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Der Jahrgang 2019 in Bordeaux: Endlich mal wieder richtig sexy!

Die Subskriptions-Kampagne für den Bordeaux-Jahrgang 2019 ist angelaufen. Der Ruf, der dem Jahrgang vorauseilt, reicht von très bon bis formidable. Besonders die Merlot-Traube scheint bisher nie erreichte Qualitäten zu zeigen, was bedeutet, dass das Rechte Ufer mal wieder die Nase vorn hat. Leider konnten wegen der Covid 19-Pandemie diesmal nur wenige Händler und Kritiker die neuen Weine direkt auf den Châteaux verkosten. Die meisten mussten sich mit echantillons – Fassproben in kleinen Fläschchen – zufrieden geben, die ihnen zugeschickt wurden. Andrew Black, der in Bordeaux lebt, gehörte zu den wenigen, die die Weine vor Ort verkosten und mit den Château-Besitzern sprechen konnte. Übrigens: Die ersten Offerten zeigen, dass der Jahrgang 2019 zwischen 20 und 30 Prozent niedriger gehandelt wird als der Vorgänger-Jahrgang.

 

Vieux Château Certan, Pomerol

Alexandre Thienpont
(©Vieux Chateau Certan)

Zum Château gehören 14 Hektar Rebfläche, die zu 70 Prozent mit Merlot, 25 Cabernet franc, 5 Prozent Cabernet Sauvignon kultiviert sind und auf sandigem Tonschiefer wachsen. Das Alter der Reben liegt über 50 Jahren. Das Anwesen gehört der Familie Thienpont (Mitbesitzer), der auch das benachbarte Le Pin gehört. Alexandre Thienpont, 64, steht der Familie und damit auch dem Weingut vor. Die jüngeren Jahrgänge kosten zwischen 290 und 350 Euro pro Flasche.

Andrew Black 2019 war ein sehr warmer Jahrgang. Normalerweise haben die Weine aus solchen Jahren eher eine niedrige Säure

Alexandre Thienpont Säure ist ein Merkmal des Vieux Château Certan in 2019. Die Erklärung dafür liegt in den kühlen Nächten während der Reifephase. Sie haben dafür gesorgt, dass die Säure in den Trauben erhalten bleibt.

Andrew Black 14,5 Vol.% Alkohol und hohe Säure – das erinnert an den 2010er.

Alexandre Thienpont Alle auf dem Château sind der Meinung, dass der 2019er dem 2010er und dem 1998er ähnelt – zwei wunderbare Jahrgänge in Pomerol.

Andrew Black Aus heutiger Sicht: Ist der 2010er immer noch so gut wie anfangs geglaubt?

Alexandre Thienpont Er ist sogar besser als die Leute anfangs geglaubt haben. Er trinkt sich heute wunderbar, viele sagen, besser als der 2009er, obwohl der damals noch mehr Begeisterung hervorgerufen hatte.

Andrew Black Wer ist Ihrer Meinung nach besser: der 2019er oder der 2018er?

Alexandre Thienpont
Im Moment würde ich sagen der 2019er. Aber meine Meinung kann sich natürlich ändern. Sicher ist nur, dass es sich um zwei große, wenngleich unterschiedliche Jahrgänge handelt. Der 2019er ist hocharomatisch und von vibrierender Frische. Merlot und Cabernet Sauvignon waren großartig. In 2018er ist es vor allem der Cabernet franc, der das i-Tüpfelchen gesetzt hat.

Andrew Black Wie lautet der endgültige Zusammensetzung der Cuvée in 2019?

Alexandre Thienpont 78% Merlot, 15% Cabernet franc, 7% Cabernet Sauvignon.

Andrew Black Das ist viel Cabernet Sauvignon für einen Pomerol…

Alexandre Thienpont Wir benutzen so viel Cabernet Sauvignon nur in Ausnahmefällen. 1998 war zum Beispiel so eine Ausnahme. Da haben wir sogar 10 Prozent gehabt. In 2019 steuert die Cabernet Sauvignon Eleganz, Komplexität und aromatische Länge bei. Das eigentliche Phänomen war für uns in 2019 aber die Merlot. Die bringt diesmal die Frische mit.

Andrew Black War es schwierig, die Cuvée zusammenzustellen?

Alexandre Thienpont Diesmal überhaupt nicht. Alle Sorten waren reifemäßig sehr homogen und haben sich perfekt ergänzt. Das kommt selten vor. In 2019 hatten die Winemaker leichtes Spiel. Der Nachteil ist, dass wir kaum Lesegut für den Zweitwein hatten. Die Trauben waren diesmal zu gut für den Zweitwein.

 

Château La Conseillante, Pomerol

Das Château wurde 1871 von der Familie Nicolas erworben, in deren Händen es sich bis heute befindet. Der Besitz umfasst 12 Hektar Reben und ist zu 80 Prozent mit Merlot und 20 Prozent Cabernet franc bestockt. Die Böden bestehen größtenteils aus eisenhaltigem Lehm, zu einem kleineren Teil Sand und Kiesel. Michelle Gazaux ist seit 2015 die Weingutsdirektorin, beraten wird sie von dem Önologen Michel Rolland. Die jüngeren Jahrgänge kosten zwischen 160 und 250 Euro pro Flasche.

(©La Conseillante)

Andrew Black Bordeaux hat einen Lauf. Es ist schwierig zu sagen, welcher Jahrgang der beste ist, wenn man nicht in das alte Muster zurückfallen will und immer den jüngsten Jahrgang hypen will.

Marielle Cazaux Wir haben in der Tat einen Lauf in Bordeaux, und es ist sehr schwierig zu sagen, welcher Jahrgang nun der beste der letzten Jahre ist. Es ist zwar ein Cliché, wenn ich sage, jeder Jahrgang ist unterschiedlich und die Konsumenten sollen sich den Jahrgang aussuchen, der ihnen am besten schmeckt. Aber ich kann nun einmal nicht sicher sagen, dass dieser oder jener Jahrgang besser ist als der andere.

Andrew Black Manche Château-Besitzer sagen, 2019 sei noch besser als 2018?

Marielle Cazaux Beides sind großartige Jahrgänge und absolut pari, aber sehr verschieden. Im 2019er findet man die Frische des 2016ers und die Konzentration des 2018ers wieder. Er ist dicht gewoben, fleischig und besitzt viel Spannung. Very Pomerol. Die Tannine sind reif, gesund und gut verschmolzen – mengenmäßig etwas weniger als 2018. Aber high quality-Tannin.

Andrew Black Ist 2019 ein großes Merlot-Jahr?

Marielle Cazaux Der Cabernet franc ist sehr gut, der Merlot outstanding, geradezu „sphärisch“. Er bringt die Opulenz und den Charme. Aber das Verrückte ist: Nachdem wir beide Sorten geblendet hatten, passierte etwas Magisches. Es entstanden Synergien, wie wir sie nicht für möglich gehalten hatten. Die 2019er Cuvée besitzt eine Balance, die Merlot und Cabernet franc nicht haben, wenn man sie separat verkostet.

Andrew Black Trotz 14,5 Vol.% Alkohol?

Marielle Cazaux  Der Alkohol ist perfekt integriert. Der pH-Wert liegt bei 3,6.

Andrew Black Das ist ausgesprochen gut für einen Pomerol und verspricht ein langes Leben. Ich hoffe aber, dass der 2019er auch im jungen Stadium schon delikat zu trinken ist…

Marielle Cazaux Delikat schon. Aber wenn man die ganze Aromentiefe von La Conseillante und das typische Trüffel-Bouquet haben möchte, muß man schon zehn Jahre warten.

Andrew Black Ist es ein Zufall, dass La Conseillante auch jung schon so gut antrinkbar ist?

Marielle Cazaux  Wir haben unsere Vinfikationstechniken in den letzten Jahren verbessert. Wir extrahieren vorsichtiger als vor zehn Jahren. Die Gärtemperatur ist niedriger, die Maischestandzeit kürzer, die Wahl der Fässer genauer – alles ist optimiert und genau auf einen warmen Jahrgang wie 2019 abgestimmt.

 

Château Beauregard, Pomerol

(© Beauregard)

Zum Château gehören 17,5 Hektar Weinberge, bepflanzt mit Merlot (66%), Cabernet franc (30%) und Cabernet Sauvignon (4%). Im Jahre 2014 erwarben die Familien Moulin und Cathiard das Anwesen mit dem Ziel, einen der Güte der Böden entsprechenden großen Wein zu erzeugen. Die Umstellung auf Bio ist in vollem Gange. Vincent Priou arbeitet seit 25 Jahren für Beauregard und ist heute der Generaldirektor des Weinguts. Die jüngeren Jahrgänge kosten zwischen 50 und 80 Euro pro Flasche.

Andrew Black Während der Lese waren Sie überzeugt, dass der 2019er grosse Ähnlichkeit mit dem 2018er hat. Sind Sie immer noch der Meinung?

Vincent Priou Ja. Beide Jahrgänge sind hellfruchtig, charmant und höchst attraktiv, so dass man sie jetzt schon mit Genuss trinken könnte, wenn sie auf dem Markt wären.

Andrew Black Ist der 2019er auch so dicht gewoben wie der 2018er?

Vincent Priou  Definitiv. Der 2019er ist vielleicht etwas weniger aromatisch. Dafür ist die geschmackliche Länge des Weins größer. Ich sehe beide Jahrgänge auf Augenhöhe.

Andrew Black Eine Charakteristik der 2019er ist die Frische, die immer ein Resultat einer kräftigen Säure ist.

Vincent Priou  Wir haben eine gute Säurestruktur im 2019er, aber die Säure ist nicht so ausgeprägt wie beim 2016er beispielsweise. Bei der Vinifizierung mussten wir vorsichtiger vorgehen als 2018, um eine Überextraktion zu vermeiden. Einige Kerne waren nicht ganz reif.

Andrew Black Wie ist die Cuvée zusammengesetzt?

Vincent Priou Wie immer 70 Prozent Merlot und 30 Prozent Cabernet franc. In Zukunft werden wir aber auch Cabernet Sauvignon im Blend haben. Wir haben die Sorte in einer Parzelle gepflanzt, die vorher mit Merlot bestockt war. Der Boden dort ist kieselsteinhaltig, tiefgründig, trocken und ideal für Cabernet Sauvignon. Wir erwarten, dass unser Wein dadurch noch mehr Komplexität, mehr würzige Tannine und eine bessere Balance bekommt. Allerdings wird der Cabernet Sauvignon-Anteil 5 bis 6 Prozent nicht übersteigen.

 

Château Figeac, Premier Grand Cru Classé St. Emilion

Mit 40 Hektar Rebfläche ist Château Figeac das größte Weingut in St. Emilion. Die Böden bestehen überwiegend aus Sand und Flusskiesel, der teilweise bis in eine Tiefe von sieben Metern reicht. Bestockt ist die Rebfläche mit Merlot, Cabernet franc und Cabernet Sauvignon. Aus diesen Sorten besteht der Wein zu je einem Drittel. Das Weingut, das seit 1892 der Familie Manoncourt gehört, wird seit 2002 von Frédéric Faye geleitet, dem Technischen Direktor. Die jüngeren Jahrgänge kosten zwischen 180 und 250 Euro pro Flasche.

(©Figeac) 

Andrew Black Figeac hat in 2019 schon früh mit der Lese begonnen…

Frédéric Faye  Stimmt, der Merlot musste rein. Wir haben bereits am 13. September mit der Lese begonnen, um Frische und Eleganz nicht zu verlieren. Die Cabernets kamen dann eine Woche später dran. Jeder im Team, unsere Berater eingeschlossen, war der Meinung, dass die Cabernet franc diesmal außergewöhnlich gut war. Er besitzt Rasse und bringt Spannung in den Wein. Auch die Cabernet Sauvignon war perfekt.

Andrew Black Haben die späten Regenfälle dem Cabernet Sauvignon nicht geschadet?

Frédéric Faye Sie haben die Menge reduziert, aber die Qualität verbessert. Wegen der kleinen Beeren und der dicken Schale mussten wir sehr vorsichtig vinifizieren, um nicht zu viel Tannin in den Wein zu bekommen – also weniger Überpumpen während der der Mazeration und niedrigere Gärtemperaturen. Eine gute Tanninstruktur ist zwar wichtig für Figeac, aber immer in Balance mit der Frucht.

Andrew Black Wie sieht es in 2019 mit den Mengen aus?

Frédéric Faye Insgesamt haben wir auf Figeac 22 Prozent weniger Wein als im Jahr zuvor. Das entspricht etwa 32 Hektoliter pro Hektar. Aber entscheidend für uns ist die Qualität.

Andrew Black Wie würden Sie den Unterschied zwischen 2019 und 2018 beschreiben?

Frédéric Faye Die Jahrgänge sind sehr unterschiedlich. Für mich ist 2019 ein klassischer Bordeaux-Jahrgang. Er kommt dem 2010er ziemlich nahe. Er wird in den ersten Jahren jedoch sehr viel angenehmer zu trinken sein als dieser. Manche bei uns vergleichen ihn sogar mit dem 1982er. Die Tanninstruktur ist jedenfalls kräftiger als die des 2018ers. Er ist mineralischer und eher floral im Bouquet, während der Vorgänger mehr von dunklen Früchten geprägt war.

Andrew Black Ist das der Cabernet franc, der da durchscheint? Er macht mit 36 Prozent den größten Anteil am finalen Blend aus.

Frédéric Faye  Der Cabernet franc hat dem 2019er seinen Stempel aufgedrückt. Die Sorte ist tricky, aber wenn man sie in den Griff kriegt, liefert sie einen beeindruckenden, eleganten Wein, der spannungsreich und elegant ist – wie in 2019 eben.

Andrew Black Wenn der 2019er dem 2010er ähnelt, ist der 2018er dann näher am 2009er dran?

Frédéric Faye  Vielleicht. Der 2018er ist jedenfalls runder, charmanter, dichter gewoben.

Andrew Black Und der Vergleich mit dem 2016er?

Frédéric Faye Die Tanninsruktur des 2016ers ist besser. Aber die geschmackliche Komplexität ist beim 2019er grösser. Hinzu kommt, dass der neue Keller, in dem wir arbeiten, uns eine größere Präzision bei der Arbeit ermöglicht. Unser neues System der Temperaturkontrolle ist präziser, wodurch wir mehr Einfluss auf den Extraktionsprozess nehmen können. Aber schon vorher, bei der Prüfung des hereinkommenden Leseguts, können wir sehr viel genauer die Traubenqualität einschätzen. Das ist ein entscheidender Step in der Entwicklung der optimalen Aromatik. Auch beim späteren Blending gibt uns der neue Keller mehr Optionen. Das gesamte Fine Tuning ist optimiert. Schon beim Jahrgang 2018 haben wir diese Verbesserungen genutzt. Aber 2019 kamen sie voll zum Tragen. Der Ausdruck und die Eleganz des 2019er Figeac haben davon enorm profitiert.

 

Château Grand Corbin-Despagne, Grand Cru Classé St. Emilion

(© Grand Corbin – Despagne)

François Des­pa­gne, 52, ist Mit­be­sit­zer und Direk­tor des Châ­teau Grand Corbin-Despagne in St. Emilion. Zum Châ­teau gehö­ren 24 Hekt­ar Wein­ber­ge, die direkt an der Grenze zum benachbarten Pomerol liegen und aus sandigem, eisenhaltigen Lehm und verwittertem Sandstein bestehen. Der Grand Cru Clas­sé besteht nor­ma­ler­wei­se aus 75 Pro­zent Mer­lot und 25 Pro­zent Caber­net franc. Die jüngeren Jahrgänge kosten zwischen 30 und 38 Euro pro Flasche.

Andrew Black Was sind die Unterschiede des 2019ers zum 2018er und zum 2016er?

François Despagne Die Menge war etwas kleiner als in 2016, der Anteil des First Wine geringer. Was die Selektion der Trauben angeht, war 2019 ein einfacher Jahrgang, weil klar war, wo die besten Qualitäten zu finden sind. In 2018 waren alle Trauben perfekt, so dass die Entscheidung, was in den First Wine geht, sich viel schwieriger gestaltete.

Andrew Black Das heißt: Es gab in 2019 auch weniger gute Traubenpartien?

François Despagne Die Trauben, die von jungen Weinstöcken kamen, besaßen nicht die gleiche Aromentiefe und waren leichtgewichtiger. Interessanterweise war das in 2018 nicht so. Da sind auch die Trauben der jungen Stöcke in den First Wine eingegangen. So ist das mit Heranwachsenden: Manchmal benehmen sie sich schlecht, manchmal gut.

Andrew Black Wie würden Sie den 2019er beschreiben?

François Despagne Im Bouquet offenbart er eine große Bandbreite an frischen Fruchtaromen, auf der Zunge ist er seidig und elegant. Und insgesamt schon sehr zugänglich, das fällt am meisten auf. 2019 ist ein sexy Jahrgang. Der 2018er ist powerful, während der 2019er weich, verführerisch und elegant ist.

Andrew Black Wie würden Sie den 2019er einordnen im Vergleich zu 2015, 2016, 2017?

François Despagne Alle vier sind phantstische Jahrgänge. Wo genau sich der 2019er einordnet, wird sich zeigen. Im Moment würde ich ihn kurz unter den anderen drei ranken. Was mich besonders begeistert: Der Wein hat jetzt schon sein Profil entwickelt und ruht in sich. Jedes Element befindet sich bereits an dem Platz, an den es gehört. So besehen, erinnert er mich an den 2001er: Das war auch ein Jahrgang, der mit attraktiver Aromatik aufwartete, früh antrinkbar war und trotzdem gut altern konnte.

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Autor

Jens Priewe
Jens Priewe
Jens Priewe hat viele Jahre als Politik- und Wirtschaftsjournalist gearbeitet, bevor er auf das Thema Wein umsattelte. Er schreibt Kolumnen für den Feinschmecker und für das schweizerische Weinmagazin Merum. Für den Weinkenner, dessen Gesellschafter er ist, hat er seit der Gründung über 200 Artikel beigesteuert. Außerdem ist er Verfasser mehrerer erfolgreicher Weinbücher (u. a. „Wein – die grosse Schule“, „Grundkurs Wein“). Er stammt aus Schleswig-Holstein, lebt aber seit fast 40 Jahren in München.

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