Adlerfisch mit Austerntapioka, Quinoa und Ananaschutney – das Gericht, das im Restaurant Dallmayr in München serviert wurde, sollte dem Anlass angemessen sein: der Premiere des Dom Ruinart Blanc de Blancs, Jahrgang 2002. Diesem Luxus-Champagner, der zu 100 Prozent aus Chardonnay-Trauben gekeltert wurde und über acht Jahre in den Kreidekellern unter der Stadt Reims in der Flasche auf der Hefe gelegen hat, geht der Ruf voraus, einer der feinsten Schaumweine der Welt zu sein.
Eine Kombination aus Glanz, Intensität, Eleganz
Einer der teuersten auch: 150 Euro sind eine klare Ansage. Die Marketing-Experten von Ruinart haben für ihn eine griffige Formel gefunden, er sei „eine Kombination aus Glanz, Intensität und Eleganz“. Klingt nach feierlich. Also habe ich mir ein weißes Hemd angezogen, eine Krawatte umgebunden, den Computer runtergefahren und bin zum Dallmayr gegangen.
Frédéric Panaïotis, der Kellermeister von Ruinart, war schon da. Zwei Dutzend Händler und Gastronomen auch, ein paar Journalisten ebenfalls. Einer von ihnen sollte später sagen, nicht alle Anwesenden seien der Qualität dieser Champagner gewachsen gewesen. Mag sein. Aber man weiß ja inzwischen auch, dass nicht jeder Banker dem Nadelstreif gerecht wird, den er trägt.
Ruinart hebt sich von der Massenproduktion ab
Ruinart ist ein feines, aber kleines Champagnerhaus. Es produziert nur 150.000 Flaschen. Wer die Weinliteratur studiert, stößt immer wieder auf zwei Feststellungen. Die erste lautet, Ruinart hebe sich von den Massenprodukten der Marken-Champagner deutlich ab. Die zweite: Der Ruinart-Geschmack sei – fast paradox – durchaus massenkompatibel. Gemeint ist wohl: die knackige Frische, die Harmonie, die feine, leichte Art, die die Champagner dieses Hauses auszeichnet.Aber gilt das auch für die Jahrgangs-Champagner der Dom-Linie? Etwa den 2002er Dom Ruinart Blanc de Blancs? Das Wort „massenkompatibel“ kommt Monsieur Panaïotis bei diesem Champagner nicht über die Lippen. Er sagt nicht einmal, was Kellermeister bei solchen Anlässen immer sagen: dass dieser Dom Ruinart ein großer Wein sei. Das wäre ihm zu banal.
Zwar sieht Monsieur Panaïotis wie ein junger Buchhalter aus, der die zu weit geschnittenen Anzüge des Vaters aufträgt. Doch Vorsicht! Der Mann ist gedankenschnell, wortgewandt und hintergründig.
Der 2002er Blanc: Die Messlatte liegt hoch
„Er ist wie 1990 und 1982“, weiß er den 2002er Dom Ruinart smart zu umschreiben. Champagner-Liebhaber wissen sofort: zwei exzellente Jahrgänge, die, betrachtet man die letzten drei Jahrzehnte, nur von 1996 und 2008 übertroffen wurden. Wenn 2002 also ähnlich langlebige und feine Champagner hervorgebracht hat wie 1982 und 1990, liegt die Messlatte hoch bei diesem Wein.
Eines fällt am 2002er Dom Ruinart Blanc de Blancs jedenfalls sofort auf: die helle Farbe. Trotz seines Alters zeigt er nur einen ganz leichten Gelbschimmer. Er ist – ungewöhnlich für Prestige-Champagner, aber typisch für Ruinart – nie mit Holz in Berührung gekommen. Er vergärt und reift nur in Stahltanks und auf der Flasche. Ältere Réserve-Weine werden ihm nicht hinzugefügt. „Er hat kaum Patina angesetzt“, konstatiert Panaïotis.
Beste Chardonnay-Lagen an der Côte des Blancs
Dann das Bouquet. Panaïotis sagt: „reiche Mineralität“. Das darf man freilich erwarten bei einem Champagner seiner Preisklasse. Die Trauben für den Dom Ruinart kommen ausschließlich von Grand Cru-Lagen, und zwar zu 72 Prozent von der Côte des Blancs, wo sich die besten Chardonnay-Standorte der gesamten Champagne befinden. Der Boden besteht dort teilweise aus reiner Belemnit-Kreide. Nirgendwo ergibt die Chardonnay-Traube finessereichere Weine als dort. Nirgendwo sind die Trauben teurer. Und Ruinart besitzt nur wenige eigene Weinberge. 90 Prozent des Leseguts muss zugekauft werden.
Leute, deren Gaumen auf Riesling, Silvaner, Grüner Veltliner oder Sauvignon blanc geeicht ist, werden sich mit der „reichen Mineralität“ dieses Champagners vielleicht schwertun. Sie werden am Dom Ruinart die Frucht vermissen. Stattdessen „Austernschalen, Algen, Jod, nasse Kreide“ – so steht es auf meinen Probenzettel. Nicht sehr appetitlich. Dazu ein Hauch von Bergamotte (eine Kreuzung aus Zitronen und Bitterorangen) und Kafirblättern (kennt man als Zitronengewürz aus der Thai-Küche). Und von Bisquit. So bezeichnet man den Hefegeschmack, den alle Champagner aufweisen, die lange auf der Flasche gelegen haben. Doch im Mund verschmilzt alles miteinander. Selbst die Säure, die diesen Champagner wie ein Adergeflecht durchzieht, ordnet sich seiner Cremigkeit unter.
Eine Flasche kostet zwei Tankfüllungen
Wenn Ihnen, liebe Leser, diese Beschreibung phantasiereich oder bizarr vorkommt, vergessen Sie sie. Leisten Sie sich, so Sie neugierig sind, den Luxus einer Flasche dieses Jahrgangs-Champagners und schmecken Sie selbst genau hin. Ich weiß, er kostet den Gegenwert von zwei Tankfüllungen. Und ich kann Ihnen noch nicht einmal versprechen, dass er Ihnen wirklich schmecken wird. Aber im Gegensatz zu den Tankfüllungen wird er Ihnen eine bleibende Erinnerung sein.
Monsieur Panaïotis, der Kellermeister, ist jedenfalls hochzufrieden mit dem 2002er. Er müsste es nicht sein. Der 2002er ist in der Verantwortung seines Vorgängers entstanden. Der 47-Jährige ist erst 2007 zu Ruinart gekommen. Im Gegensatz zu vielen anderen Önologen, Kellermeistern, Winzern, die über ihre Weine reden wie ein Ingenieur über den Otto-Motor, besitzt Panaïotis Sprachwitz und Esprit. „Die Hälfte der Zeit, die ich bei Ruinart sein werde, muss ich mit den Weinen meines Vorgängers leben“, witzelt er. „Das zweite Drittel mit meinen Weinen und das dritte mit den Weinen der Frau, die meine Nachfolgerin werden wird.“
Kellermeister mehr auf Reisen als im Keller
Er spielt darauf an, dass alle großen Champagnerhäuser händeringend nach Frauen für den Job des Kellermeisters suchen. Frauen verkosten gut, sind vielsprachig und besitzen gegenüber ihren männlichen Mitbewerbern oft jenes Quäntchen an Charme mehr, das nötig ist, um das Champagnerpublikum zum Prickeln zu bringen. Was wenige wissen: Einen Großteil des Jahres verbringen die Kellermeister der Champagnerhäuser auf Reisen, den Rest im Büro oder im Labor. Den Keller betreten sie selten.
Weiter geht es zum 1998er Dom Ruinard Rosé, dem zweiten Wein der Dom-Linie. Er besteht zu 85 Prozent aus demselben Grundmaterial wie der Dom Ruinart Blanc. 15 Prozent sind Pinot Noir – daher die zwiebelrote Farbe. Dieser Champagner hat fast 12 Jahre auf der Hefe gelegen und kommt erst jetzt in den Verkauf – für knusprige 220 Euro pro Flasche. Mindestens. Wider Erwarten kein Hauch von Unfrische, gar von Oxydation. Statt reicher Mineralität brilliert er mit Opulenz und erdiger Würze: „Am besten man trinkt ihn aus einem Rotweinglas mit großem Kelch“, rät Monsieur Panaïotis.
1998 Dom Rosé: „Die Konsumenten werden ihn lieben.“
Den Anwesenden schmeckt er auch aus einem Champagnerglas. Sehr gut sogar. Auch mir. Ich kannte zu diesem Zeitpunkt ja noch nicht den 1996er und den 1990er des Dom Ruinart Rosé. Sie wurden erst später ausgeschenkt. Danach war mir allerdings klar, dass der 1998er im Vergleich zu diesen Rosé-Ikonen schon relativ weit fortschritten ist in seiner Entwicklung. Seinen Höhepunkt hat er im Grunde schon erreicht. Monsieur Panaïotis nickt und lässt uns lächelnd wissen: „Die Konsumenten werden ihn deshalb umso mehr lieben.“
Ansonsten ist der Kellermeister von dem Gericht begeistert, das Dallmayr-Chefkoch Urbanski zum 1998er Dom Ruinart Rosé kreiert hat: Skrei mit Roter Bete und Sawark-Peffer. Skrei ist Februar-Kabeljau, Rote Bete sind das geschmackliche Pendant zu der erdigen Würze dieses Champagners. Was Sawarak-Pfeffer ist, weiß ich nicht. Aber Pfeffer ist zweifellos auch in diesem Wein. Reichlich.
Die 1996er und 1990er kamen, wie gesagt, danach. Wer sie getrunken hat, versteht, weshalb Champagner-Kenner vom Blanc de Blancs begeistert, aber vom Rosé besessen sind.
Auch die einfachen Ruinart-Champagner hervorragend
Fast hätte ich es vergessen: Es wurden zu dem kleinen Mittagessen natürlich auch der einfache Blanc de Blancs und der einfache Rosé von Ruinart ausgeschenkt. Mit ihnen macht das Champagnerhaus sein Hauptgeschäft (und mit dem Ruinart R). Hätte ich nur sie getrunken, wäre ich am späten Nachmittag als zufriedener Mensch nach Hause gegangen. So aber bin ich als glücklicher Mensch heimgekehrt, mit hängender Krawatte zwar, aber mit der Gewissheit, dass Arbeit auch schön sein. Den Computer habe ich allerdings nicht mehr hochgefahren.