillen Könige von Châteauneuf-du-Pape geradezu exemplarisch: Es sind dichte, bis in die Fasern durchgearbeitete Weine von höchster Trinkeleganz. Schade nur, dass beider Produktion wegen der geringen Betriebsgrößen – 8 Hektar Châteauneuf-du-Pape bei Charvin, 6 Hektar bei Bravay – immer rasch ausreserviert sind. Doch auch ihre einfachen Côtes-du-Rhône bieten allerhöchstes Trinkvergnügen.

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Autor

Jens Priewe
Jens Priewe
Jens Priewe hat viele Jahre als Politik- und Wirtschaftsjournalist gearbeitet, bevor er auf das Thema Wein umsattelte. Er schreibt Kolumnen für den Feinschmecker und für das schweizerische Weinmagazin Merum. Für den Weinkenner, dessen Gesellschafter er ist, hat er seit der Gründung über 200 Artikel beigesteuert. Außerdem ist er Verfasser mehrerer erfolgreicher Weinbücher (u. a. „Wein – die grosse Schule“, „Grundkurs Wein“). Er stammt aus Schleswig-Holstein, lebt aber seit fast 40 Jahren in München.

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