Sauers Silvaner heißt Ab Ovo. Lateinisch: vom Ei. Er ist als einfacher Qualitätswein etikettiert, obwohl es sich um eine hochgrädige Spätlese handelt. Und er ist einer Burgunderflasche abgefüllt, nicht in einen Bocksbeutel. „Das traditionelle Gefäß für einen fränkischen Wein passt für so eine Innovation nicht“, findet Daniel Sauer, der Juniorchef des Weinguts.
Der 28jährige Geisenheim-Absolvent, der sich mit seinem Vater Rainer die Verantwortung für den Wein teilt, war die treibende Kraft hinter dem Experiment. Nachdem bereits vier Hektar biodynamisch bewirtschaftet wurden, tauchte irgendwann die Frage auf, ob die biodynamischen Weine konventionell vinifiziert werden oder ob es auch in der Kellerarbeit Grundsätze gibt, die zur biodynamischen Philosophie passen. Zunächst verzichtete man auf Reinzuchthefen und ließ die biodynamischen Weine spontan vergären. 2008 lernte Daniel Sauer dann den burgenländischen Demeter-Winzer Werner Michelits kennen, der seine Weine in einem eiförmigen Betongefäß vergärt und ausbaut. Von ihm ließ er sich erklären, was die Besonderheit dieses Form ausmacht: der Goldene Schnitt.
Der Goldene Schnitt
Dieser schon in der Antike bekannte Topos steht für den Inbegriff von Harmonie und Ästhetik. Er wurde mathematisch definiert, findet sich aber auch als Proportionsformel in der klassischen Architektur und in der Renaissance-Malerei wieder, etwa bei Albrecht Dürer und Leonardo da Vinci. Was die Raumlehre angeht, gilt das Ei als perfekter Ausdruck des Goldenen Schnitts. Davon soll auch der Wein profitieren. „Das Ei hat ein ideales Längen-/Breitenverhältnis“ erklärt Sauer. „Wenn CO2 bei der Gärung aufsteigt, kommt der Wein durch die sich nach oben hin verjüngende Form des ins Fließen.“
Außerdem ist das Beton-Ei aus einem Stück gegossen. Es gibt keine Schweißnähte wie bei Stahltanks und keine Fügen wie bei Holzfässern, schon gar keine rechten Winkel. Der Wein kann also ungehindert kreisen. Der Beton ist auch nicht armiert. Das Gefäß soll kein Käfig für den Wein sein. Zudem ist Beton atmungsaktiv. Es findet also ein Sauerstoffaustausch statt wie bei einem Holzfass – doch ohne das Risiko von Holznoten.
Neue Silvaner-Stilistik
Vom Jahrgang 2008 wurden erstmals 900 Liter Wein im Beton-Ei vergoren: eine hochgrädige Silvaner Spätlese vom Lump, der Escherndorfer Paradelage. Eine Partie des gleichen Weins wurde parallel dazu im Stahltank vergoren und ausgebaut. Hinterher wurden beide Weine miteinander verglichen. Resultat: Der konventionell verarbeitete Wein war opulenter, schmelziger, duftete nach reifer Birne. Der Beton-Wein war mineralischer, wirkte filigraner. „Für uns war er besser“, resümiert Daniel Sauer. Soviel besser, dass er das Experiment in 2009 gar nicht mehr wiederholt hat und in 2010 ein zweites Beton-Ei dazugekauft hat, um künftig eine größere Menge von seinem besten Wein zur Verfügung zu haben.
Entwickelt wurde das Beton-Ei auf der biologischen Vorzeige-Domäne Château Duvivier in der Provence durch Antoine Kaufmann – allerdings für den Rotwein. Rotwein neigt aufgrund seiner Tannin- und Säure-Struktur nicht annähernd so stark zur chemischen Reaktion mit dem Material wie der stärker säuregeprägte Weißwein. Um zu verhindern, dass es zu chemischen Reaktionen zwischen Wein und Beton kommt, die den Charakter des Silvaners verfälschen, wurde die innere Oberfläche sorgfältig neutralisiert.
Die staatliche Weinkontrolle spielt mit
Allerdings gehört Beton nicht zu den Stoffen, in denen man ein Lebensmittel wie Wein herstellen darf. Die Herren von der staatlichen Weinkontrolle in Würzburg waren folglich nicht begeistert, als sie von der Idee erfuhren, Frankenwein – und gar noch aus einer der renommiertesten Lagen – in einem aus Österreich importierten Beton-Ei zu vergären. Immerhin verboten sie das Experiment nicht sofort. Sie verpflichteten die Sauers jedoch, regelmäßig und in kurzen Abständen Proben zu liefern, die dann sorgfältig analysiert wurden. So entwickelte sich im Laufe der Zeit ein Vertrauensverhältnis. Dies führte dazu, dass die Sauers ihren Inspektoren bei einem Ortsbesuch schließlich auch den aus dem Beton-Ei gewonnenen Wein im Rahmen einer Probe zur Verkostung präsentierten – natürlich zusammen mit den anderen, konventionell erzeugten Weinen.
Man ahnt schon, was das Ergebnis dieser Probe war: Der Ab Ovo gewann auch in ihren Augen den Vergleich. Anschließend taten die Kontrolleure alles, um dem Beton-Wein den Weg zur Zulassung zu ebnen.
Kein Aufschlag für das Beton-Ei
Der Ab Ovo ist mit 18 Euro heute der teuerste trockene Wein des Gutes. Doch der höhere Preis im Vergleich zur Silvaner Spätlese L, traditionell das Spitzengewächs des Hauses (15 Euro), beinhaltet keine Aufschlag für das Beton-Ei. Er ist Resultat des hochwertigeren Leseguts: die Trauben für den Ab Ovo kommen aus den besten Parzellen des Sauerschen Rebbesitzes und werden – von der arbeitsintensiveren biodynamischen Rebenpflege abgesehen – aufwendiger behandelt. So lagern sie nach der Lese beispielweise noch drei oder vier Tage bei niedrigen Temperaturen, bevor sie gekeltert werden. Vergoren wird der Wein übrigens mit Hilfe einer Kühllanze, die über die Öffnung am Kopf des Eis eingeführt wird und so eine Temperaturkontrolle ermöglicht.
Das Weingut Rainer Sauer in Escherndorf gehört zu den besten fränkischen Silvaner-Erzeugern. Mit dem Ab Ovo haben die Sauers einen ersten Schritt in Richtung einer neuen Silvaner-Stilistik getan: Vielschichtigkeit, Filigranität, Spannung, keine überbordende Frucht, keine Bonbon-Töne, dafür größeres Entwicklungspotenzial.
Bei den einfachen Silvanern fahren Rainer und Daniel Sauer auf der konventionellen Schiene: Ausbau im Stahltank.