In den 1990er Jahren wurde über 30 Prozent des Chianti Classico nach Deutschland exportiert. Diese Zeiten sind vorbei. Im Jahre 2017 lag der Exportanteil nur noch bei 12 Prozent. 2019 ist er auf 6 Prozent gesunken. Die wichtigsten Auslandsmärkte sind heute die USA, Kanada, Großbritannien. Schmeckt der Wein , dessen Flaschen immer noch das Symboltier Gallo Nero, der schwarze Hahn, ziert, den Deutschen plötzlich nicht mehr? Ist sein Image verstaubt? Haben andere Weine ihn verdrängt? Oder schläft der Weinhandel? Haben die Händler den Strukturwandel nicht mitgekriegt, den das Chianti Classico in den letzten 20 Jahren durchgemacht hat?
Der in Coswig bei Dresden ansässige Online-Weinhändler Superiore.de, der ganz auf Italien spezialisiert ist und nahezu ausschließlich Endkunden beliefert, hat das größte Chianti Classico-Sortiment in Deutschland, vermutlich sogar in Europa. Er verkauft den berühmten toskanischen Roten „aus vollen Rohren“, wie Lutz Heimrich, sein Inhaber, sagt. Weinkenner.de befragte ihn, warum der Wein bei seinen Kunden so beliebt ist.

weinkenner.de Der Chianti Classico hat seinen Marktanteil in Deutschland in den letzten fünf Jahren nahezu halbiert. In der Zeitschrift „Weinwirtschaft“ wurde vermutet, das Image des Weins sei möglicherweise veraltet. Teilen Sie diese Meinung?
Lutz Heimrich Das glaube ich nicht. Aber mich interessiert vor allem die Qualität der Weine, und da muss ich sagen: Der Chianti Classico war qualitativ noch nie so gut wie heute. Der Aufwand, den die Weingüter treiben, ist extrem hoch, die Umstellung auf Bio voll im Gange und das Nachhaltigkeitsdenken bei den Winzern stark ausgeprägt. An den Weinen und an der Arbeit der Weingüter kann es nicht liegen, wenn der Exportanteil zurückgeht. Altmodisch oder verstaubt – das ist Unsinn.
weinkenner.de Oder liegt es am Charakter des Chianti Classico, der von Natur aus mehr Säure als viele andere Rotweine mitbringt und auch ein kräftiges, in seiner Jugend manchmal raues Tannin aufweist?
Lutz Heimrich Jeder Mensch hat seinen eigenen Geschmack. Wer es lieber weichgespült mag, wird mit einem Chianti Classico nicht zurecht kommen. Tannin bedeutet Komplexität und Langlebigkeit, Säure steht für Frische. Wer Ahnung vom Wein hat, sucht genau das. Die Fruchtigkeit eines jungen Chianti Classico ist geradezu legendär. Wenn es am besonderen Charakter des Chianti Classico läge, dass die Nachfrage in Deutschland zurückgeht, dann frage ich mich, warum er in Amerika und Großbritannien so bliebt ist.
weinkenner.de Der Gallo Nero, der schwarze Hahn, ist das Symboltier des Chianti Classico. Ist dieses Logo vielleicht veraltet?
Lutz Heimrich Das Logo ist für uns und viele Kunden nicht mehr als „Folklore“. Ich höre auch nur noch selten von Kunden, dass sie den Wein mit dem Hahn suchen, das ist ein Relikt aus den 1990er Jahren und war und ist noch nie ein Qualitätskriterium gewesen.
weinkenner.de Geht die Nachfrage nach Chianti Classico auch bei superiore.de zurück?
Lutz Heimrich Wir spüren überhaupt keine Müdigkeit bei unseren Kunden. Im Gegenteil: Wir haben unser Chianti Classico-Sortiment in den letzten Jahren kontinuierlich ausgeweitet und bieten inzwischen über 140 verschiedene Chianti Classico an, darunter viele Boutique-Weingüter, aber auch nahezu alle großen Namen von Antinori bis Famiglia Zingarelli. Ich wüsste nicht, wer in Europa bei diesem Wein so gut aufgestellt ist wie wir. Und das Wichtigste: Wir bieten Chianti Classico nicht nur an, wir verkaufen auch jede Flasche.
weinkenner.de Vielleicht liegt der Nachfragerückgang in Deutschland am Preis. Ein Chianti Classico kostet heute zwischen 12 und 18 Euro. Ist das zu teuer?
Lutz Heimrich Für Menschen, die gewohnt waren, ihren Chianti Classico für 8,90 Euro einzukaufen, sind die heutigen Preise zweifellos zu hoch. Diese Weintrinker ziehen sich jetzt auf den einfachen Chianti aus der weiteren Toskana oder auf einen Sangiovese aus der Emilia Romagna oder aus den Marken zurück. Oder sie verlassen die Toskana und gehen auf Primitivo und Nero d’Avola. Irgendwann trennt sich eben die Spreu vom Weizen. Wir zum Beispiel haben überhaupt kein Problem, einen Chianti Classico für 15 Euro zu verkaufen. Voraussetzung: Er ist gut. Aber superiore.de ist ein Onlineshop. Wir haben 100.000 Privatkunden in ganz Deutschland und im benachbarten Ausland. Der Weinhändler in einer deutschen Kleinstadt mit 5000 Einwohnern ist in einer weniger vorteilhaften Lage. Er kann ja nicht den Standort wechseln, nur weil seine Kunden nicht bereit sind, über die 10 Euro-Schwelle zu gehen. Er muss sich nach preiswerteren Alternativen umsehen. Dafür muss man Verständnis haben.
weinkenner.de Nach der Annata kommt in der Qualitätspyramide des Chianti Classico die Riserva. Sie macht mengenmäßig zwar nur 20 Prozent der Produktion aus, aber über 40 Prozent des Umsatzes.
Lutz Heimrich Wenn es über 20 Euro geht, wird die Luft auch bei uns dünner. Trotzdem: 25 Euro für eine Chianti Classico Riserva ist für unsere Kunden keine unüberwindbare Hürde. Nur sind die, die sowas kaufen, freakiger. Die wollen genau wissen, ob Merlot oder Cabernet Sauvignon im Wein ist. Die erkundigen sich nach der Höhenlage des Weinguts. Die wissen teilweise über die Böden im Anbaugebiet Bescheid. Einige haben die Toskana mehrfach bereist und können sogar die acht Gemeinden des Chianti Classico aufzählen. Und sie überpüfen hinterher genau, ob der Wein wirklich so schmeckt wie wir ihn auf unserer Website beschrieben haben. Wir staunen selbst manchmal über die Kompetenz mancher Kunden.

weinkenner.de Zurück zu Normalkunden. Mit den Preisen hat sich auch die Qualität geändert. Eine Annata, also der Jahrgangs-Chianti Classico, ist manchmal so kräftig und tanninreich wie früher eine Riserva. Kann es sein, dass die Weingüter mit dem permanenten Upgrading der Qualitäten den Konsumenten überfordert haben?
Lutz Heimrich Das mag sein. Aber der Geschmack der Konsumenten ist normalerweise nicht statisch. Er entwickelt sich weiter. Die Qualität der Weine aus Bordeaux und aus Spanien ist ebenfalls gestiegen. Man kann einem Produzenten aus der Toskana schwerlich vorwerfen, dass er das Potenzial der Sangiovese-Traube auszureizen versucht.
weinkenner.de Vielleicht gibt es dennoch eine gewisse Sehnsucht nach dem preiswerten Chianti Classico von einst…?
Lutz Heimrich Es gibt Leute, die dem Bauernchianti und dem Chianti in der Bastflasche nachtrauern, der ja häufig noch eine kleine Restsüsse aufwies. Aber ich glaube nicht, dass diese Leute für den Rückgang der Nachfrage nach Chianti Classico in Deutschland verantwortlich sind.
weinkenner.de Das Upgrading geht ja noch weiter. Vor ein paar Jahren wurde die Gran Selezione eingeführt, also eine neue Spitzenqualität, die die Chianti Classico Reserva toppen soll. Wie kommt sie bei Ihren Kunden an?
Lutz Heimrich Wir haben unseren Kunden erklärt, was Gran Selezione ist – und unsere Kunden sind mitgegangen. Natürlich nicht alle. Aber fortgeschrittene Weintrinker sind bereit, 35 Euro und mehr für einen außergewöhnlichen Chianti Classico auszugeben.
weinkenner.de Einige Gran Selezione, etwa von Castello di Ama, Felsina, Fontodi, kosten mittlerweile 100 Euro und mehr.
Lutz Heimrich Solche Preise verlangen relativ wenige Erzeuger. Die meisten Gran Selezione liegen deutlich niedriger. Außerdem werden Preise von 35 bis 50 Euro auch beim Brunello di Montalcino bezahlt. Als der 2014er Brunello freigegeben wurde, der als schwieriger Jahrgang gilt, sind viele Sangiovese-Freaks auf die 2015er Gran Selezione vom Chianti Classico gegangen. Die kam zur gleichen Zeit auf den Markt, und der 2015er Jahrgang ist überragend. Daran sieht man: Die Gran Selezione ist eine wunderbare Brunello-Alternative.
weinkenner.de Wie hoch schätzen Sie den Anteil der Chianti Classico-Liebhaber unter den Kunden, die Gran Selezione kaufen?
Lutz Heimrich Ich schätze zehn Prozent, wobei das Interesse an der Gran Selezione sicher größer ist. Aber ja, man muss auch das nötige Kleingeld besitzen, um sich mal eine Sechser-Kiste leisten zu können.
weinkenner.de Wer sind die Gran Selezione-Käufer?
Lutz Heimrich Es sind bestens informierte Weintrinker, die sich in der Toskana gut auskennen und im Laufe der Jahre ein eigenes Geschmacksprofil entwickelt haben. Sie sind in der Regel über 40 Jahre alt, häufig Akademiker, haben ein überdurchschnittliches Einkommen und kommen aus jenen Gegenden in Deutschland, in denen die höchste Kaufkraft sitzt: in Bayern, in Baden-Württemberg, im Taunus zum Beispiel.
weinkenner.de Also keine Schnäppchenjäger?
Lutz Heimrich Diese Zielgruppe reagiert nicht auf Rabatte. Und sie will auch keine „billige“ Ansprache in den Newslettern, die verschickt werden.
weinkenner.de Hat die Gran Selezione den Chianti Classico-Markt verändert? Zieht dieser Markt auch Weintrinker an, die eigentlich auf französische Premiumweine abonniert sind?
Lutz Heimrich Auf jeden Fall. Wir haben zum Beispiel wahnsinnige Steigerungen von belgischen Kunden, die früher französische Weine getrunken haben und jetzt bei uns Spitzen-Chianti Classico oder Supertuscans bestellen. Da zahlen sie 50 Euro und nicht 150 Euro. Bei manch francophilem Deutschen ist das auch so.
weinkenner.de Beeinflusst das Urteil der internationalen Weinkritiker die Kaufentscheidung?
Lutz Heimrich Wir veröffentlichen die Bewertungen von Galloni, Parker, Wine Enthusiast und vom Decanter, auch von James Suckling, obwohl wir von letzterem nicht so ganz überzeugt sind. Für viele unserer Kunden sind deren Urteile eine Orientierung. Die seriösen italienischen Weinkritiker zitieren wir ebenfalls. Nur Luca Maroni lasse ich weg.
weinkenner.de Ist der Chianti ein Konkurrent für den Chianti Classico?
Lutz Heimrich Für den Profi nicht. Ein Chianti, etwa aus Montespertoli oder aus den Colli Senesi, ist im Zweifelsfall ein wunderbarer Alltagswein. Er schmeckt herrlich zur Pizza oder zu Spaghetti Bolognese, und die 7 Euro, die er kostet, strapazieren das Budget des Weintrinkers nicht übermäßig stark. Einige Chianti sind dem Chianti Classico qualitativ sogar ebenbürtig. Ich denke an Frescobaldis Castello di Nipozzano aus dem Chianti Rufina oder an Selvapiana, dessen Weine sensationell gut und günstig sind. Aber Chianti Classico ist und bleibt eine Kategorie für sich.
weinkenner.de In der deutschen Weinpresse ist häufig von einer gewissen Toskana-Müdigkeit zu lesen.
Lutz Heimrich Vielleicht ist das bei den Weinhändlern so. Bei den Kunden erkenne ich keine Anzeichen dafür, dass sie toskanamüde wären. Wir machen unsere größten Umsätze mit Toskana, Piemont, Südtirol.

weinkenner.de Gilt das auch für die Super-Tuscans wie Tignanello, Sammarco, Sangioveto, Le Pergole Torte, Flaccianello, Casuccia und so weiter?
Lutz Heimrich Die sind als erstes ausverkauft.
weinkenner.de Obwohl einige dieser Weine inzwischen an der 100 Euro-Marke kratzen?
Lutz Heimrich Trotzdem.
weinkenner.de Nehmen die Cabernets und Merlots aus Bolgheri dem Chianti Classico Marktanteile weg?
Lutz Heimrich Die Schnittmenge zwischen Chianti Classico und Bolgheri ist gering. Wer Sangiovese liebt, interessiert sich nur bedingt für Weine aus internationalen Rebsorten, wie sie aus Bolgheri kommen. Auch der Preisunterschied spielt eine Rolle. Die Bolgheri Superiore beginnen bei 50 Euro und gehen bis 200 Euro, wenn ich an Sassicaia und Ornellaia denke. Das ist eine andere Liga. Wenn der Sangiovese-Liebhaber sich in Richtung Mittelmeerküste bewegt, dann schaut er eher auf die Maremma, wo die Sangiovese ja Basis des Morellino di Scansano ist. Aber dass der Chianti Classico darunter leidet, glaube ich nicht.
weinkenner.de Wenn die Nachfrage nach Chianti Classico in Deutschland allgemein sinkt, aber bei superiore.de steigt: Was machen Sie anders als andere Händler?
Lutz Heimrich Ich weiß nicht, ob andere Händler etwas falsch machen. Ich kann nur sagen, was wir machen. Das Wichtigste: Wir sind Italien-Spezialisten und kennen uns in Italien bestens aus. Dadurch sind wir den Kunden gegenüber glaubwürdig. Da wir ein reiner Onlineshop sind, kann man bei uns die Weine nicht vor Ort probieren. Wir müssen also alles Wichtige kommunizieren. Das tun wir auch. Dabei legen wir extrem großen Wert darauf, dass unsere Inhalte sachlich korrekt sind und keine Übertreibungen enthalten. Wir pushen unsere Kunden nicht.
weinkenner.de Sie bieten nicht einmal Probierpakete an?
Lutz Heimrich Weil wir stattdessen eine kleinteilige Sortierung anbieten. Wir verschicken sogar Einzelflaschen. Das heißt: Der Kunde kann sich selbst ein Probierpaket zusammenstellen. Wir haben Kunden, die 60 Einzelflaschen bestellen, um alles in Ruhe zu Hause zu probieren. Das ist zwar viel Aufwand für uns. Aber wir handeln mit Premium-Weinen. Da gilt eine andere Verkaufslogik.
weinkenner.de Hat die Corona-Krise Ihr Geschäft beflügelt?
Lutz Heimrich Im März hat die Zahl der Kunden, die bei uns bestellt haben, um 50 Prozent, im April um 100 Prozent zugenommen. Darunter sind viele Leute, die zum ersten Mal online bestellt haben. Wir kaufen, was wir aus Italien kriegen können und versuchen, es so schnell wie möglich nach Deutschland zu transportieren, um die Nachfrage bedienen zu können.

Jens Priewe hat viele Jahre als Politik- und Wirtschaftsjournalist gearbeitet, bevor er auf das Thema Wein umsattelte. Er schreibt Kolumnen für den Feinschmecker und für das schweizerische Weinmagazin Merum. Für den Weinkenner, dessen Gesellschafter er ist, hat er seit der Gründung über 200 Artikel beigesteuert. Außerdem ist er Verfasser mehrerer erfolgreicher Weinbücher (u. a. „Wein – die grosse Schule“, „Grundkurs Wein“). Er stammt aus Schleswig-Holstein, lebt aber seit fast 40 Jahren in München.
Hallo Herr Priewe,
vielen Dank für das Feedback, ich nehme den Hinweis zu den Gran Selezione gerne als Anregung, auf die nächsten Weine dieser Kategorie offener zuzugehen. Stichworte wie “Portwein, Madeira, Amarone” sind auch nur als Assoziationen gebraucht, drücken damit meinen Widerstand gegen Anzeichen für deutliche Überreife aus – gerade bei der Sangiovese-Traube.
Vielleicht nicht optimal gewählt, sagen wir es mal so:
Bei etlichen Weinen habe ich seinerzeit auf das große Aha-Erlebnis gewartet, bezüglich exaktem Sangiovese-Profil und feiner Präzision. Bekommen habe ich – für meinen Geschmack – aber eher satte “Spätlesen”, mit einem eindeutig erkennbaren “Cotto”-Ton, der auf einen vorhandenen Grad von “Sonnenbrand” hinwies.
So jedenfalls in den Hitzejahren 2011 und 2012 (da einige als “GS” nach-deklarierte Weine) , wie auch im Jahr 2013. Die 2014er Weine waren teils auf andere Art für mich unausgewogen. Zugeben muss ich, dass die 2016er, die ich bislang verkosten konnte, mir geschliffen näher kamen als die 2015er. 2015, ein Jahrgang, mit dem ich auch in Regionen wie Piemont, Spanien und Bordeaux bei Top-Kellereien meine ganz persönlichen Probleme habe. Gerade dann, wenn man die Weine überhaupt nicht mehr als bestimmte Gebietsweine identifizieren kann.
Mir ist klar, viele Weingenießer sahen und sehen das anders. Schauen wir mal, was z. B. von so manchem 2015er in 10 – 12 Jahren noch übrig ist, an Kontur, Balance und Transparenz, bei den „GS“.
Jedenfalls, USA und Kanada z. B. freuen sich ja nachgewiesenermaßen über diesen üppigen Stil. Was mich offen gesagt aber auch nicht wundert.
Was mir die ganze Zeit durch den Kopf geht: haben nicht auch Sie, als intimer Kenner des Chianti-Gebiets, zu den Gran Selezione, zumindest die ersten Jahrgänge, seinerzeit eher kritisch und eine markante Reife auch mit Zweifeln prüfend, so publiziert? Aus der Hüfte hätte ich sie in einer Weinrunde, als ebenfalls kritischen Betrachter der neuen Kategorie “GS”, ungefähr so zitiert. Oder täusche ich mich?
So oder so, ich bleibe etwas skeptisch, was den echten Nutzen der Neuen Chianti-Kategorie “GS” angeht, auch immer mit einem Auge darauf, was denn künftig aus den Riserva-Weinen dann wird, lass mich aber mit den folgenden Jahrgängen 2017 , 2018 und 2019 gerne darauf, offener eingestellt, weiter ein. Sicher werde auch ich künftig manchen Wein für meine Vorlieben finden. 🙂
Übrigens habe ich in meinem Kommentar oben gesehen, der dritte Absatz ist doppelt rein gerutscht:
“Chianti und Classico verfolge ich …—-… auch für den deutschen Stamm-Markt.”
Das ist mir sicher beim mehrfachen Einstellen und Einkopieren passiert, als die Seite mir kein Feedback gab. Wenn Ihre Seiten-Administration bei Gelegenheit diesen 3. Absatz löschen möchte, würde ich mich freuen (als redaktioneller Feingeist 😉
Mit den besten Grüßen
Michael Holzinger
Meine Kritik an überzogen reifen und überextrahierten Weinen entzündete sich am Brunello di Montalcino der Jahrgänge 2011 und 2013 und auch gegen die Folgejahrgäge. Gegen sie nehme ich die Chianti Classico Gran Selezione in Schutz.
Lieber Herr Priewe, einen schönen guten Tag!
Irgendwie klemmte die Kommentar-Funktion, aber so konnte ich gleich noch etwas korrigieren, ich hoffe es klappt jetzt 🙂
Chianti und Classico verfolge ich nun seit Jahrzehnten, privat, beruflich, privat. Eine erste, echte große Renovierung in der neueren Zeit an Qualität und Produktionsmaßnahmen, Image und gemeinsamer Strategie, stellte sich 1997 / 1998 aufs Gleis und startete im Jahre 2000 dann richtig durch. Es wurde viel getan, vom Konsortium samt der überwiegenden Winzerschaft, neben den damals zunehmend avisierten Übersee-Märkten auch für den deutschen Stamm-Markt, zur besseren Wahrnehmung der Marke “Chianti Classico”.
Chianti und Classico verfolge ich nun seit Jahrzehnten, privat, beruflich, privat. Eine erste, echte große Renovierung in der neueren Zeit an Qualität und Produktionsmaßnahmen, Image und gemeinsamer Strategie, stellte sich 1997 / 1998 aufs Gleis und startete im Jahre 2000 dann richtig durch. Es wurde viel getan, vom Konsortium samt der überwiegenden Winzerschaft, neben den damals zunehmend avisierten Übersee-Märkten auch für den deutschen Stamm-Markt.
Die Qualität ist heute in der Breite ausgezeichnet, die Auswahl an Produzenten ist so groß, dass man die wenigen Mengen- und Großerzeuger als Chianti-Freund problemlos umschiffen kann. Und selbst deren Weine sind heute kein Ausfall mehr und bestehen meist auch noch auf jeder Grill-Party.
Ob 8,90,- € oder 10,- € eine Käufer-Schallmauer abbilden, ist wohl den unterschiedlichen Verkaufsstätten zuzuordnen. Tatsächlich drängt sich das große Angebot bereits ab 11,- Euro dicht an dicht. Mindestens ab 12,- Euro bekommt man schon richtig gute Einstiegs-Weine, von kleineren und mittelgroßen, Inhaber-geführten Betrieben, viele davon sogar bereits Bio-engagiert. Von da aufwärts sind die Schritte klein, ab 15,- Euro wird es schnell auch immer feiner. Mit 17,- bis 19,- Euro sind wir in der Regel bereits bei den Besten angelangt – Weine, die heute im Keller – wer will – locker 10 Jahre liegen können; als Annata wohlgemerkt.
Wer sich vornimmt als Weinfreund, das Thema Chianti Classico für die nächsten Jahre leidenschaftlich zu durchdringen, wird bald erkennen, das die berühmtesten, bekanntesten Namen keinesfalls auch das beste Preisleistungs-Verhältnis abbilden. Eher im Gegenteil. In keiner Region des Stiefels wird es deutlicher, wie sehr sich etablierte, größere und Prestige-gewöhnte Güter um Image, Etikett und Storytelling bemühen müssen, um ein paar Euro mehr für die Jahrgangs-Weine zu erzielen. Es gibt einfach bereits zu viele schöne Alternativen aus fleißigen, aber bislang weniger exklusiven Kellereien. Das nennt man wohl Wissenstransfer – und der ist erfreulicherweise in ganz Italien längst durch die Keller gegangen, und findet ständig weiter statt.
Die Antwort auf diese Konkurrenzsituation war, nach der 2000er Initiative, die irgendwann leider “italienisch” nicht konsequent weiterentwickelt wurde, schließlich die Gran Selezione. Die bis heute auch vor Ort im Gebiet bei genügend Winzern umstritten ist. Das Auseinanderziehen der Qualitätsstufen, oder soll man sagen, Aufspreizen, war eine weitgehend rein ökonomische Maßnahme. Die erhoffte Aufwertung der gesamten Produktion im Gebiet ist vielen weiterhin fraglich, Chianti Classico Annata kann kaum Mitnahme-Effekte verzeichnen, der Riserva ergeht es ebenso.
Bleibt also die Frage nach der Qualität der ganz oben aufgesetzten “Gran Selezione”, in dieser damit neu geschaffenen Mini-Pyramide. Und die ist auch derzeit umstritten. Die meisten “GS” sind eben nicht besser in der gesamten Güte, als die Riservas zuvor. Eher handelt es sich um eine erweiterte Ausprägung im stilistischen Rahmen. Und die gefällt, für nun mehr Geld, bisweilen wohl nicht jedem. Warum auch: solange es Riservas gibt, die es immer noch besser und dabei günstiger können, wird es die GS erst mal weiter schwer haben, jedenfalls am deutschen Markt. Überhaupt zielt man offenkundig, weiter geblickt, mit dieser neuen Kategorie sehr auf solvente Klientel in Übersee und Asien. Auch wenn diese Märkte gerade unvorhergesehen absackten.
Fragt man die Winzer, die keinen “GS” produzieren, nach dem Warum, ist die Antwort erfrischend einfach:
“Ich habe keine besseren Trauben als meine besten Trauben bisher. Ich bin glücklich mit meiner Annata, und ich bin glücklich mit meiner Riserva. Und Bio bin ich sowieso schon. Was soll mir eine Gran Selezione bringen, außer mehr Verkaufsarbeit und Stress!” [sic]
Das so eine neue Kategorie bei Weinsuchern auf die Einkaufsliste kommt, liegt auf der Hand – auch ich habe nach Einführung neugierig probiert, was mir an “GS” in die Finger kam. Ob sich das als feste Größe hier am deutschen Markt – mit den Preisvorstellungen – dauerhaft etablieren kann, wird man in Jahren erst besser beurteilen können. Just vor Tagen kam z. B. eine Händler-Werbe-Mail mit einer “GS” im Angebot an, allen Ernstes mit der Beschreibung, dieser Wein entstehe aus “…noch besseren Trauben”! Nun denn, doch allein man darf fragen, wo die bloß plötzlich herkamen?
Ob Brunello-Liebhaber neuerlich ggf. tatsächlich ungeniert auf “GS” umschwenken, kann man vermutlich schwer belegen. Aus meiner recht langen italophilen Erfahrung gilt dem Kenner und Brunello-Liebhaber meist:
Ein Brunello ist ein Brunello ist ein Brunello.
Im Übrigen kann ich aus den Verkostungen der letzten Jahre festhalten, dass nicht wenige Gran Selezione regelrecht “overdone” daher kamen, als hätte man es aufs Äußerste mit dem Lesezeitpunkt ausgereizt, und im Keller bei der mikrobiologischen Ausbeute es bis zum Maximal-Anschlag getrieben. Port, Madeira, Amarone – sollten eigentlich keine Assoziationen sein, die einem bei einem Rotwein aus der Chianti Classico-Zone durch den Kopf gehen. Trotzdem zeigten sich manche Verkoster wohl simpel beeindruckt, bei so praller Reife und wuchtiger wie breiter Fülle. Ob das dem eigentlichen Charakter-Kern eines auf Sangiovese basierenden Chianti-Weins und seiner Typizität gerecht wird?
Den Schwarzen Hahn verstehe ich übrigens nicht als Folklore, die Classico-Winzer, die ich privat kenne, ebenso nicht. Natürlich sind unter dieser Flagge auch ein paar magerere Abfüller und “Fabrikanten” dabei, aber einen echten Fake liefert heutzutage, wie schon erwähnt, wohl keiner mehr ab. Der große, überwiegende Teil liefert dafür hohe Qualität. Der Gallo Nero hat somit durchaus eine Botschaft zu transportieren, von Geschichte und Entwicklung, vor allem auch eine klare geografische Beschreibung, was insgesamt eine geo-kulturelle Verortung von Mensch und Landwirtschaft und Erzeugnissen ermöglicht – und die natürlich auch mit einer Vorstellung von Qualitäts-Versprechen einhergeht.
Zum Schluss noch:
Sehr erfreulich ist oben von Herrn Heimrich zu lesen, dass man die meist bekannten Verkoster-Bewertungen dem Kunden als Orientierung zitiert, allerdings Luca Maroni weglässt.
Das stimmt derzeit leider nicht, es finden sich Maroni-Punkte in bestimmten Einzel-Treffern der Weine, wie auch in der Kriterien-Auswahl zur selektiven Artikel-Suche als zu markierende Option. Kann man sicher simpel ändern.
Der Ansatz ist in jedem Fall richtig und gut. Die Punkte-Regen-Agentur Maroni ist sicher die schrill-lustigste aller Geschäftsideen rund um Wein in der jüngeren Vergangenheit, wären nur die absurden Über-Bewertungen für viele eher profane Weine nicht so irritierend.
Zusammengefasst: Ja, der Aufwand und die Qualität sind im Classico-Gebiet, und natürlich auch in den Chianti-Zonen außerhalb, in 20 Jahren weiter gewachsen, man bekommt heute sehr viel guten und sehr guten Wein zu durchaus moderaten Preisen, auch im internationalen Vergleich. Und ebenso auch Riserva-Weine. Bei den Gran Selezione muss sich wohl jeder selber vortasten, und sollte dabei vielleicht auch immer aufs Preisschild achten. Ich für meinen Teil, der ich schon lange einen blitzsauberen, kernigen Chianti sehr schätze, vermisse eigentlich nichts dergleichen – so viele schöne Annata und viele feine Riservas gibt es, in großer Auswahl, zum schwungvollen Trinken wie auch zum reinen Genießen.
Mit besten Grüßen aus Berlin
Michael Holzinger
Stimme Ihnen weitgehend zu, aber nicht, was Qualität und Charakter der Gran Selezione angeht. Durch parzellengenaue Selektion und durch noch rigorosere Ertragsbeschränkungen ist die GS besser als die bisherige Riserva (oder kann es sein). Stilistiken, die in Richtung Portwein, Madeira, Amarone habe ich noch nicht gefunden.