Jedes Jahr findet in Bozen eine kleine Weinmesse statt. Sie heißt Autochtona. Der Name ist Programm. Es geht um Weine aus autochthon-italienischen Rebsorten. Also alles außer Chardonnay, Sauvignon, Viognier, Merlot, Syrah, Cabernet Sauvigon, Cabernet franc und so weiter. Dieses Jahr waren ungefähr 60 Weingüter in die Messehallen nach Südtirol gekommen, um ihre Weine zu präsentieren. Das Spektrum reichte von Aglianico aus der Basilikata bis zu Zibbibo von der Insel Pantelleria. Viel Interessantes war dabei, aber auch viel Durchschnittliches, manch Fragwürdiges, einiges Dilettantische. Aber etwas Außergewöhnliches habe ich auch entdeckt: zwei schäumende Weine, die nicht nur gut, sondern auch spannend sind, weil sie neue, ungewöhnliche Geschmackshorizonte eröffnen und zeigen, dass die Italiener sich nicht auf vergangenem Lorbeer ausruhen. Weine, denen ich ohne den Besuch der Autochtona wahrscheinlich nie begegnet wäre, weil sie von kleinen Weingütern kommen, die in keinem der großen Weinführer gelistet sind, einen entsprechend geringen Bekanntheitsgrad haben und über lokale Bedeutung nicht hinauskommen. Beide stehen für eine neue Generation von bollicine (wie die Italiener perlende und schäumende Weine nennen). Sie werden in der Flasche vergoren, aber nicht nach der méthode classique (also der Champagnermethode), sondern nach der méthode ancestrale, einer etwas aus der Mode gekommenen, ursprünglich bäuerlichen Methode der Versektung, bei der der Wein nach der Flaschengärung nicht degorgiert wird, die Hefe also in der Flasche bleibt und der Wein daher trüb bleibt.
2015 Cuprense 22, Vino Spumante
Der Cuprense 22 ist so ein Schaumwein. Ungewöhnlich an ihm ist erst einmal der Name. Er steht für die Strada Provinciale Cuprense, an der sich das Weingut Fontorfio befindet. Genau: bei Kilometer 22 nahe des mittelterlichen Dörfchen Cossignano. Noch nie gehört? Ich auch nicht. Wir sind in der Region Marken, im Hinterland der Adriastrände bei San Benedetto Torre. Cuprense ist also schlicht das Landsträßlein, an dem das Weingut liegt. Ungewöhnlich ist auch der Geschmack: knochentrocken, cremig, nach frisch gebackenem Brot und Austern schmeckend. Klingt komisch, schmeckt aber ungemein gut.
Ungewöhnlich ist schließlich das Aussehen: Der schäumende Wein ist nämlich nicht klar, sondern deutlich trüb. Er hat lange auf der Hefe in der Flasche gelegen. „Sur lie“ würden die Franzosen sagen. Die Hefe wurde nicht, wie beim Champagner, in den Flaschenhals bugsiert, schockgefrostet und durch Dégorgement entfernt. Sie wurde im Wein belassen. Méthode ancestrale heißt diese Art der Versektung, die früher bei den meisten bäuerlichen Champagnern angewendet wurde und heute bei vielen deutschen Winzersekten wieder zum Leben erweckt wird. Die Methode hat einen Vorteil: der Wein ist frischer, „brotiger“ als herkömmlich flaschenvergorene Schaumweine. Und er ist gänzlich ungeschwefelt. Die Flasche wird nach den 18 Monaten, die der Wein darin auf der Hefe liegt, nicht mehr geöffnet. Es kann ihm folglich weder SO2 noch Dosage hinzugefügt werden. Daher der knochentrockene Geschmack.
Zugegeben: kein Schäumer für pippige Fingernagelstudiomädels. Der gänzlich ungesüßte Wein würde sie vermutlich verstören. Aber man muss umgekehrt auch kein Exzentriker sein, um den Cuprense 22 zu mögen. Trinkt man ihn zu einer Maki Roll oder zu Sashimi, merkt man sofort, wie gut er ist. Noch besser schmeckt er zu Spaghetti alle Vongole. Die Traubensorten, aus denen er gewonnen ist, heißen Passerina, Pecorino und Montepulciano. Es sind die typischen Rebsorten der südlichen Marken. Letztere ist rot, wird aber zu Weißwein gekeltert. Mit 12 Vol.% ist der Cuprense 22 relativ leicht. Er ist nur schwer zu bekommen. Kein Mensch importiert ihn bis jetzt nach Deutschland. Man muss also schon zu Igino Brutti, dem Winzer, in die Marken, genau: in die Via Cuprense fahren, um sich ein paar Flaschen zu besorgen, wobei Eile geboten ist. Denn die guten Fischrestaurants an der Adria, nur 18 Kilometer entfernt, haben Igino Bruttis Weine längst auf der Liste, und der Cuprense 22 ist immer als erster ausverkauft. Brutti ist eigentlich IT-Experte. Aber Wein ist für ihn tausendmal spannender als die Computerei. Das alte Weingut seiner Familie hat er wieder hergerichtet und zwei Hektar bereits mit Reben bepflanzt. Nicht viel, aber ein Anfang. Ein viel versprechender.
Bezugsquelle: Preis: 13,90 Euro (im Weingeschäft in Italien), bei Igino Brutti im Weingut unter zehn Euro
Fondante Ganzo, Cima del Pomer
Der Fondante Ganzo ist ein Schaumwein aus der Prosecco-Traube Glera. Doch er kommt nicht als Prosecco auf den Markt, sondern als einfacher Vino Spumante, als schäumender Wein. Tatsächlich ist der Ganzo, wie er verkürzend genannt wird, ein Spumante, wie es ihn in dieser Qualität als Prosecco praktisch nirgendwo gibt (auch nicht als Prosecco Superiore, der D.O.C.G.-Version des Prosecco). Denn er ist flaschenvergoren und nicht, wie ein Prosecco, nach der Charmat-Methode im großen Edelstahltank versektet. Mehr noch: Die Flasche, in der die zweite Gärung stattfindet, wird nicht wieder geöffnet. Der Wein wird also nicht entheft (degorgiert). Er ist folglich leicht trüb. Das hat Folgen: Der Ganzo zeigt das gesamte Aromenspektrum eines Weins, der 24 Monate Hefekontakt hatte. Die Aromen, mit denen er spielt, reichen von Brioche bis zu Schießpulver. Natürlich ist der Ganzo deswegen kein Champagner. Die Blüten- und Birnenaromen, die für einen Prosecco typisch sind, schmeckt man bei ihm durch. Aber die feine Perlage, die stabile Mousse und die Cremigkeit sind ähnlich ausgeprägt. Alessandra Vegro Amistani, die das Weingut Cima del Pomer in dem Städtchen Montebelluno zusammen mit ihrem Mann leitet, serviert ihn nicht nur zu Sopressa (der venezianischen Salami) und zu San Daniele Schinken, den beiden klassischen Antipasti des Veneto. Sie lässt ihn auch zu frittierten Meeresfrüchten, Scampi-Pasta oder zu einem Kürbisrisotto ausschenken. Dass der Wein trüb wie ein Weizenbier ist, stört sie und ihre Gäste nicht. Cima del Pomer, das Weingut, produziert 35 000 Flaschen insgesamt, darunter auch „normale“ Prosecco. In Deutschland ist keiner der Weine erhältlich. Eigentlich schade. Aber vielleicht hat der eine oder andere mal Lust, das Weingut zu besuchen. In Montebelluna hat Cima del Pomer einen Weinshop, in dem man den Wein verkosten und kaufen kann. Ein paar Kilometer weiter vermietet die Winzerin an Gäste eine luxuriös eingerichtete Villa mit drei Schlafzimmern und einem Pool. Die Villa steht inmitten der Weinberge, und man lebt dort wie die Dogen einst im nahen Venedig. Von der Villa aus erblickt man übrigens auch einen Hügel mit einem wunderschönen Apfelbaum auf der Spitze: Cima del Pomer im venezianischen Dialekt.
Bezugsquelle: Preis: 15 Euro (im Weinshop in Montebelluna).
Interessant, danke für den Bericht!
Im letzten Absatz scheinen sich ein paar kleine Schreibfehler eingeschlichen zu haben:
– es müsste “D.O.C.G.” statt “D.O.G.G.” heissen,
– sowie “Sopressa” (mit einem P) statt “Sorpressa”,
– der Ortsname ist “Montebelluna”, nicht “Montebelluno”, beide Schreibweisen kommen vor.
Freundliche Grüße