Vor ein paar Tagen war ich auf einer Degustation von Weinen aus dem spanischen Anbaugebiet Ribera del Duero. 50 Weine konnten frei degustiert werden. Auch wenn die berühmten Bodega-Namen wie Vega Sicilia, Pesquera, Aalto, Hacienda Monasterio, Alion, Teofilo Reyes oder Pérez Pascuas fehlten, so waren die Weine ein guter, repräsentativer Querschnitt durch die Produktion dieser altkastilischen DO. Einladen waren lokale Gastronomen, Weineinkäufer, Händler, nach meiner Beobachtung auffällig viele jüngere Besucher: Repräsentanten der Generation Y, deren Geburtsjahr also zwischen den frühen 1980er und den späten 1990er Jahren liegt. Sie wollten sich die Gelegenheit nicht entgehen lassen, die Rotweine eines der renommiertesten spanischen Anbaugebiete kennen zu lernen.
Der Duero ist nicht die Mosel
Gut so. Es wurde fleißig verkostet, und nach den Kommentaren zu urteilen, die ich aufschnappen konnte, haben die Weine den Anwesenden durchweg gut geschmeckt. Allerdings entging mir nicht, dass viele Besucher die Flaschen in die Hand nahmen, das Etikett studierten und nach etwas suchten, was meist unten rechts oder unten links klein gedruckt steht: der Alkoholgehalt. Einen jungen Einkäufer neben mir hörte ich zu seinem Begleiter sagen: „Eigentlich suche ich Weine mit 12,5 Vol.% Alkoholgehalt…“
Wer Ribera del Duero kennt, weiß, dass es kaum Weine unter 13,5 Vol.% gibt. Fast alle haben 14 Vol.% oder mehr. Ich konnte mir deshalb die bissige Bemerkung nicht verkneifen. „Wir sind hier nicht an der Mosel.“
Auch der Alkoholgehalt ist ein Merkmal des Terroirs
Warum erzähle ich diese kleine, unbedeutende Episode? Weil sie gar nicht so unbedeutend ist, wie sie klingt. Sie zeigt, dass viele Weintrinker – die Profis eingeschlossen – auf der Suche nach etwas sind, das es nicht gibt. Ja, nicht geben kann: vollmundige, tanninbetonte Weine mit niedrigem Alkoholgehalt. Egal ob Spanien, Portugal, Toskana, Piemont, Rhône – die besten Weine von dort weisen praktisch alle 13,5 Vol.% oder mehr auf. Ganz zu schweigen von Kalifornien oder Australien. Schuld an den gehobenen Alkoholgehalten sind nicht ignorante Winzer, sondern die natürlichen Gegebenheiten in den jeweiligen Anbaugebieten. Eine Sorte wie die Tempranillo (aus der die Weine der Ribera gewonnen werden) braucht mindestens 120 Tage ab Véraison, um das Tannin reif zu kriegen. Wenn die Tagestemperaturen in dieser Reifeperiode hoch sind (was in südlichen Weinbauländern normalerweise der Fall ist), wird automatisch viel Zucker gebildet – oft mehr als den Winzern lieb ist. Das Resultat: Weine mit 13,5 Vol.% und mehr. Durch eine vorgezogene Lese könnten die Winzer theoretisch den Alkohol deckeln. Doch dann wäre das Tannin unreif, es fehlte dem Wein an jener Fülle, die er braucht, um seinen charakteristischen Geschmack zu bekommen. Das, was den Charakter eines Ribera del Duero, eines Toro, eines Rioja oder – wenn man nach Italien geht – eines Brunello di Montalcino und eines Barolo ausmacht, ginge verloren. Der Alkoholgehalt eines Weins ist, ebenso wie Duft und Geschmack, ein Teil des Terroirs.
Südeuropäische Rotweine mit deutschen Alkoholgehalten – weltfremd
Die Generation Y, die in der Regel mit deutschen Weinen sozialisiert worden ist, tut sich erkennbar schwer, Weine mit erhöhten Alkoholgehalten zu akzeptieren. Für sie bilden 12 oder maximal 13 Vol.% eine rote Linie. Allem was darüber liegt, sprechen sie „Trinkfluss“ ab. Zwar lieben sie im Zweifelsfall Rioja, Pomerol oder Chianti Classico Riserva. Aber diese Weine haben, bitteschön, so leicht zu sein wie ein Moselriesling. Jungen Konsumenten, die gerade beginnen Wein zu trinken und noch nach Orientierung suchen, mag man diese Ungereimtheit nachsehen. Das aber Teile des Weinhandels ebenfalls so tun, als ließe sich spanisches Vollblut mit filigranen Alkoholgehalten in Einklang bringen, ist schon ein wenig befremdlich. Auch viele Weinakademiker, Diplom-Sommeliers und WSET-Absolventen, denen normalerweise kein Satz ohne die Worte „Terroir“, „Charakter“, „Unverwechselbarkeit“ über die Lippen kommt, fordern vehement, die Alkoholgehalte zu senken. Beständen sie wirklich auf diesen Forderungen, dürften sie nur neumodische Spaßweine und Rosés trinken, die dank früher Lese oder dank einer mehr oder minder großen Restsüße niedrige Alkoholwerte aufweisen. Klassische Rotweine wären für sie tabu – egal ob aus Spanien, Frankreich, Österreich, Portugal, Griechenland oder aus Übersee. Die besten liegen fast immer deutlich über 13 Vol.%.
Ist 1% mehr Alkohol der Gesundheit abträglich?
Vielleicht werden sich all diese Profis irgendwann mal fragen, was sie mit ihren Vorbehalten gegen vollmundige Weine eigentlich bezwecken. Glauben sie, dass 1% mehr Alkohol im Wein der Gesundheit abträglich ist? Dann sollten sie ganz auf Wein verzichten. Oder schmecken ihnen vollmundige Weine nicht? Ein ehrliches „Ja“ wäre zu akzeptieren. Aber das Komische ist: Die Weine scheinen ihnen durchaus zu schmecken. Das kann ich deshalb so sicher sagen, weil die Weinkarten der Restaurants und die Sortimentslisten der Weinhändler voll von „schweren“ Rotweinen sind. Irgendjemand muss sie eingekauft haben. Warum, wenn sie angeblich so wenig trinkanimierend sind? Antwort: Weil Kunden und Restaurantgäste das anders sehen. Sie finden überhaupt nicht, dass es diesen Weinen an Trinkfluss mangelt. Im Gegenteil: Wenn sie gut sind, trinken die Konsumenten lieber ein Glas mehr als ein Glas weniger von ihnen.
Trotz aller Kritik: Manche Alkoholgehalt sind übertrieben hoch
Trotzdem möchte ich nicht so tun, als wäre es mir völlig egal, wie viel Alkohol ein Wein hat. Über die hohen Alkoholgehalte, insbesondere der Übersee-Weine, aber auch des einen oder anderen deutschen Spätburgunders, bin ich nicht immer glücklich. Da wird manchmal die Feinheit der Fülle geopfert. Auch in der Ribeira del Duero findet man Übertreibungen, die dazu führen, dass die Weine letztlich unbalanciert sind. Vielleicht wird es spanischen Winzern irgendwann gelingen, hohe Qualität mit ein paar Zehntelgrad weniger Alkohol zu produzieren – man muss das Lesefenster ja nicht bis zum letzten Tag ausreizen. Aber deutsche Alkoholgehalte von spanischen, italienischen, südfranzösischen Rotweinen zu erwarten, wäre weltfremd.
Sehr geehrter Herr Priewe,
vielen Dank für diesen wie immer interessanten Artikel und klaren Standpunkt. Mir gefallen die leichten wie die vollmundigen alkoholischen Weine. Die Vielfalt macht’s, und es kommt häufig auf die Situation an, welcher Wein gerade passt. Vollmundig und alkoholisch wird für mich erst dann zum Problem, wenn es dem Rotwein an Säure fehlt. Dann wird’s marmeladig. In Ribera del Duero – mit Weinanbau auf 700 bis 1000 m Höhe – ist dies selten gegeben. Durch hohe Temperaturunterschiede zwischen Tag und Nacht enthalten die Beeren (und später der Wein) normalerweise sehr gute Säurewerte. Wie sehen Sie das? Besteht da ein Zusammenhang: Je vollmundiger und alkoholischer ein Wein, umso wichtiger die Säure, die ihn trägt.
Mit freundlichen Grüßen
Thomas Götz
Hallo Herr Götz,
gute Pomerols sind bislang nicht durch hohe Säurwerte aufgefallen und schmecken trotz 14 Vol.% Alkohol (oder mehr) nicht marmeladig. Für kalifornische Rotweine gilt das noch mehr. Zwar sind einige – zugegeben – reichlich “jammy”, aber die guten sind wunderbar zu trinken, auch wennn sie 15 Vol.% aufweisen. Aus den tieferen Lagen der Ribeira del Duero gibt es einige Alkoholbomben, aber wenn die Gesamtbalance (Säure eingeschlossen) stimmt, macht das nichts. Siehe Vega Sicilia. Ein Problem sind eher die hohen Lagen. Dort müssen die Trauben lange hängen, um physiologisch reif zu werden, und in der letzten Woche der Hängezeit wird viel Säure veratmet, während der Zucker steigt. Bei der 1996er Gran Reserva “Vigna Pedros” von Perez Pascuas (in über 900 Meter Höhe gewachsen), die ich letzte Woche trank, war von Säure nicht viel zu spüren. Mehr wäre angesichts des Alkohols besser gewesen.
Gruss,
Jens Priewe
Hallo Herr Priewe,
vielen Dank für die Antwort. Sie schreiben, dass eher die hohen Lagen ein Problem sind. Die Begründung, die Sie anführen, klingt plausibel. Die Aussage widerspricht dennoch allem, was ich bisher gehört und gelesen habe. Wenn ich spanische Weingüter besuche und mich mit den Winzern unterhalte, dann betonen praktisch alle wie wichtig die Hochlage in Bezug auf Säure und frische Weine ist. Auch Jancis Robinson und Hugh Johnson argumentieren in ihrem „The World Atlas of Wine“ (7. Ausgabe, S. 182) dahingehend, dass die spanischen Hochlagen ein wichtiger Faktor für Säure in den Beeren und Frische im Wein ist.
Freundliche Grüße
Thomas Götz
Vielen Dank für einen interessanten Artikel. Wir hoffen, dass Sie weiterhin den Geschmack guten Weins genießen werden und neue Arten finden werden, um den besten Weingeschmack und damit das beste Weinerlebnis zu erreichen. Das beste Weinerlebnis beginnt mit dem richtigen Glas. Wir glauben wirklich dass das beste Weinerlebnis beginnt mit einem Zalto Glas.
https://de.zaltify.com
Sehr geehrter Herr Priewe,
dass ein guter Rotwein aus südlichen Gefilden 13,5% und mehr Alkohol haben muss, kann ich nicht nachvollziehen. Auch in den 50-er, sechziger- und 70-er-Jahren hatten zum Beispiel die Weine aus dem Bordeaux-Gebiet bei weitem nicht immer so hohe Alkoholwerte wie heute. Und da gab es auch mitunter schon sehr warme Jahre. Es gibt durchaus sehr filigrane und auch vielschichtige Tropfen mit weniger Alkohol und einem hervorragenden Trikfluss.
Mit freundlichen Grüßen
Eberhard Bauer
Sehr geehrter Herr Bauer,
Sie haben Recht und Unrecht zugleich. Rotweine von der südlichen Peripherie Europas unter 13,5 Vol.% zu finden, ist nicht unmöglich, aber schwer. Zumindest die Topweine liegen eher über als unter dieser Marke. Früher war das nicht unbedingt so. Ihr Verweis auf Bordeaux ist völlig richtig. Praktisch wiesen alle Bordeaux, auch die Premiers, bis 1970/1971 nur 12,5 Vol.% auf. Wie war das möglich? Bis dahin wurde früher gelesen als heute, nicht wegen des Klimas, sondern aus Tradition. Man legte auf die volle physiologische Reife der Trauben nicht denselben Wert wie jetzt. Deshalb gab es auch so viele “kleine” Jahrgänge in Bordeaux, in denen die Weine, wie die alten Bordeaux-Kenner heute manchmal zynisch sagen, gerade “fürs Frühstück” gut waren. Richtig reif (nach heutigem Verständnis) wurden die Trauben nur in wenigen “großen” Jahren wie 1947, 1949, 1952, 1961, 1966 und so weiter. Deshalb sind diese Jahrgänge noch heute so berühmt und so teuer, während sich beispielsweise kein Mensch für 1965, 1967, 1968, 1969 interessiert.
Nach 1970/71 (spätestens nach 1974 mit dem Zusammenbruch des Bordeaux-Marktes) begann dann die Ära von Professoren wie Peynaud und Ribéraud-Gayon, die Beratungsaufträge für bestimmte Châteaux übernahmen und predigten, dass die Trauben physiologisch vollreif sein mussten. Sie verschoben die Lese weiter nach hinten, mit dem Nebeneffekt, dass die Alkoholwerte durchs längere Hängenlassen stiegen. Gestört hast das damals Niemanden. Im Gegenteil: Die Weine sind dadurch reicher, runder, reifer geworden, “sexier”, wie Parker es formulierte.
Der Erfolg des Bordeaux in den letzten vier Jahrzehnten hat massgeblich mit der neuen geschmacklichen Qualität der Weine zu tun, und die geht vor allem auf die Neudefinition der physiologischen Reife zurück (andere Gründe kommen dazu, keine Frage). Die Nachfolger und Schüler von Peynaud & Co. schlugen in die gleiche Kerbe und schoben die Lese immer weiter hinaus. In St. Emilion findet man kaum Weine mit weniger als 13,5 Vol.%, im Merlot-lastigen Pomerol haben die besten Gewächse 14 Vol.% und mehr. Lediglich am linken Ufer findet man gelegentlich noch Weine mit 13 Vol.%. Der Erfolg Bordeaux’ strahlte (und strahlt) auf die anderen Weinbauländer Europas und in Übersee ab. Folglich stiegen auch dort mit der Qualität der Weine die Alkoholgehalte. Niedrige Alkoholgehalte findet man heute praktisch nur noch bei Spass- und Schlichtweinen, aber nicht bei Grands Crus (ausser im Burgund, aber da liegen die Dinge anders).
Eine Bemerkung zum Schluss: Ich glaube, dass manch Weingutsbesitzer und einige intelligente Önologen inzwischen gemerkt haben, dass sie mit der physiologischen Reife überzogen und den “Kollateralschaden” Alkohol unterschätzt haben. Nicht dass sie die Trauben jetzt wieder unreif lesen – aber es gibt eine Tendenz, das Lesefenster, das die Natur ihnen im Herbst bietet, nicht bis zum letzten Tag auszunutzen. Der Markt will nicht so viele superschwere, superreife, superopulente Rotweine, wie sie heute aus allen Teilen der Welt kommen. Gefragt sind moderate Weine, die Frische und Frucht nicht völlig der Reife opfern.
Besten Gruss,
Jens Priewe