Wissenschaftliche Stellungnahme zu unsinnigen Alkohol-Thesen

Wir hat­ten am 2. April 2018 auf wein­ken­ner über den Jah­res­be­richt der Deut­schen Haupt­stel­le für Sucht­ge­fah­ren berich­tet (“Fla­sche leer”), in dem vor Alko­hol in jeder Form und Men­ge gewarnt wird – Wein ein­ge­schlos­sen. Selbst ein Glas Wein pro Tag ber­ge Risi­ken für die Gesund­heit, lau­te­te das Fazit der Sucht­ex­per­ten. Sie beru­fen sich dabei auf eine wis­sen­schaft­li­che Meta­stu­die, die kürz­lich in der bri­ti­schen Mediz­in­fach­zeit­schrift The Lan­cet erschie­nen ist.

Wir auf weinkenner.de haben die War­nung der Haupt­stel­le als “unver­ant­wort­lich” und als klas­si­schen “Alar­mis­mus” bezeich­net. Jetzt hat der Wis­sen­schaft­li­che Bei­rat der Deut­schen Wein­aka­de­mie (DWA) eine Stel­lungs­nah­me zu dem Lancet-Artikel ver­öf­fent­licht, in der er sich kri­tisch mit der Stu­die beschäf­tigt und klipp und klar sagt, dass die Aus­sa­ge “Jedes Glas Wein sei schäd­lich”, mit der vor­lie­gen­den Ana­ly­se wis­sen­schaft­lich nicht beleg­bar ist. Wir ver­öf­fent­li­chen die Stel­lungs­nah­me hier im Wortlaut: 

Wie viel ist zu viel? Senkt bereits ein Glas Wein die Lebenserwartung?

Eine gro­ße Stu­die – genau­er eine Meta-Analyse pro­spek­ti­ver Kohor­ten­stu­di­en – im renom­mier­ten Fach­blatt The Lan­cet sorg­te in der letz­ten Woche für Unsi­cher­heit aller, die ger­ne ein Glas Wein trin­ken und jahr­zehn­te­lang davon aus­gin­gen, dass es ihnen gut tue oder – vor­sich­tig und „poli­tisch kor­rekt“ aus­ge­drückt – nicht scha­de. (Quel­le: Wood AM, et al. Lan­cet 2018;391:1513-23 )

Die Stu­die mit über 100 Autoren wur­de welt­weit über die Fach- und Publi­kums­me­di­en mit sol­chen oder ähn­li­chen Über­schrif­ten kommuniziert:

„Ver­kürzt schon ein Glas Wein das Leben?“ oder „For­de­rung
nach nied­ri­ge­ren Richt­wer­ten für Alkohol.“

 Der DWA-Beirat hat die Stu­die näher ana­ly­siert und kam zu fol­gen­der Bewertung: 

Bei der zu bewer­ten­den Publi­ka­ti­on han­delt sich um eine gepool­te Aus­wer­tung rei­ner Beob­ach­tungs­stu­di­en (Kohor­ten­stu­di­en), die grund­sätz­lich kei­ne Kau­sa­li­tät, son­dern nur Asso­zia­tio­nen auf­zei­gen kön­nen. In der Evi­denz basier­ten Medi­zin ist es des­halb eta­bliert, dass auf Grund von Asso­zia­tio­nen kei­ne klar defi­nier­ten Emp­feh­lun­gen abge­ge­ben wer­den sollten.

Haupt­kri­tik­punkt sieht der Bei­rat in der nicht plau­si­blen Wahl der Refe­renz­grup­pen für die ver­schie­de­nen Auswertungen.

Beson­ders kri­tisch zu bewer­ten ist die wenig dif­fe­ren­zier­te Bericht­erstat­tung in Fach- und Publi­kums­me­di­en. Die Schlag­zei­len „Jedes Glas Wein ist bereits schäd­lich“ ist mit die­ser Ana­ly­se nicht beleg­bar. Bei kri­ti­scher Betrach­tung der Ori­gi­nal­da­ten der Stu­die (ein­schließ­lich der im Sup­ple­ment ver­steck­ten Daten) bleibt die J-förmige Risi­ko­kur­ve bestehen, womit die gesund­heit­li­chen Bene­fits bei wenig bis mode­ra­tem Kon­sum bestä­tigt sind.

Der Bei­rat sieht unter Berück­sich­ti­gung der Gesamt­da­ten­la­ge in die­ser Stu­die kei­nen Anlass, die im Wine in Moderation-Programm als mode­rat defi­nier­te Kon­sum­wer­te in Fra­ge zu stel­len. Die­se lie­gen mit maxi­mal 20 g Alko­hol pro Tag für die Frau und bis zu 30 g für den Mann (unter Berück­sich­ti­gung indi­vi­du­el­ler Gege­ben­hei­ten und Gegen­an­zei­gen) im inter­na­tio­na­len Durch­schnitt und sind auch wei­ter­hin zu verantworten. 

Auch die DGE (Deut­sche Gesell­schaft für Ernäh­rung) resu­miert: Die Ergeb­nis­se die­ser Stu­die ste­hen nicht im Wider­spruch zu den Refe­renz­wer­ten der DGE, die die­se nach vor­sich­ti­ger Abwä­gung (wört­lich) der in der Lite­ra­tur beschrie­be­nen Wir­kun­gen mit 10 g Alko­hol pro Tag für Frau­en und 20 g für Män­ner angibt.

Abschlie­ßend stellt sich jedoch die Fra­ge, war­um kla­re wis­sen­schaft­li­che Daten nicht eben­so klar und wis­sen­schaft­lich kom­mu­ni­ziert wer­den. Es drängt sich der Ver­dacht auf, dass in den Insti­tu­tio­nen, die der­ar­ti­ge Stu­di­en mit öffent­li­chen Mit­teln för­dern, mehr und mehr eine „poli­tisch kor­rek­te“ Erwar­tungs­hal­tung besteht, der sich die For­scher beugen.

Die wis­sen­schaft­li­che Fach­welt muss sich kri­tisch fra­gen, ob und wie weit ein poli­ti­scher Ein­fluss auf die For­schung zuläs­sig ist. Eigent­lich soll­te es umge­kehrt sein.

Für den Bei­rat der DWA: Prof. Dr. Kris­ti­an Rett, Mün­chen (Vor­sit­zen­der)

 

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