Im Osten viel Neues
Der Osten Europas ist wegen des außerordentlichen Umfangs seiner Rebflächen ein „schlafender Riese“. Allerdings entspricht die Weinproduktion qualitativ noch nicht der Größe seiner Rebflächen. Daß in Zukunft nicht nur Menge, sondern auch Qualität aus dem Osten kommen wird, kann als gewiß gelten. Ungarn macht es heute bereits vor.
Ungarn
Die ungarische Weinlandkarte gleicht einem Fleckenteppich. Sie enthält 22 Anbaugebiete, die zu vier großen Weinregionen zusammengefaßt sind: Nördlich des Plattensees liegt Nord-Transdanubien mit einer Vielzahl von Weißweingebieten sowie der Rotweinnische Sopron nahe der Grenze zum österreichischen Burgenland. Dort dominiert Kékfrankos (Blaufränkisch). Das Weißweinspektrum reicht vom Olaszriesling (Welschriesling) über Furmint, Hárslevelú ́(Lindenblättriger), Kéknyelú (Blaustiel), Sárgamuskotály (Gelber Muskateller), Szürkebarát (Pinot Gris), Rajnai Rizling (Riesling) und Leányka (Mädchentraube) bis zum gewöhnlichen Rizlingszilváni (Müller-Thurgau). Zunehmend gewinnen Chardonnay und stellenweise auch Sauvignon Blanc an Bedeutung. Die zweite große Region ist Süd-Transdanubien mit einer teilweise sehr hochwertigen Rotweinproduktion, vor allem in den jüngeren, erfolg- reichen Rotweingebieten Südungarns, Villány-Siklós und Szekszárd. Die wichtigsten Rotweintrauben sind dort Kékfrankos (Blaufränkisch), Kadarka und Kékoportó (Blauer Portugieser). Dazu kommen Nagyburgundi (Pinot Noir), Médoc Noir (Merlot) und Cabernet Sauvignon. In der Region Alföldi, der Tiefebene im Süden des Landes, liegt mit Kunság das größte Anbaugebiet Ungarns. Auf den warmen Sand- und Schwemmlandböden längs der Donau bis zur serbischen Grenze finden sich fast alle in Ungarn vertretenen Sorten wieder. Hauptsorte ist der Welschriesling. Viele Weine werden süß ausgebaut. Aus Nordungarn, der vierten großen Region, stammt der weltberühmte edelsüße Tokaj. Im kühleren Norden um Eger befindet sich die Heimat des Stierbluts, des erfolgreichen ungarischen Markenweins, der früher vor allem aus der roten Kadarka-Traube, heute vermehrt aus Kékfrankos, Cabernet und Merlot gewonnen wird. Von sich reden machen aber vor allem die Weißweine aus Eger und dem benachbarten Mátraalja, die aus Leányka, Olaszrizling, Muskateller, Chardonnay, Sauvignon Blanc und Sémillon erzeugt werden.
Tokaj und die Puttonyos
Der Tokaj kommt aus dem äußersten Nordosten Ungarns und wird aus den Sorten Furmint, Hárslevelú sowie Muscat Blanc à Petit Grains gewonnen. Voraussetzung: Über die Hälfte der Trauben muß von der Edelfäule befallen sein. Während die gesunden Trauben normal vergären, werden die edelfaulen Aszú-Trauben zu einer Art Maische verarbeitet und dem gärenden Wein zugegeben: je mehr, desto süßer und edler fällt er aus. Drei Puttonyos auf dem Etikett entsprechen einer Auslese, vier einer Beerenauslese, sechs einer Trockenbeerenauslese (Putton- yos: Anzahl der Bütten mit Aszú-Trauben, die einem 136-Liter- Fuder zugegeben werden; eine Bütte faßt 25 Kilogramm). Eine Aszú Eszencia, die Perfektion des Tokaj, gärt bis zu zehn Jahre.
Rumänien
Obwohl Rumäniens Rebfläche zweieinhalbmal so groß wie die Deutschlands ist, produziert es nur halb so viel Wein. Weißwein macht rund 75% der Produktion aus. Rumänien ist in zehn verschiedene Weinanbaugebiete unterteilt. Davon ist die Moldau mit mehr als einem Drittel der nationalen Rebfläche die größte Zone. Von dort kommen größtenteils unkomplizierte Weiß- und Rotweine, die vornehmlich aus einheimischen Sorten hergestellt werden. Das zweitgrößte Anbaugebiet ist die Walachei, die mehr als ein Viertel des rumänischen Weins hervorbringt. Die Weinberge liegen am Fuße der Karpaten und ziehen sich bis auf eine Höhe von 700 Meter. Angebaut werden Feteasca Neagra, Cabernet Sauvignon, Merlot, Pinot Noir und Burgund Mare (Blaufränkisch). Die Weißweine werden dort aus den Sorten Feteasca Alba, Muskat-Ottonel, Feteasca Regala, Welschriesling, Sauvignon Blanc und Tamaîioasa Romaneasca (Weihrauchtraube) erzeugt. Eine bedeutende Unterzone ist Dealu Mare; sie liefert die wohl besten Rotweine des Landes. Im Banat werden sowohl die einheimischen Feteasca-Reben sowie die Lokalsorte Creata (gilt als der „Riesling“ des Banats) angebaut, dazu Blaufränkisch, Muskat-Ottonel, Furmint, Kadarka, Welschriesling und Portugieser. Auf dem Vormarsch sind auch hier Cabernet Sauvignon und Merlot. Die weiter nördlich, aber ebenfalls an der ungarischen Grenze gelegene Crisana mit ihren Sandböden liefert einfache Weine, überwiegend aus weißen, im Süden bei Minis auch aus roten Trauben (Kadarka). Schließlich Siebenbürgen: Die Hochebene im Karpatenbogen wird wegen ihres kontinentalen Klimas und der herb-schönen Hügellandschaft auch „das Piemont Rumäniens“ genannt. Allerdings wird dort fast ausschließlich Weißwein produziert.
Bulgarien
Im Weinbau Bulgariens sind auch nach dem Ende der sozialistischen Herrschaft die traditionellen Strukturen weitgehend erhalten geblieben. Noch immer stehen Tausenden von Kleinwinzern nur wenige Kellereien gegenüber. Sie bestimmen, was angebaut wird. Cabernet Sauvignon und Merlot stehen bei der Weinindustrie hoch im Kurs. Denn über die Hälfte der Produktion wird exportiert, teils als schlichter Faßwein, teils als billiger Markenwein. Durch die allmähliche Einführung der Temperaturkontrolle können in Bulgarien heute auch moderne Weißweine erzeugt werden. Die größten Zuwächse verzeichnen auch hier Chardonnay und Sauvignon Blanc, während traditionelle Sorten wie Rkatsiteli, Aligoté, Misket, Muskat-Ottonel, Riesling, Gewürztraminer und Ugni Blanc immer weniger gefragt sind. Die größten Rotweingebiete liegen in Thrakien. Dort wachsen auf fruchtbaren Böden und in warmem Klima große Mengen an Cabernet Sauvignon. Im Süden an der mazedonisch-griechischen Grenze ist Harsovo eines der besten Rotweinanbaugebiete. Dort werden aus den einheimischen Sorten Melnik (rot) und Keratzuda (weiß) gehobene, teilweise auch hochwertige Weine erzeugt. Im nördlich des Balkangebirges liegenden Transdanubien wird vor allem die einheimische Gamza-Rebe angebaut, aus der leichte, unkomplizierte Rotweine gewonnen werden, dazu Chardonnay, Sauvignon Blanc und zunehmend Merlot sowie Cabernet Sauvignon. Die größten Weißweinanbaugebiete befinden sich jedoch im hügeligen Hinterland von Varna am Schwarzen Meer. Dorther kommt etwa ein Viertel der bulgarischen Weinproduktion. Angebaut werden Chardonnay, Sauvignon Blanc, Ugni Blanc, Weißer Muskateller sowie die einheimischen Sorten Misket und Dimyat.
Andere Weinbaunationen
Ukraine:
Durch die Ächtung des Weins zu Zeiten der Perestroika wurde in den 1980er Jahren mehr als die Hälfte der Rebflächen gerodet. Von diesem Schock erholt sich der Weinbau in der Ukraine nur langsam. In der Vergangenheit für ihre lieblichen und süßen Dessertweine berühmt (einschließlich des roten Krimsekts „Krimskoje“), produziert die Ukraine heute immer mehr trockene Weine (Riesling oder den roten Aluschta aus Cabernet Sauvignon, Monastrell, Saperavi, Malbec).
Georgien:
Das Land südlich des Kaukasus, in dem es noch heute 500 verschiedene Rebsorten gibt, galt als bestes Weinanbaugebiet der ehemaligen Sowjetunion. Am Schwarzen Meer, in Imertien, Racha-Lechkumi, Kartli sowie in Kachetien werden auch heute noch viele liebliche, zunehmend aber auch trockene Weine erzeugt.
Moldawien:
Massenproduzent mit riesigen Mengen an Cabernet Sauvignon und Merlot sowie Chardonnay, Sauvignon Blanc, Pinot Gris und Riesling. Rkatsiteli, Saperavi und die rote Sereksia sind Überbleibsel aus sowjetischen Zeiten.
Tschechien:
In Böhmen werden um das Städtchen Melnik frische Weißweine erzeugt, vorzugsweise aus Müller-Thurgau und Gewürztraminer. Das größere Anbaugebiet liegt in Mähren südlich von Brünn. Dort werden Grüner Veltliner, Grauburgunder, Welschriesling sowie Blaufränkisch, St. Laurent und Pinot Noir angebaut.
Slowakei:
Die Anbaugebiete liegen am Fuße der Hohen Tatra. Aus Welschriesling, Weiß- und Grauburgunder, Grünem Veltliner, Riesling und Müller-Thurgau werden hier gute, teils auch sehr gute frische Weißweine erzeugt. Der Gewürztraminer gilt als „König der Weine“. Im Süden werden Blaufränkisch, Cabernet Sauvignon und Zweigelt kultiviert. Im Osten dürfen drei Gemeinden ihren edelsüßen Wein Tokajer nennen.