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Parkers Neubewertung Bordeaux 2015: doch nicht so gross?

Der amerikanische The Wine Advocate hat in seinem Mitte Februar erschienenen Interim-Report die Bordeaux des Jahrgangs 2015 neu bewertet, die jetzt im Verkauf sind. Nach der Demission von Neal Martin, des letztjährigen Verkosters des Wine Advocate nach dem Rückzug von Robert Parker selbst, hat die neue Chefredakteurin Lisa Perrotti-Brown den Verkostungspart Bordeaux übernommen. Vorher war sie für Australien und Neuseeland verantwortlich.

Überraschend ist, dass sie den Jahrgang 2015 nicht zu den ganz grossen wie 2005, 2009 und 2010 zählt. Abzulesen ist das schon daran, dass sie nur drei Weinen die Höchstnote von 100 Punkten verleiht (Cheval Blanc, Petrus, Haut Brion) – deutlich weniger als in den anderen „grossen“ Jahren. 2009 erhielten 18 Weine die höchste Punktzahl, 2010 und 2005 waren es 11.

Allerdings macht Perrotti-Brown keinen Hehl daraus, dass es vom Jahrgang 2015 viele grossartige Weine gibt, auch wenn die Top-Scorer rar sind. Mit 99 Punkten ranken Ausone, Margaux und Le Pin ganz weit oben, für Vieux Château Certan (98-100) existiert noch die Option, zu den Top-Scorern aufzuschliessen. Auch für Belair Monange – durch Zusammenlegung der Grand Cru Belair und Magdeleine entstanden – ist noch Luft nach oben (98+). Die beiden Grand Cru „A“ Pavie (98) und Angélus (97) reichen dagegen nicht ganz an die alt-eingesessenen Mitbewerber Ausone und Cheval Blanc heran, auch Figeac noch nicht (97+), das mit Hilfe von Michel Rolland unbedingt ein „A“ werden möchte. Bemerkenswert Canon-La Gaffelière von Stefan Neipperg, dessen Wein sich noch vor die doppelt bzw. dreimal so teuren Gewächse von Trotanoy (97) und La Conseillante (96+) aus dem benachbarten Pomerol schieben konnte.

Diese Beispiele machen deutlich, dass der Jahrgang 2015 es besonders mit dem rechten Ufer gut gemeint hat. Dort sind die Weine üppig, reich und bersten vor Kraft – Eigenschaften, die bei Parker-Testern traditionell hoch im Kurs stehen. Viele Pomerols prunken mit Alkoholgehalten zwischen 14,5 und 15,5 Vol.%. Aber auch die besten Weine von St. Emilion weisen selten unter 14 Vol.% auf. Anders das linke Ufer, speziell das nördliche Médoc. Latour (98), Lafite (96+) Pichon-Longueville Baron (97), Ducru-Beaucaillou (97), Pichon Lalande (96), Cos d’Estournel (95), Léoville-Barton (95), Montrose (95): sie alle liegen alkoholmässig deutlich tiefer (zwischen 12,5 und 13,5 Vol.%).

Die besten Qualitäten des linken Ufers kommen laut Perrotti-Brown aus Margaux und Pessac-Léognan. Dort hat diesmal Haut-Brion (100) die Nase vorn gegenüber La Mission Haut-Brion (98), liegt dafür beim Alkohol aber in der 15 Vol.%-Kategorie, während der Nachbar mehr als 1 Vol.% weniger Alkohol aufweist. Hoch eingestuft werden mal wieder Haut-Bailly (97+) und Smith Haut Lafitte (97), gefolgt von Pape Clément (96) und Domaine de Chevallier (95). In Margaux brilliert der Wein Château Margaux, einer der besten, den das Châteaux in den letzten zehn Jahren produziert hat (und der letzte Paul Pontalliers, des jung verstorbenen, legendären Direktors). Soviel Vorschuss-Lorbeer hat der 2015er bereits bekommen (vor allem von anderen Testern), dass er preislich schon ziemlich abgehoben ist (ab 1200 Euro aufwärts pro Flasche). Auch Palmer (98) und Rauzan-Ségla (97) haben grandiose Qualitäten auf der Flasche. Danach klafft allerdings ein grosses Loch.

Durchwachsen ist die Situation in Saint-Julien, Pauillac und St. Estèphe. Die flussnahen Châteaux haben im trockenen Sommer profitiert, für die auf den lehmig-sandigen Böden des Hinterlands war der Trockenstress ungleich schwieriger zu überstehen. Pontet-Canet (96+) und Batailley (93-95) haben die Situation noch relativ gut gemeistert, Beychevelle (93), Lynch-Bages (92+), Grand Puy Lacoste (91+) bleiben hinter ihrem Anspruch zurück.

Spannend zu beobachten ist, ob der Markt das Urteil Perrotti-Browns so ernst nimmt wie vorher das von Parker, der dem Markt nach Belieben dominiert hatte. Oder ob die Urteile von Neal Martin (der jetzt für Antonio Gallonis „Vineous“ testet), James Suckling, Roger Voss (Wine Enthusiast), Bettane & Desseauve, Jancis Robinson mehr Gewicht erhalten.

 

 

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Autor

Jens Priewe
Jens Priewe hat viele Jahre als Politik- und Wirtschaftsjournalist gearbeitet, bevor er auf das Thema Wein umsattelte. Er schreibt Kolumnen für den Feinschmecker und für das schweizerische Weinmagazin Merum. Für den Weinkenner, dessen Gesellschafter er ist, hat er seit der Gründung über 200 Artikel beigesteuert. Außerdem ist er Verfasser mehrerer erfolgreicher Weinbücher (u. a. „Wein – die grosse Schule“, „Grundkurs Wein“). Er stammt aus Schleswig-Holstein, lebt aber seit fast 40 Jahren in München.

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