John Michael Broadbent, wie er vollem Namen hieß, war 26 Jahre lang Direktor des Wine Department von Christie`s in London, daneben ein erfolgreicher Buchautor, lange Zeit Chairman des Institute of Masters of Wine, Präsident des Wine and Spirit Education Trust (WSET) und 35 Jahre lang Kolumnist der englischen Weinfachzeitschrift Decanter. Er war zeitlebens ein gefragter Speaker auf Winemeetings und ein charmanter Ehrengast unzähliger Wine Dinner rund um den Erdball. Er wurde 92 Jahre alt.
Broadbent hat den Markt für alte Weine geschaffen
Broadbent, der eigentlich Architekt werden wollte, stieg mit 25 Jahren in den Weinhandel ein. Er startete bei dem renommierten Londoner Weinimporteur Layton’s, um danach zu Harvey’s nach Bristol zu wechseln. Bordeaux, Sherry und Port waren die ersten Weine, mit denen er sich intensiv beschäftigte und über die er Kenntnisse besaß wie kein Zweiter. 1960 wurde Broadbent Master of Wine – der 24. weltweit. 1966 folgte er dem Ruf des Londoner Auktionshauses Christie’s und baute dort die Abteilung für fine and rare wines auf. Durch diese Tätigkeit schuf er etwas, was bis dahin nicht existierte: einen Sekundärmarkt für alte Bordeaux, Burgunder, Champagner, Portweine, Madeira etc. Wahrscheinlich gab es in den 1970er, 1980er und 1990er Jahren niemanden um den Globus, der sich mit Weinen dieser Provenienzen besser auskannte als Broadbent.
Eine eigene Weinsprache entwickelt
Der Gentleman, der immer maßgeschneiderte Anzüge trug, aber nie arrogant auftrat, war ein exzellenter Verkoster. Tommy Layton, sein erster Lehrherr, hatte ihn angehalten, zu jedem Wein, den er verkostete, eine schriftliche Notiz anzulegen, was Broadbent mit fast religiösem Eifer tat. Immer hatte er ein kleines, rot liniertes Notizbüchlein dabei, in dem er seine Weinbeschreibungen handschriftlich festhielt. Dabei entwickelte er eigene, teilweise literarisch anmutende Sprache, die schnell Schule machte und ihm auch unter Menschen, die keine Weinsammler waren, Bewunderung und höchsten Respekt einbrachte. Eine seiner schönsten Metaphern war die “eiserne Faust in samtenem Handschuh” für die Weine der burgundische Domaine de la Romanée-Conti. 1980 erschien erstmals sein Great Vintage Winebook, in dem er 6000 Degustationsnotizen von Weinen aus drei Jahrhunderten samt Bewertungen publizierte. Dieses Buch, das schnell zur Bibel der Weintrinker avancierte, machte ihn schlagartig über England hinaus bekannt. Aktualisierte Versionen dieses Werkes erschienen bald auch auf Deutsch („Weinnotizen“, Hallwag Verlag 1994 und „Große Weine“, Gräfe und Unzer 2004) und in anderen Sprachen.
In den Skandal um die gefälschten Thomas Jefferson-Flaschen verwickelt
In die Kritik geriet Broadbent 2005, nachdem er Jahre zuvor einige Flaschen Château Lafite von 1784 und 1787, angeblich aus dem Nachlaß von Thomas Jefferson stammend, versteigert hatte, die der deutsche Raritätenhändler Hardy Rodenstock ausgegraben hatte. Eine der Flaschen erzielte mit £105 000 den höchsten je gezahlten Preis für eine Flasche Wein. Sie hatte sich im Nachherein als gefälscht erwiesen. Broadbent wurde in einem Buch des amerikanischen Autors Benjamin Wallace („The Billionaire’s Vinegar“) der Kumpanei mit Rodenstock bezichtigt. Er klagte gegen den Verlag Random House wegen übler Nachrede – und gewann. Das Buch wurde in England vom Markt genommen (in anderen Ländern darf es weiter erscheinen).
Immer mit rot liniertem Notizbüchlein unterwegs
Ich habe Michael Broadbent das erste Mal 1979 in seinem Büro bei Christie’s in der King Street in London getroffen, wo wir zusammen mehrere deutsche Weine verkosteten. Das Wirtschaftsmagazin Capital, für das ich arbeitete, wollte damals ein Urteil aus berufenem Mund über die Qualität der neuen trockenen Rieslinge aus der Pfalz, aus dem Rheingau und von der Mosel. Broadbent war geschmeichelt, dass sich die deutsche Presse für ihn interessierte und wartete gespannt auf die Weine, die ich ihm mitbrachte. An seinen Kommentar erinnere ich mich noch sehr genau: „Not terribly interesting.“ Später trafen wir uns bei einem feierlichen Wein-Dinner in der Londoner Guildhall, bei einer der sensationellen Verkostungen von Hardy Rodenstock am Arlberg, zu einem Interview mit ihm und Hugh Johnson für die Zeitschrift FEINSCHMECKER im Hotel Vier Jahreszeiten in München. Immer war er der elegante, freundliche Gentleman, der sich geduldig Zeit nahm für Gespräche und stets sein Notizbüchlein dabei hatte, in das er niederschrieb, was er über jeden Wein, den er im Glas hatte, dachte. 1999 verfasste er für die 1. Auflage meines Buches „Wein – die neue große Schule“ exklusiv einen langen Essay mit dem Titel „Lob der alten Weine“.
Nach dem Rückzug behielt er seine Rituale bei
1992 zog er sich aus dem Tagesgeschäft von Christie’s zurück, blieb dem Auktionshaus aber als Senior Consultant verbunden. Nach dem endgültigen Ausstieg bei Christie’s im Jahre 2009 zog er sich ins Private zurück. Die Freunde, die Kontakt zu ihm hatten, berichten, dass er seine Rituale beibehielt: um 11 Uhr ein Gläschen kühlen Verdelho, um 12 Uhr einen Buck’s Fizz (Champagne mit Orangensaft), vor dem Dinner abends eine Bloody Mary. Dazwischen sah man ihn auf dem Holland-Rad durch die Innenstadt von London radeln, um Einkäufe zu machen. Die letzten Jahre waren beschwerlich für ihn. 2015 starb seine Frau Daphne. Er selbst war zunehmend bewegungseingeschränkt und musste am Rollator gehen. Mit 91 Jahren heiratete er nochmals. Der Ehe war kein langes Glück beschieden. Letzten Mittwoch, am 17. März 2020, starb er im Haus seiner Tochter in Berkshire. Broadbent hinterlässt rund 150 rot linierte Notizbücher.
Ich durfte diesen Gentleman kennenlernen und ich gebe zu, auch ich habe mich bereitwillig von seinem Gehabe und dem angeblich ach so feinen Zwirn und der illustren Entourage blenden lassen.
Hardy Rodenstock, der bürgerlich ganz anders hieß, hat viele Leute vorgeführt… Broadbent hat da aber die Galionsfigur gespielt… Zurückgerudert ist er meines Wissens aber nicht.
Wollen wir hoffen, dass ihm jemand seine überbewerteten Notizbücher mit in den Sarg gelegt hat.
de mortuis nil nisi bene… trotzdem stand Michael Broadbent immer für eine Weinwelt, von der ich froh bin, das sie vorbei ist. Eine Weinwelt, in der Weinkritik, Primär-und Sekundärmarkt eins waren, in der Kunden eingeseift wurden mit ach so lyrischen Weinbeschreibungen, die ohne Rückkopplungen zur erwartbaren Qualität blieben etc . Es ist und bleibt das grosse Verdienst von Robert Parker, der sich hier nicht umsonst und nicht übertrieben auf den Verbraucherschützer Ralph Nader bezieht, damit Schluss gemacht zu haben. Und höchst erstaunt war und bin ich immer wieder, wie jahrzehnte lang erworbenes Wissen um Flaschenvarianzen nicht dazu genutzt werden konnte, Weinfälschungen engagiert entgegen zu treten. Hier sind die Verdienste einer Maureen Downey wesentlich höher einzuschätzen.
Beide Kommentare “riechen” vor Neid.
Michael Broadbent war nicht nur ein exzellenter Weinkenner, sondern auch ein begnadeter Autor zum Thema Wein. Ich habe ihm in dieser Hinsicht viele zu verdanken.
Den “Weinskandal” hat er überstanden und ist voll rehabilitiert, nachdem das Skandalbuch per Gerichtsbeschluss vom Markt genommen werden musste.
Es ist halt so im Leben, dass Menschen im Scheinwerferlicht mehr Kritik und Angriffen ausgesetzt sind, als Normalbürger: Neidfaktor.