Erreger der Gärung
Jeder Wein braucht Hefen, um zu gären. Ohne Hefen bleibt er Traubenmost. Allerdings gibt es zahlreiche Hefestämme, und jeder hat seine Eigenarten – nicht immer nur positive. Die Qualität des Weins hängt also auch von der richtigen Hefe ab.
Die Umsetzung des Zuckers in Alkohol wird durch Hefen bewerkstelligt. Hefen sind Pilze und gehören, wie auch Algen und Bakterien, zu den einzelligen Pflanzen und damit zu den einfachsten Mikroorganismen im Pflanzenreich. Sie vermehren sich durch Abtrennung ausgestülpter Zellen. Die Energie dazu liefert der Zucker, der im Traubenmost als Glucose und Fructose gelöst ist. Er bildet gleichsam die Nahrung für die Hefen, während der Alkohol, der am Ende entsteht, nur ein Nebenprodukt des Vermehrungsprozesses ist. Allerdings ist die Tätigkeit der Hefen an bestimmte Voraussetzungen gebunden. Bei hohen Temperaturen vermehren sich die Hefen schnell und bewirken eine stürmische Gärung. Niedrige Temperaturen machen die Hefen träge und führen zu einer langsamen Gärung. Bei Temperaturen unter 12°C stellen die meisten Hefen ihre Tätigkeit sogar ganz ein. Die Gärung bleibt stecken – der Alptraum eines jeden Kellermeisters.
Durchgären der Weine
Bei einer Temperatur des Mostes von etwa 15°C an vermehren sich die Hefen kontinuierlich, und zwar so lange, bis der gesamte Zucker verarbeitet und der Wein staubtrocken ist. Danach sterben die Hefen ab und fallen auf den Boden des Fasses. „Geläger“ sagt der Fachmann zu dem Hefetrub. Das bedeutet: Wenn der Kellermeister nicht einschreitet, gärt jeder Wein automatisch durch. Nur bei extrem zuckerreichen Mosten kann es passieren, daß die Gärung steckenbleibt, bevor der Zucker ganz vergoren ist. Hat nämlich der Wein einen Alkoholgehalt von etwa 15 Vol. % erreicht, sterben die Hefen ab. Zuviel Alkohol ist der Feind der Hefen. Dies passiert regelmäßig bei edelsüßen Weinen, gelegentlich aber auch ungewollt bei hochgrädigen Mosten, die eigentlich durchgären sollen. Spektakulärstes Beispiel war der 1992er Le Montrachet von der berühmten Domaine de la Romanée-Conti. Er kam nie auf den Markt, weil er nicht durchgärte und restsüß blieb.
Verschiedene Hefestämme
Der botanische Name für die Weinhefe lautet Saccharomyces ellipsoideus (auch Saccharomyces cerevisiae genannt). Ähnliche Gärhefen werden auch bei der Bierherstellung und in der Brotproduktion verwendet. Allerdings besteht jede Hefegattung aus zahlreichen Hefestämmen – so auch die Weinhefe. Jeder Hefestamm reagiert in unterschiedlicher Weise auf die Inhaltsstoffe des Traubenmosts und prägt demzufolge den Wein auf seine Weise – ähnlich wie der Boden oder die Lage es tun. So gibt es zum Beispiel alkoholempfindliche Hefen, die nur bis etwa 5 Vol. % arbeiten. Danach übernehmen andere Hefen ihre Arbeit. Wieder andere sind wärme-empfindlich oder produzieren viel Schwefelwasserstoff, womit die Wahrscheinlichkeit steigt, daß der Wein später einen „Böckser“, einen Geruchsfehler, aufweist. Es gibt aromatisierende Hefen für junge Weißweine und Hefen, die speziell für die Sorte Sauvignon Blanc selektiert wurden, um ihr einmal ein weiches, einmal ein aggressiveres Aroma zu geben. Champagnerhefen zeichnen sich dadurch aus, daß sie nach dem Absterben große Flocken bilden.
Wo die Weinhefen herkommen
Weinhefen kommen aus der Natur oder aus dem Labor. Im ersten Fall handelt es sich um natürliche oder wilde Hefen, im zweiten Fall um Reinzuchthefen. Da Hefen fast überall vorkommen, wo Trauben wachsen, hat nahezu jeder Landstrich, manchmal auch jeder Weinberg seine eigenen natürlichen Hefekulturen. Sie kommen im Normalfall mit den Trauben in den Keller oder befinden sich bereits dort, sofern dieser in einem Weinanbaugebiet liegt. In regnerischen, kühlen Jahren bilden sich allerdings nur wenige Hefen. Starkes Spritzen von Fungiziden und Insektiziden beeinträchtigt ebenfalls die Bildung der Hefekulturen. Außer durch den Wind werden die Sporen des Hefepilzes nämlich durch Insekten, insbesondere durch die Fruchtfliege, weitergetragen. In solchen Jahren ist der Kellermeister auf Reinzuchthefen angewiesen. Reinzuchthefen sind selektierte natürliche Hefen, die in speziellen Labors vermehrt werden und als Trockenhefe in den Handel kommen. Mit ihnen wird der Most „geimpft“.
Zwei Lehrmeinungen über Hefen
Die meisten Weinerzeuger benutzen heute Reinzuchthefen zur Vergärung des Weins. Reinzuchthefen sind berechenbarer und mindern das Risiko, daß der Most nicht angärt, daß die Gärung steckenbleibt oder der Wein unangenehme Nebentöne annimmt. Die Weinerzeuger der Neuen Welt verwenden nahezu ausschließlich Reinzuchthefen (in einigen Weinanbaugebieten Kaliforniens, Südafrikas und Australiens bleibt ihnen gar nichts anderes übrig, weil es dort klimabedingt keine Hefekulturen gibt). Aber auch in Europa schwören viele Weinproduzenten aus leidvoller Erfahrung inzwischen auf Reinzuchthefen – und keineswegs nur Großkellereien und Genossenschaften. Die Kehrseite der Medaille ist, daß die Weine ganzer Landstriche manchmal so uniform sind, daß Boden- und Sortenunterschiede nicht mehr in der gewünschten Weise zutage treten – vor allem, wenn alle Weinerzeuger die gleichen Reinzuchthefen verwenden.
Erhaltung natürlicher Hefekulturen
Bei natürlichen Hefen, so beteuern Winzer aus Bordeaux, Burgund und vielen Teilen Deutschlands, könne das nicht passieren. Sie ergeben charaktervolle, vielschichtige Weine, weil die Hefekulturen im Weinberg nicht nur aus einem Hefestamm, sondern aus mehreren wilden Hefestämmen bestehen, und jeder einzelne trägt zum Gelingen des Weines bei. Amerikanische und australische Önologen schmunzeln über solch einen Märchenglauben. Doch die Europäer lassen sich nicht beirren. Zumindest die Spitzenwinzer pflegen mit Inbrunst ihre Hefekulturen, indem sie geschnittenes Rebholz, Preßrückstände und das „Geläger“ kompostieren, um sie als organischen Dünger später wieder im Weinberg auszubringen und so zur Erhaltung ihrer eigenen Hefekulturen beizutragen.
Entdecker der Weinhefe
Der französische Chemiker Louis Pasteur hat als erster den Vorgang der alkoholischen Gärung vollständig und präzise beschrieben. Zwar wurde lange vor ihm schon Wein erzeugt und ebenso lange war bekannt, daß es der Zucker im Traubenmost ist, der sich in Alkohol verwandelt. Aber daß es dazu der Aktivität der Hefen bedarf, wußte noch niemand. Die Entdeckung der Hefen als Erreger der Gärung hat freilich auch mit der Erfindung eines technischen Hilfsmittels zu tun: des Mikroskops.
Explosion der Hefen
Hefen sind mit dem Auge nicht sichtbar. Unter einem Mikroskop mit mindestens 600facher Vergrößerung kann man sie aber genau erkennen. Während der Gärung vermehren sie sich extrem stark. So enthält ein Kubikzentimeter Most auf dem Höhepunkt der Gärung zwischen 80 Millionen und 120 Millionen Hefezellen. Zu Beginn der Gärung waren es nur 260000 Hefezellen bei der gleichen Saftmenge, im Weinberg sogar nur 120000 Hefezellen.
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