Pierre-Vincent Girardin: „Ein neuer Stern am Himmel Burgunds“

Pierre-Vincent Girardin
Der erst 22jährige Pierre-Vincent Girardin besitzt beste Lagen an der Côte de Beaune. Seine Weine repräsentieren die neue Weißweinschule. Paul Kern hat mit ihm gesprochen.

22 Jah­re ist Pierre-Vincent Girar­din alt, und gera­de hat er sei­nen vier­ten Jahr­gang ein­ge­kel­lert – sei­nen vier­ten eige­nen Jahr­gang. Das heißt: Mit 18, wenn ande­re gera­de im ers­ten Lehr­jahr sind oder sich an einer Hoch­schu­le ein­schrei­ben, begann er bereits sei­ne Win­zer­kar­rie­re. Aber er konn­te zu die­sem Zeit­punkt schon auf mehr Erfah­rung mit Reben, Fäs­sern und Wein zurück­bli­cken als ande­re nach ihrer Aus­bil­dung. Denn Pierre-Vincent ist der Sohn eines bekann­ten Bur­gun­der Win­zers. Seit er lau­fen kann, folg­te er sei­nem Vater in den Wein­berg und in den Kel­ler. Als sei­ne Alters­ge­nos­sen noch mit dem Fahr­rad durchs Dorf kurv­ten, pflüg­te er mit dem Trak­tor durch die Grands Crûs der Côte de Beau­ne. Mit 15 begann er, Wei­ne ana­ly­tisch zu ver­kos­ten. Dass er vigne­ron, also Win­zer, wer­den wür­de, stand für ihn längst fest. Aber dass sei­ne Wei­ne so schnell die Kri­ti­ker begeis­tern, war nicht vor­her­zu­se­hen. Wil­liam Kel­ley, Par­kers Bur­gund­ex­per­te, hat die Qua­li­tät sei­ner Weiß­wei­ne im Wine Advo­ca­te zum Bei­spiel als out­stan­ding bezeich­net. Michel Bet­ta­ne, der fran­zö­si­sche „Wein­papst“, ist „fast vom Stuhl gekippt“, als er die Weiß­wei­ne von Pierre Girar­din trank: “Ein neu­er Stern am Him­mel Bur­gunds“ begeis­ter­te er sich auf sei­ner Inter­net­sei­te myBettaneDeseauve.fr.

Weg von den traditionellen Meursaults und Montrachets

Und das, obwohl Pierre-Vincent auf Distanz geht zu den tra­di­tio­nel­len Bur­gun­der Weißwein-Stilistiken und mit sei­nen Wei­nen eige­ne, neue Wege geht. Sti­lis­tisch reprä­sen­tie­ren sie die neue Schu­le, die an der Côte de Beau­ne, wo die sich die berühm­ten Weißwein-Crus befin­den, lang­sam an Boden gewinnt: weg von dem buttrig-öligen Meurs­aults und Mon­tra­che­ts, hin zu einer kar­ge­ren, weni­ger vom Holz gepräg­ten, schlan­ke­ren Sti­lis­tik. „Fri­sche und Sal­zig­keit“ sind die bei­den Schlüs­sel­ele­men­te für ihn. Sein ein­fachs­ter, der Bour­go­gne Char­don­nay, hat bereits sei­nen Weg auf die Wein­kar­ten des „Tan­tris“ in Mün­chen oder in das drei­fach best­ern­te „Ele­ven Madi­son Park“ in New York gefunden.

Sein Vater war eine Weißwein-Ikone im Burgund

„Mein Vater hat mir viel mit­ge­ge­ben“, sagt der jun­ge Win­zer. Tat­säch­lich gehör­te Vin­cent Girar­din, der Vater, seit den 1980erJahren zur ers­ten Rie­ge der Meursault- und Montrachet-Erzeuger. 2012 ver­kauft er sei­ne Domaine an einen Négo­çi­ant aus Beau­ne, der das Wein­gut bis heu­te unter glei­chem Namen mit neu­em Team wei­ter­führt. Zwei Hekt­ar Reben blie­ben damals im Fami­li­en­be­sitz, 2,5 Hekt­ar kamen dazu, so dass der Sohn heu­te zusam­men 4,5 Hekt­ar bewirt­schaf­tet und dabei auf bes­te Weißwein- und auch bes­te Rot­wein­la­gen zugrei­fen kann – etwa Puligny-Montrachet 1er Les Fola­tiè­res,  Meurs­ault 1er Les Charmes, Meurs­ault 1er Les Gene­vriè­res, Bâtard-Montrachet Grand Cru, Corton-Charlemagne Grand Cru, Clos de Vougeot Grand Cru oder Cham­ber­tin Grand Cru. Das Wein­gut im Dörf­chen Meurs­ault fir­miert jetzt als Domaine Pierre Girardin.

 

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Die Weißweine: Trinkfreude aber kein Easy-Drinking

Obwohl Trink­freu­de für ihn wich­tig ist, strebt Pierre-Vincent kei­ne Easy-Drinking-Weine an, ganz im Gegen­teil. Bereits sei­ne Basis­wei­ne haben Biss und eine fein­mi­ne­ra­li­sche Note: „Nach einem Glas muss man sofort ein zwei­tes wol­len“, sagt er. An die­sem Wein wird aber auch deut­lich, was der jun­ge Win­zer mit Fri­sche meint: Nur 12.5% Vol. Alko­hol hat er, wie meis­ten Weiß­wei­ne des 2018er Jahr­gangs. Ent­spre­chend ker­nig ist die Säu­re­struk­tur. Das gilt auch für sei­ne Top­wei­ne. Durch den mode­ra­ten Alko­hol­ge­halt und die leben­di­ge Säu­re zeich­net die­se trotz grö­ße­rer Dich­te eben­falls eine ange­neh­me Leich­tig­keit aus. Der Meurs­ault Éclat de Cal­cai­re prä­sen­tiert sich sehr karg, hat Aro­men von grü­nem Apfel­most und unge­rös­te­ten jun­gen Hasel­nüs­sen. Eclat de Cal­cai­re, was man frei mit „dröh­nen­der Kalk“ über­set­zen könn­te, nennt Pierre-Vincent alle sei­ne Basis- und Vil­la­ge­wei­ne – eine Refe­renz an die lehmig-kalkigen Böden, die allen Wei­nen des Bur­gund ihren Cha­rak­ter verleihen.

Auf Kargheit getrimmte Stilistik

Ähn­lich, aber aus­ge­reiz­ter ist der Chassagne-Montrachet aus der 1er Cru-Lage Abbaye de Mor­geot. Er zeigt gra­zi­le Aro­men von rei­fer Ana­nas, erin­nert an Johan­nis­beer­ker­ne und schmeckt, wie Tafel­krei­de riecht. Ein im posi­ti­ven Sin­ne anstren­gen­der Wein mit enor­mem Biss, der bis­lang eher andeu­tet, wie groß er mal wer­den wird: ein äußerst cha­rak­ter­vol­ler, hoch­fei­ner Wein für Spe­zia­lis­ten, der ver­mut­lich erst in fünf oder zehn Jah­re die vol­le Trink­rei­fe erlan­gen wird. Wer gleich jetzt etwas von der Domaine Pierre Girar­din trin­ken möch­te, wird mit dem „klei­nen“ Éclat de Cal­cai­re, dem Bour­go­gne Char­don­nay, am bes­ten bedient sein, der sich weit­aus offe­ner und zugäng­li­cher prä­sen­tiert, dabei aber die auf Karg­heit getrimm­te Sti­lis­tik per­fekt durch­schei­nen lässt.

Von Anfang an verwendete er keine Burgunder Piècen

Übri­gens rei­fen die Weiß­wei­ne aus­schließ­lich in gro­ßen Eichen­fäs­sern mit 465 Litern Inhalt, dem dop­pel­ten Fas­sungs­ver­mö­gen der klas­si­schen piè­ce bour­gu­i­gnon­ne. Ursprüng­lich aus der Not gebo­ren, wie Pierre-Vincent sagt: „In mei­nem ers­ten Jahr muss­te ich neue Fäs­ser kau­fen, weil ich kei­ne hat­te. Damit das Holz nicht zu domi­nant wird, habe ich mich gegen klei­ne 228-Liter-Piècen ent­schie­den“. Das Resul­tat hat ihn dann so über­zeugt, dass er jetzt über­haupt kei­ne Piè­cen mehr verwendet.

Die Rotweine: zart aber bissig

Durch­aus eigen­sin­nig sind auch die Rot­wei­ne von Pierre-Vincent, die ein wenig abrü­cken vom baro­cken, erdi­gen Bur­gun­der­stil. Ähn­lich wie bei den Weiß­wei­nen strebt der jun­ge vigne­ron auch hier Fri­sche, Ele­ganz und Leich­tig­keit an. Auf die pigeage, das Her­un­ter­sto­ßen des Tres­ter­hu­tes wäh­rend der Gärung, ver­zich­tet er völ­lig. So wer­den weni­ger Gerb­stof­fe aus den Bee­ren­häu­ten und Ker­nen extra­hiert, was dem Wein ein zar­te­res Tan­nin­ge­rüst ver­leiht. Das soll nicht hei­ßen, dass die Wei­ne brav sind. Ganz im Gegen­teil: Ohne die pigeage gelangt weni­ger Sau­er­stoff in die Mai­sche, wes­we­gen die Hefe unter äußerst reduk­ti­ven Bedin­gun­gen arbei­ten muss. Fehlt der Hefe Sau­er­stoff, bil­det sich rasch Schwe­fel­was­ser­stoff (H2S) – auch bekannt als Böck­ser. Kon­ser­va­ti­ve Gau­men und böse Zun­gen wür­den sol­che Wei­ne als feh­ler­haft bezeich­nen. Doch nicht sel­ten stel­len soge­nann­te Wein­feh­ler für inno­va­ti­ve Win­zer kei­nen Makel dar. Und über­haupt: Die meis­ten Böck­ser ver­schwin­den nach ein paar Jah­ren Fla­schen­rei­fe von selbst, und blut­jung soll­te man gro­ße Rot­wei­ne aus dem Bur­gund sowie­so nicht trinken.

Vater Vincent Girardin wacht im Hintergrund

Der Gedan­ke, dass ein 22-Jähriger nicht völ­lig im Allein­gang agiert, wenn der Vater eine Weißwein-Ikone im Früh­ru­he­stand ist, liegt nahe. Und auch die neu erwor­be­ne Par­zel­le in der Grand Cru-Lage Bâtard-Montrachet wird Pierre-Vincent wohl kaum vom Taschen­geld bezahlt haben. Er selbst macht auch kei­nen Hehl dar­aus, dass sein Vater als eine Art graue Emi­nenz den Stil der Wei­ne mit­be­ein­flusst. „Ich habe die Vini­fi­ka­ti­on zwar völ­lig umge­stellt, aber basie­rend auf sei­nen Erfah­run­gen“, gibt er zu, lässt aber zugleich durch­schei­nen, dass die Ver­diens­te um den neu­en Stil durch­aus ihm zuzu­rech­nen sind. Die Vor­tei­le sei­ner Arbeits­wei­se lie­gen auf der Hand: Pierre-Vincent arbei­tet reduk­ti­ver als sein Vater, ver­zich­tet auf Fil­tra­ti­on und ist dabei, die Wein­ber­ge gera­de auf öko­lo­gi­sche Land­wirt­schaft umzu­stel­len. Mutig ist er auch: Im berühm­ten 1er Cru Les Grand Épe­n­ots in Pom­mard, einer his­to­ri­schen Pinot Noir-Lage, hat er gera­de Char­don­nay gepflanzt – als ers­ter Win­zer über­haupt, wie er sagt.

Der Rotweinstil ist noch nicht fertig ausgeformt

Jugend­li­che Lei­den­schaft kann frei­lich auch eine gewis­se Unbe­stän­dig­keit nach sich zie­hen. So wäre es ver­wun­der­lich, wenn Bestän­dig­keit für einen 22-Jährigen das höchs­te Gut wäre. Um sicher sagen zu kön­nen, wohin sich die Wei­ne der Domaine Pierre Vin­cent ent­wi­ckeln wer­den, muss man wohl noch ein wenig Zeit ver­strei­chen las­sen. Auch wenn Old School-Weinkritiker der neu­en bur­gun­di­schen Schu­le noch rela­tiv reser­viert gegen­über ste­hen und bei vie­len Wei­nen Kon­zen­tra­ti­on und Fül­le ver­mis­sen, wird es für Pierre-Vincent ein Zurück nicht geben. Bei den Rot­wei­nen ist die Lage anders. Da ist „der Stil des Hauses…noch nicht fer­tig aus­ge­formt“, wie der Ame­ri­ka­ner Kel­ley zu Recht feststellt.

Domaine Pierre Girardin: Ausgewählte Weine im Überblick

Bour­go­gne Char­don­nay – Éclat de Cal­cai­re 2019
Der per­fek­te Ein­stieg in den Stil der Domaine: puris­tisch, reduk­tiv, sal­zig und auch ohne Fla­schen­rei­fe dank einer ganz zar­ten Ana­nas­no­te sehr zugäng­lich. Ein gro­ßer „klei­ner“ Wein.
25,90 bis 28 Euro

Meurs­ault – Éclat de Cal­cai­re 2018
Der Mit­tel­bau aus ver­schie­de­nen Lagen in Meurs­ault: der­zeit noch ein wenig ver­schlos­sen, sehr karg, krei­dig und druck­voll. Am zwei­ten Tag sub­ti­le Aro­men von grü­nem Apfel, unge­rös­te­ten Hasel­nüs­sen und neu­em Holz. Unbe­dingt karaffieren!
53 bis 60 Euro

Chassagne-Montrachet 1er Cru – Abbaye de Mor­geot 2018
Ein Wein für Gedul­di­ge und der­zeit noch völ­lig ver­schlos­sen: krei­di­ge (fast chlo­ri­ge) Noten, dezen­tes Neu­holz, Johan­nis­beer­ker­ne und eine enor­me Span­nung. Der bis­si­ge, pola­ri­sie­ren­de Stil wird hier voll aus­ge­reizt. Ab damit in den Kel­ler und min­des­tens fünf Jah­re vergessen!
72 bis 90 Euro €

Bour­go­gne Pinot Noir – Éclat de Cal­cai­re 2018
Der rote Ein­stieg in den Girardin-Stil: sehr viel Fri­sche, Sau­er­kirsch­aro­men, Noten von roter Johan­nis­bee­re und ein ange­deu­te­ter Böck­ser, der typisch für Pierre-Vincents 2018er Pinot Noir ist.
26 bis 35 Euro

Mon­thé­lie 1er Cru – Les Clous 2018
Der momen­tan zugäng­lichs­te rote 1er Cru der Domaine: ein zar­tes aber tra­gen­des Tan­nin, ein leich­ter und ele­gan­ter Böck­ser, Aro­men von fri­schem Cas­sis, getrock­ne­ten Cran­ber­rys, fri­schem Heu und ein sub­ti­ler Veil­chen­duft. Jetzt trin­ken oder ein paar Jah­re in den Kel­ler legen.
35 bis 39 Euro

Pom­mard 1er Cru – Les Gran­des Épe­n­ots 2018
Ein Wein zum weg- und rein­le­gen: eine sehr kom­pak­te, fes­te aber schlan­ke Tann­in­struk­tur, außer­dem eine küh­le Rau­chig­keit und jede Men­ge Druck. Hat der­zeit noch nicht die har­mo­ni­sche Fri­sche und Zugäng­lich­keit des Mon­thé­lie, dürf­te aber in ein paar Jah­ren groß werden.
105 bis 110 Euro €

Bezug: www.dielfinewine.com, www.moevenpick-wein.de, www.lesamisduvin.de, www.weinco.de