Maynard James Keenan meint es ernst mit dem, was er tut. Abseits des Mainstreams hat er sich mit seiner Band „Tool“ als einer der einflussreichsten Rockmusiker unserer Zeit etabliert. Seit einigen Jahren hat der eigenwillige, medienscheue Künstler das Leben im Tourbus, umgeben von Dekadenz, gegen die harte Arbeit im Weinberg eingetauscht. Nicht aus einer Laune oder Profitgier heraus, sondern aus tiefer Überzeugung. Das machen schon die ersten Szenen der viel beachteten Kinodokumentation „Blood into Wine“ deutlich.
Keine Winzer wie alle anderen
Der Weinanbau ist Teil von Keenans Gesamtkonzept als Künstler, seine Annäherung an das Thema von philosophischer, spiritueller Natur. Er versteht Wein als „göttliches Wesen“. Die Weintraube sei weiterentwickelt als jede andere Frucht, so Keenan. Mit seinem Mentor, dem Önologen Eric Glomski, teilt er den Ehrgeiz sowie das unbedingte Streben nach Qualität und Nachhaltigkeit. Und beide sind sich einig, dass sie keine Winzer wie alle anderen sein wollen.
Deshalb wachsen Keenans Rebstöcke auch nicht in Napa Valley oder Sonoma County, sondern im Verde Valley, nahe dem 343-Einwohner-Städtchen Jerome in Arizona – mitten im Wilden Westen. Die Landschaft ist karg – bizarre Felsformationen, Kakteen, viel Staub, wenig Wasser. Es überrascht nicht, dass die NASA die Gegend zu Testzwecken für ihre Marsmissionen nutzt.
Hier Wein anzubauen, ist eine Grenzerfahrung: Neben Frostperioden im Winter, monsunartigen Regenfällen im Sommer, hoher Luftfeuchtigkeit, örtlicher Bürokratie und uralten Wasserrechten stellen auch Schädlinge, Waschbären und anderes Getier Keenan und Glomski vor immer neue Herausforderungen. Etwa wenn des Nachts Nabelschweine einfallen und vier Spaliere Sangiovese-Trauben restlos abfressen. Trotzdem glauben die beiden an das Potenzial dieses unwirtlichen, vulkanischen Landstrichs.
Harte Arbeit, wenig Glamour
Seit 2007 firmieren Eric Glomski und Maynard James Keenan unter dem Banner „Arizona Stronghold Vineyards“. Glomski ist Gründer der Page Spring Cellars in Cornville, Arizona, und arbeitete zuvor als Weinmacher bei David Bruce in Kalifornien. Keenan ist seit einigen Jahren Besitzer der Caduceus Cellars sowie der Merkin Vineyards & Orchards.
Mit viel Selbstironie und trockenem Humor zeigt die auch in ihrer Erzählform ungewöhnliche Dokumentation von Ryan Page und Christopher Pomerenke, dass ein Leben als Weinmacher in erster Linie aus viel Arbeit und wenig Glamour besteht. „Blood into Wine“ ist keine plumpe Selbstdarstellung eines gelangweilten Rockmusikers oder ein glorifizierender Werbefilm für Keenans Caduceus-Weine geworden. Denn Rück- und Fehlschläge werden ebenso thematisiert wie Erfolge. Zwischen den Interviews sind als Running Gag immer wieder Szenen mit den US-Komikern Tim Heidecker und Eric Wareheim zu sehen, die als respektlose, Wein verachtende Talkshow-Moderatoren ihren weitgehend stummen Gesprächsgast (Keenan) piesacken, wo es nur geht.
Kostprobe mit James Suckling
Neben etlichen Promi-Auftritten (unter anderen von Schauspielerin und Model Milla Jovovich, Musiker Tim Alexander oder Comedian Patton Oswalt) kommt auch der renommierte Weinkritiker James Suckling zu Wort. Der reist mit Degustationsglas im Silberköfferchen aus Italien zu einer Kostprobe an und ist nicht von jedem der von Keenan und Glomski kredenzten Tropfen restlos überzeugt, hat aber dennoch viel Lob für die beiden unkonventionellen Weinmacher übrig. Nebenbei erfährt der Zuschauer, was es mit Weinbewertungen auf sich hat und welchen Einfluss sie genießen.
Der hysterischen Anhängerschar von „Tool“ und „A Perfect Circle“ sind Punktesysteme und Beschreibungsfloskeln wie „strukturiertes Tannin“, „filigrane Frucht“ oder „feuriger Nachhall“ ziemlich egal: Die Fans schleppen die Weine gleich kistenweise aus den Läden und erscheinen zu Autogrammstunden mit Flaschen statt CDs.
Unterhaltsam für Musik- und Weinfans
„Blood into Wine“ ist ein Vergnügen für Musikfans, aber auch für Weinliebhaber absolut unterhaltsam – selbst, wenn man sich nicht für Keenans vertrackten Prog-Rock erwärmen kann, den er selbst als „Thinking Man’s Metal“ bezeichnet. „Blood into Wine“ zeigt zwei Menschen mit Leidenschaft und Vision, wirft einen originellen Blick auf das Thema Wein, greift dabei unterschiedlichste Aspekte auf und vermag es, Menschen für eine Sache zu begeistern, zu der sie bislang wenig oder gar keinen Zugang hatten. Nicht entgehen lassen sollte man sich den etwas versteckten Kurzfilm am Ende: Komiker Bob Odenkirk erklärt das Weinmachen und kommt zu dem Schluss: „Alles, was ihr über Wein wisst, ist total falsch!“
Blood into Wine
USA 2010
Spieldauer: 99 Minuten
FSK: ohne Altersbeschränkung
Sony Music Entertainment
Da es in der netten Kritik ein wenig als Gegensatz daherkommt, Tool- und Wein-Fan zu sein: Als Teil der scheinbar „hysterischen Anhängerschar“ kann ich mich sowohl mit der großen Kunst der Band wie mit dem Thema Weinanbau und erst recht mit feinen weinen anfreunden. Leute gibt’s 😀
Cheers, Mark