Es fängt schon mit der Farbe an: kein Goldschimmer, nicht einmal ein richtiger Gelbschimmer. Der 1991er Terlaner Rarity ist fast wasserhell. Und das, obwohl er 24 Jahre im Edelstahltank gelegen hat und davor 1 Jahr im (grossen) Holzfass gereift ist. Auch das Bouquet ist ohne Duft-Patina: Hefenoten, reifer Apfel, frische Feigen, im Hintergrund nasse Kieselsteine und Algen. Keine Petrolnote, wie bei alten Rieslingen und Chardonnays häufig der Fall.
Keine Oxydation. Und auch am Gaumen ist er noch richtig frisch: die Säure lebendig, die Frucht ohne jede Firnis. Tertiärnoten sind höchstens ansatzweise erkennbar. Dieser 1991er, eine Cuvée aus (überwiegend) Weissburgunder, Chardonnay und Sauvignon blanc, ist ein Wein von disziplinierter Fülle, dicht gewoben und von faszinierender Länge.
Rudi Kofler, der Kellermeister, der ihn in den letzten Jahren „betreut“ und schliesslich gefüllt hat, ist sogar überzeugt: „Wir haben ihn ein wenig zu früh gefüllt, in fünf Jahren wäre er noch besser.“
Laut Lehrbuch müsste er längst hinüber sein
Dass ein Wein so lange unbeschadet im Stahltank überstehen kann, ist in der Theorie eigentlich nicht vorgesehen und kommt in der Praxis höchst selten vor. Gerade Weissweine altern schnell – zumindest schneller als vergleichbare Rotweine. Und dieser 1991er Terlaner ist weder hoch geschwefelt noch weist er eine hohe Säure auf. Der Wein hat auch keine Restsüße, die ihn konservieren könnte. Er ist weitgehend durchgegoren. Laut Lehrbuch müsste er längst hinüber sein.
„Wir glauben, dass unser Terroir eine grosse Rolle für die Langlebigkeit spielt“, vermutet Kofler. Die Reben sind in 400 bis 500 Meter hohen Weinbergen im Etschtal gewachsen, gerade oberhalb des Dörfchens Terlan. Die Böden dort oben bestehen aus subvulkanischem Quarzporhyr, sind mager und leicht. Die Kellerei, eine privatwirtschaftlich agierende Genossenschaft, hat sie untersuchen lassen und ist der festen Überzeugung, dass dieses Terroir, so Kofler, „für die Feinheit und Langlebigkeit unserer Weine verantwortlich“ ist.
Gibt es ein Anti Ageing-Gen für Weine?
Was Menschen gerne hätten, aber selten haben, ein Anti Ageing-Gen, scheint dieser Terlaner reichlich zu besitzen. Doch damit ein Wein 25 Jahre lang seine Jugendlichkeit bewahrt, muss aber noch etwas mehr als ein entsprechendes Gen vorhanden sein.
So wurde dieser 1991er (der damals von dem legendären Terlaner Kellermeister Sebastian Stocker gekeltert worden war) nur aus hochwertigem Vorlaufmost vergoren. Pressmost wurde ihm nicht hinzugefügt. Es war mithin kein Wald- und Wiesenwein, den Stocker heimlich in einem kleinen Stahltank im dunkelsten Teil des Kellers aufbewahrte, um der Nachwelt zu beweisen, wie gut die Terlaner Weine altern können.
Das lange Hefelager hat eine Rolle gespielt
Sicherlich hat das lange Hefelager auch eine wichtige Rolle gespielt. Bei der Auflösung abgestorbener Gärhefen durch weineigene Enzyme wird unter anderem Stickstoff freigesetzt. Stickstoff schützt jeden Wein vor Oxydation, sprich: Alterung. Autolyse nennen Weinchemiker diesen Vorgang. Er dürfte ebenfalls für die unglaubliche Alterungsfähigkeit dieses Weins verantwortlich gewesen sein.
Übrigens zeichnen sich alle Terlaner Weine durch eine ungewöhnliche Langlebigkeit aus. Ein kleiner Teil der Produktion wird regelmässig erst nach fünf oder zehn Jahren auf den Markt gebracht. Lagenweine wie der Weissburgunder „Vorberg“, der Sauvignon „Quarz“ und die Cuvée „Nova Domus“ bleiben zwei Jahre im Keller, bevor sie freigegeben werden – und dann beginnt erst die Verfeinerungshase auf der Flasche. Nur die klassischen Rebsortenweine werden jung gefüllt und verkauft. Sie machen 90 Prozent der Produktion aus. Aber niemand verbietet es, auch diese Weine länger zu lagern.
Hätte man den Wein schon früher füllen sollen?
Mancher Weintrinker wird sich fragen, ob es Sinn macht, einen Wein so lange im Keller zu lagern, oder ob es nicht besser gewesen wäre, ihn schon vor 20 oder wenigstens vor zehn Jahren auf den Markt zu bringen. Sicher ist, das 1991er Terlaner Rarity den Weinliebhabern auch da schon ein grosses Genusserlebnis beschert hätte. Aber so raffiniert wie heute wäre er wohl nicht gewesen: abgeklärt und von allen vordergründigen Aromen befreit, in sich ruhend, von grosser Aromentiefe.
Insgesamt wurden vom 1991er Terlaner Rarity 3.340 Flaschen gefüllt. Sie kommen ab März in den Verkauf. Das Etikett ist aus Silber, der Preis für Endverbraucher wird bei über 200 Euro liegen. Und es wird nicht der letzte Rarity-Wein sein. In einem speziellen Keller in Terlan warten noch 15 weitere herausragende Jahrgänge aus den letzten 30 Jahren auf die Füllung – der älteste ein 1979er. Kein anderes Weingut der Welt hat so alte Weine unabgefüllt im Keller.