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San Leonardo: unbekanntester unter den bekannten Top-Rotweinen Italiens

Wer über den Brenner nach Italien reist, fährt an der Tenuta San Leonardo vorbei, ohne es zu merken. Sie liegt wenige hundert Meter von der Autostrada entfernt links auf der gegenüber liegenden Seite der Etsch. Von ferne sieht man zwei Zypressen, die den Eingang markieren, daneben eine kleine Kapelle, dahinter ein Gebäudeensemble mit Glockentürmchen. Bevor San Leonardo Tenuta, also Weingut, wurde, war es ein Kloster.

Hohe und höchste Bewertungen

Das Weingut Tenuta San Leonardo

Das Besondere an diesem Weingut ist, dass es nicht nur über eine lange Geschichte verfügt, sondern sich – und das ist gar nicht selbstverständlich – einer glücklichen Gegenwart erfreut. Die Weine der Tenuta San Leonardo sind weltweit geschätzt und  hoch respektiert. Bei Vergleichsproben erzielen sie hohe und höchste Bewertungen. Der rote Spitzenwein zählt nach dem Urteil aller internationalen Weinkritiker zu den besten des Landes. Von Daniele Cernilli, dem derzeit besten Weinkritiker Italiens („Doctor Wine“), hat der 2015er Jahrgang des San Leonardo 98 von 100 Punkten bekommen. Und doch ist er der unbekannteste unter den bekannten Spitzenrotweinen des Landes. Liegt es daran, dass er nicht aus der Toskana oder dem Piemont kommt?

Ein kleines Paradies

Das Weingut liegt an der südlichen Grenze des Trentino rund 50 Kilometer vor Verona. Wer das schmiedeeiserne Eingangstor passiert und in die schnurgrade, von mächtigen Bäumen gesäumte Allee einbiegt, dem tut sich ein kleines Paradies auf. Weinberge, deren Rebzeilen wie mit dem Lineal gezogen sind, dazwischen alte Zedern und Kastanien, Buschinseln, Teich, Bauerngarten, eingerahmt von weitläufigen Rasenflächen, die so gepflegt ist wie ein Golfplatz. Doch im Unterschied zum Golf wird auf San Leonardo Biodiversität groß geschrieben. Buschrosen, Hortensien, Oleander, wilde Kirschbäume – das ganze Drumherum ist ein blühender Garten, den in Augenschein zu nehmen die Besitzer eigentlich Eintritt verlangen könnten. Im Teich schwimmen Gänse und Blässhühner, zwischen den Blumenbeeten watscheln Enten. An der Fassade des Weinguts klettert wilder Wein in die Höhe, die Außentreppe schmückt ein Rosenstock. Irgendwie wirkt hier alles wie aus einer anderen Zeit: die alte Wasserpumpe, die grüne Holzbank, der mit Flusskieseln gepflasterte Innenhof, die blassroten Tonziegeln auf den Dächern.

Über 300 Jahre in Familienbesitz

Marchesi Carlo und Sohn Anselmo Guerrieri Gonzaga: Für den Vater war 2019 die 60. Lese

Ein so liebevoll gepflegtes Ambiente gibt es nur, wo Tradition gelebt wird, und das ist meist nur der Fall, wenn ein Weingut in Familienhand ist. Die Tenuta San Leonardo befindet sich im Besitze Marchesi Guerriero Gonzaga, eines alten Adelsgeschlechts aus Mantua, das während der Auseinandersetzung zwischen den Sforza und den Visconti im späten Mittelalter zu Ruhm und Ehre gekommen ist. Die Marchesi waren die letzten 300 Jahre die Herren von San Leonardo, und sie sind es heute mit gleich grosser Begeisterung wie früher – sogar grösserer.

Fokus auf Langlebigkeit

Natürlich hat die Begeisterung auch etwas mit dem Erfolg der Weine zu tun. Im Süden des Trentino, wenige Kilometer vor Verona, trifft man sonst eher leichte Rotweine an: einfach gestrickte Merlots und Cabernets oder den hellen Marzemino, der im Libretto von Mozarts Oper Don Giovanni verherrlicht wird. Körper- und tanninreiche Rotweine sind in diesem Teil des Trentino selten. Langlebigkeit ist für die Winzer der Region normalerweise kein Qualitätskriterium. Anders bei den Guerrieri Gonzaga. Für sie ist Langlebigkeit eine Grundvoraussetzung der Weinerzeugung – schon aus persönlichen Gründen. Adelige Familien denken nämlich nicht in Jahren, sondern in Generationen. Sie wollen Weine, von denen auch die Enkel noch etwas haben. Und auf ihrem Weingut leben drei Generationen unter einem Dach.

„Unser Vorbild ist Bordeaux“

„Unser Vorbild ist Bordeaux“, sagt der Marchese Carlo klipp, das heutige Oberhaupt der Familie, klipp und klar. „Cabernet Sauvignon und Merlot bilden deshalb den Grundstock unser Weinberge.“ Für den 81Jährigen, der einst in Lausanne Weinbau studiert hatte, war 2015 die 60. Lese, die er verantwortlich geleitet hat. 1959 war er in das Weingut eingetreten und hatte sofort begonnen, die Weinproduktion neu zu ordnen. Er begriff schon früh, dass ein Weingut nur dann eine Zukunft hat, wenn es hohe Qualitäten produziert. 1982 kam er zum ersten Mal mit dem Spitzenwein San Leonardo auf dem Markt, der in der Liga der Topweine  ganz oben mitspielen sollte. Konzipiert hatte er ihn zusammen mit Giacomo Tachis, dem ehemaligen Chefönologen von Antinori, der der gleichen Überzeugung war.

Das gewisse Etwas: Carmenère

Alle Rotweine, die aus dem Keller der Tenuta San Leonardo kommen, sind Bordeaux-Cuvées. Doch neben Merlot und Cabernet befindet sich in den Weinen noch eine weitere Sorte: Carmenère. Sie ist es, die den Weinen der Tenuta San Leonardo das gewisse Etwas gibt: eine Pikanz, die mal an Paprika, mal an Minze, mal an grünen Pfeffer erinnert. Carmenére? Die Sorte stammt ursprünglich aus Bordeaux. Vor hundert Jahren war sie Bestandteil nahezu jeden Weins, der die Châteaux verliess. Im Laufe der Jahre wurde ihr Anteil jedoch immer weiter zurückgefahren, bis sie ganz aus der Cuvée verschwand. Der Grund: Die extrem spätreife Sorte reifte im kühlen Bordeaux nicht regelmässig aus, und unreif gab sie den Weinen eine grasige, unreife Note. Heute wird sie praktisch nur noch im warmen Chile angebaut, wo sie hervorragende Weine ergibt.

„Die Carmenère verleiht unseren Weinen Individualität“

Auch in Norditalien war die Carmenère weit früher verbreitet: besonders in Südtirol, in der Lombardei, auch im Trentino. Doch wurde sie bis in die 1980er Jahre nicht als Carmenère erkannt, sondern für eine Mutation der Cabernet franc gehalten. Erst dann erkannten Ampelographen ihre wahre Identität. Die meisten Winzer rissen sie daraufhin sofort raus. Denn auch im Norden Italiens erreichte sie selten die volle physiologische Reife. Der Marchese Carlo pflanzte sie dagegen nach. Er glaubte an die Sorte – obwohl es damals offiziell nicht erlaubt war, sie anzubauen. Heute ist die Carmenère amtlich zugelassen. Anselmo, der Sohn von Marchese Carlo, der inzwischen für das Tagesgeschäft zuständig ist, ist glücklich über die damalige Entscheidung seines Vaters: „Die Präsenz der Carmenère in der Cuvée macht die Besonderheit unserer Weine aus. Sie verleiht ihnen Individualität.“

Pikante Würze

Spätestens im Jahre 2000, als mit Carlo Ferrini einer der renommiertesten Önologen Italiens als Berater für die Tenuta San Leonardo engagiert wurde, hat sich gezeigt, dass die Weine an Langlebigkeit und Klasse zugenommen haben. Möglichst späte Lese und Reduzierung des Carmenère-Anteils auf zehn bis 15 Prozent – das waren die entscheidenden Massnahmen, um störende grüne Noten aus den Weinen zu eliminieren, die pikante Würze hingegen zu erhalten. Die langsam einsetzende Klimaerwärmung tat ein Übriges. Heute ist die Carmenère in den beiden wichtigsten Rotweinen des Gutes – Terre di San Leonardo und San Leonardo – perfekt integriert. Sie gibt den Weinen eine eigene Persönlichkeit und verhindert, dass aus ihr „die 1001. italienische Bordeaux-Cuvée“ wird, wie ein Kritiker mal spöttisch schrieb. Jahrgänge wie 1990, 1997, 2001, 2004 sind heute Legende und flüssige Beweise für die Langlebigkeit des Spitzenweins.. 2013 und 2015 werden ihnen nicht nachstehen.

Weinberge biologisch-organisch zertifiziert

Heute gehören zur Tenuta San Leonardo 30 Hektar Reben. Sie sind seit 2015 von der Biodiversity World Association (BWA) als biologisch-organisch zertifiziert. Der grösste Teil der Rebfläche liegt um das Weingut herum am Fuße eines steil aufragenden Bergmassivs, das zum Naturreservat Lessinische Alpen gehört. Dort wachsen die Rotweine. Zehn Hektar liegen weiter nördlich im Trentino. Dort werden Weinweine angebaut: Sauvignon und ein wenig Riesling. Sie runden das Programm der Tenuta San Leonardo ab.

Visitors welcome

Im Gegensatz zu vielen anderen berühmten Weingütern sind die Tore der Tenuta San Leonardo immer offen. Besucher können den Weinshop besuchen und die Weine probieren. Geführte Touren mit einem Weintasting können im Sommer über die Webseite gebucht werden www.sanleonardo.it  Der unterirdische Barrique-Keller, der völlig neu gebaut wurde und einer der wenigen Teile des Weinguts ist, die modern und state of the art ist, ist in die Führung eingeschlossen, ebenso wie die versteckt liegende Villa Gresti, das Privathaus der Guerrieri Gonzaga. Zu erreichen ist die Tenuta San Leonardo über die parallel zur Autobahn verlaufende Staatsstraße SS 12 von Trento nach Verona. Direkt neben dem Eingang befindet sich die Bottega La Botte, wo Reisende ein Glas Wein zu einer Schinken- und Käseplatte geniessen können.

Vette di San Leonardo

Der Sauvignon Vette der Tenuta San Leonardo, gewachsen in einer kühlen Hügellage bei dem Dörfchen Vette, zeichnet sich durch eine pikante, an Stachelbeeren und Passionsfrucht erinnerndes Bouquet aus. Der Wein wird jung getrunken, solange er knackig frisch und aromatisch-fruchtig ist. Preis: ca. 14 Euro

 

Terre di San Leonardo

Der Zweitwein der Tenuta San Leonardo, gewonnen aus Cabernet Sauvignon, Merlot und Carmenère von den jüngeren Rebstöcken des Besitzes, ist ein mittelgewichtiger Wein, fruchtbetont, trinkfreundlich, soft im Tannin und moderat im Alkohol, zugleich aber feinwürzig, wie es typisch für die Weine von San Leonardo ist. Ausgebaut überwiegend in großen, alten Holzfässern. Preis: ca. 13 Euro

 

San Leonardo

Dieser „Alpen-Bordeaux“ ist das Spitzenprodukt des Gutes, ein majestätischer Wein, extrem elegant, hochkomplex, aromentief, dabei weder überladen noch hoch im Alkohol (13 Vol.%). Die Trauben kommen von den ältesten Rebstöcken (bis 50 Jahre) des Gutes, überwiegend Cabernet Sauvignon, dann Merlot und ein kleiner Anteil Carmenère: im jungen Stadium im Vordergrund Pflaumen und Brombeeren, dahinter Minze, Cafè, Tabak, Leder. Ausgebaut wird der Wein in neuen und gebrauchten Barriques. Preis: zwischen 60 und 70 Euro.

 

Bezug: In Deutschland sind die San Leonardo-Weine weit verbreitet, zum Beispiel bei www.hawesko.de, www.sansibar.de, www.belvini.de, www.oberhuber-weine.de, lieblingsweine.de. Bei www.alpina-wein.de gibt es gereifte Jahrgange. In der Schweiz findet man die Weine bei www.bindella.ch, in Österreich beispielsweise bei www.fohringer.at www.vicampo.at

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Autor

Jens Priewe
Jens Priewe
Jens Priewe hat viele Jahre als Politik- und Wirtschaftsjournalist gearbeitet, bevor er auf das Thema Wein umsattelte. Er schreibt Kolumnen für den Feinschmecker und für das schweizerische Weinmagazin Merum. Für den Weinkenner, dessen Gesellschafter er ist, hat er seit der Gründung über 200 Artikel beigesteuert. Außerdem ist er Verfasser mehrerer erfolgreicher Weinbücher (u. a. „Wein – die grosse Schule“, „Grundkurs Wein“). Er stammt aus Schleswig-Holstein, lebt aber seit fast 40 Jahren in München.

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