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Ein Wein im Gerede: Hannes Reeh und sein Zweigelt Unplugged

Mit 17 trug Hannes Reeh schulterlange Haare. Er schwärmte für die Musik der Grunge-Band Nirvana. Deren Album „Unplugged“ war für ihn eine Offenbarung. Wein fand er damals nicht so furchtbar interessant.

Heute, mit 33, sind die Haare nicht mehr ganz so lang, und statt der Musik ist der Wein in den Mittelpunkt seines Lebens gerückt. Hannes Reeh hat vor fünf Jahren das elterliche Weingut in Andau übernommen und kümmert sich seitdem um Zweigelt, Blaufränkisch, Cabernet Sauvignon, Merlot, Chardonnay, Welschriesling, Zuckerrüben – also alles, was in der tellerflachen Ebene hinter dem Neusiedler Sees wächst. Doch seine Weine sind völlig anders als die Weine, die seine Familie früher kelterte. Anders auch als die, die viele Kollegen machen. Unplugged nämlich. So steht es groß auf dem Etikett.

Nicht dem burgenländischen Rotweintrend gefolgt

Weinberge in AndauIn der Musik bedeutet unplugged unverstärkt. Ohne elektrische Effekte, was Klang und Lautstärke angeht. Beim Wein bedeutet unplugged ungeschönt, unfiltriert, spontan vergoren. So jedenfalls interpretiert Hannes Reeh den Begriff. Nirvana lässt grüßen. Das Erfreuliche daran ist, dass die Unplugged-Weine nicht dem Rotweintrend folgen, der im österreichischen Burgenland so populär ist: Sie kommen nicht als Blockbuster daher, als Weine, die sich durch Fülle, Konzentration und hohen Alkoholgehalt auszeichnen.

Der Seewinkel, wie die Gegend zwischen Neusiedlersee und ungarischer Grenze heißt, ist das regenärmste und heißeste Anbaugebiet Österreichs. Man könnte es als die Fortsetzung der ungarischen Puszta auf österreichischen Boden bezeichnen. Der Untergrund ist kleinschotterig und sandig. Wein wuchs auf diesen Böden schon immer. Berühmt sind heute vor allem die Beeren- und Trockenbeerenauslesen, die Weltruf genießen. Man denke an Alois Kracher.

Letztes Straßendorf vor der ungarischen Grenze

Andau ist das letzte Straßendorf vor der ungarischen Grenze. Der See ist weit entfernt, die Hitze dort eher trocken. Edelfäule bildet sich selten auf den Trauben. Süßweine können in Andau praktisch nie erzeugt werden. Die Winzer konzentrieren sich daher auf die trockenen Weine, vor allem die roten, und da ganz besonders auf die österreichische Haussorte Zweigelt.

Auch bei Hannes Reeh dominiert der Blaue Zweigelt, wie die Sorte korrekt heißt. Er macht aus ihr Weine ganz unterschiedlicher Stilistik. Erst einmal den normalen, klassischen Zweigelt, fruchtig, säurearm, nur im Stahltank ausgebaut: ein süffiger, unkompliziert zu trinkender Wein, der das Portemonnaie schont und dem Gaumen schmeichelt.

Cuvée Heideboden – ein Bestseller

Dann eine Cuvée namens Heideboden, in der die Sorte Zweigelt rund 60 Prozent ausmacht: ein anspruchsvollerer, geschmacklich komplexer, teilweise im kleinen Holzfass gereifter Wein, der samtig über den Gaumen läuft. Für Leute, die weinige Aromen lieben und auf jedwede Ecken und Kanten verzichten können, ist dieser Rote gerade richtig. Er muss nicht lange gelagert, nicht dekantiert werden: Man schraubt die Flasche auf und genießt. In Deutschland ein Bestseller.

Flasche Heideboden
Flasche Heideboden

Zuletzt der Zweigelt Unplugged, der Spitzenwein: straff gewirkt mit reicher, immer frischer Frucht, schöner Textur, breitem Aromenspektrum. Es dominieren der typische Mon Chérie-Geschmack: Kirsche und Schokolade, dazu eine leicht pfeffrige Würze, im Hintergrund ein zarter Neuholzton.

„Wenn du 15.000 oder gar 20.000 Kilogramm Trauben pro Hektar erntest, kriegst du einen Operettenwein“, sagt Reeh. „Wenn du aber nur 6.000 Kilo produzierst, kommt was Gutes raus.“

Zweigelt Unplugged – der Spitzenwein

Etikett Zweigelt UnpluggedBesonders wenn man viele Rebstöcke hat, die 25 Jahre und älter sind. Allerdings tun dem Zweigelt Unplugged zwei, drei Jahre gut, bevor der Korken ploppt. Dann ist das Holz besser eingebunden, und die kleinen Ecken und Kanten haben sich abgeschliffen. Der Jungwinzer meint sogar, der Unplugged hätte ein Lagerpotenzial bis 2032. Jugendliche Übertreibung. Selbst wenn das Lagerpotenzial existierte – es macht wenig Sinn, einen säure- und tanninarmen Wein wie den Zweigelt so lange aufzubewahren, dass die Frische weg ist und er nur noch nach Champignons, Bratensauce und Maggi schmeckt.

Inzwischen ist Unplugged das Markenzeichen von Hannes Reeh geworden. Unübersehbar prangt der Begriff auf einer Säule vor dem neuen Weingut.  Neben dem Zweigelt produziert er einen Blaufränkisch, einen Merlot, einen Cabernet Sauvignon und einen Chardonnay nach Unplugged-Prinzip. Aber mit seinem Zweigelt hat Reeh am meisten Aufsehen erregt: in Österreich wegen seiner Stilistik, in Deutschland wegen des Verkaufsverbots.

Der Begriff Unplugged ist in Deutschland geschützt

Hierzulande ist der Begriff „unplugged“ nämlich gesetzlich geschützt. Martin Tesch aus Langenlonsheim an der Nahe hat ihn als Marke für seinen Riesling registrieren lassen. Reehs Unplugged-Weine dürfen deshalb in Deutschland nicht unter diesem Begriff auf den Markt kommen. Wer sie haben will, muss sie ab Weingut kaufen oder bei einer der österreichischen Interspar-Filialen bestellen, die sie auch nach Deutschland schicken.

In Österreich wird dieser Wein durchaus kontrovers diskutiert. Die ihn lieben, loben die gezügelte Fülle und Präzision. Andere finden ihn zu marmeladig. Reeh hat ein Praktikum in Australien gemacht und kennt sich mit marmeladigen Weinen aus. Sein Zweigelt Unplugged ist, findet er, weder marmeladig noch ein Blockbuster. Ist weit entfernt von der Opulenz des Schwarz Rot seines Nachbarn Johann Schwarz. Besitzt nicht die konfitürehafte Extraktsüße der Großen Reserve von Sepp Moser oder die explosive Kraft des Prädium von Erich Scheiblhofer – um drei große Zweigelt-Gewächse aus dem Seewinkel zu nennen.

Reehs Zweigelt kann Ecken und Kanten haben (soweit das bei einem Zweigelt möglich ist). Aber er ist nicht auf Schwere getrimmt. „I sog mal“, meint er in der breiten burgenländischen Welsch, „dass man die Herkunft und die Typizität der Ortschaft Andau, dass man des wirklich aus dem Glas ganz ehrlich und markant aussischmeckt…“

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Autor

Jens Priewe
Jens Priewe
Jens Priewe hat viele Jahre als Politik- und Wirtschaftsjournalist gearbeitet, bevor er auf das Thema Wein umsattelte. Er schreibt Kolumnen für den Feinschmecker und für das schweizerische Weinmagazin Merum. Für den Weinkenner, dessen Gesellschafter er ist, hat er seit der Gründung über 200 Artikel beigesteuert. Außerdem ist er Verfasser mehrerer erfolgreicher Weinbücher (u. a. „Wein – die grosse Schule“, „Grundkurs Wein“). Er stammt aus Schleswig-Holstein, lebt aber seit fast 40 Jahren in München.

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