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Würden Sie zu diesem Gericht einen Bordeaux trinken?

Bordeaux hat ein Imageproblem. Nicht was die großen Weine angeht, auf die Kenner jedes Jahr ungeduldig warten und für die sie Flaschenpreise von 100 Euro und mehr zahlen. Wohl aber die zahlreichen kleinen Châteaux und Domaines in den niederrangigen Appellationen rund um die selbst ernannte Weinhauptstadt der Welt. Und die stehen für 97 Prozent der Produktion des gesamten Bordelais.

Der Bordeaux-Hype geht an den kleinen Châteaux völlig vorbei

Diese meist namenslosen Weinerzeuger tauchen selten bis nie in den Schlagzeilen auf. Der Bordeaux-Hype geht völlig an ihnen vorbei. „Ist Bordeaux wirklich der leckere Braten, von dem jeder eine Scheibe haben will?“ fragt sich der Sommelier und Journalist Sebastian Bordthäuser, einer der besten Weinerklärer unter den deutschen Sommeliers. Und er gibt selbst die Antwort: „Eher nicht.“ Manche Menschen interessieren sich nicht für Bordeauxweine, weil sie von vornherein denken, diese seien teuer. Oder weil sie meinen, Bordeauxweine seien schwer. Andere haben schon mal einen Bordeaux getrunken, der ihnen nicht geschmeckt hat, und glauben nun, jeden, der es hören will (oder auch nicht), aufklären zu müssen, dass Bordeaux nicht so gut ist, wie behauptet wird.

Wieder andere gehen mit der Erkenntnis hausieren, dass man junge Bordeaux nicht trinken könne, nur gereifte machten Spaß. Vorurteile, Halbwahrheiten, Phantasien.

Bestes Preis-/Leistungsverhältnis bei Rotweinen

Zum Preisargument. Viele Menschen lassen sich von den Phantasiepreisen der teuren Châteaux täuschen. In Wahrheit gibt es bereits für weniger als 30 Euro, ja auch schon unter zehn Euro, gute Bordeaux. Bordeaux bietet, wie wir auf weinkenner.de geschrieben haben, derzeit das beste Preis-/Leistungsverhältnis in Europa auf dem Rotweinsektor.

Zum Geschmacksargument: Die Anbaufläche des Bordelais, des größten zusammenhängenden Weinbaugebiets der Welt, beträgt rund 120.000 Hektar Weinberge (zum Vergleich: Deutschland hat insgesamt 102.000 Hektar Rebfläche). Wer nun behauptet, Bordeaux schlechthin würde ihm nicht schmecken, der bewegt sich auf dem gleichen Niveau wie jener Banause, der dasselbe von deutschem Wein behauptet.

DEN Bordeaux gibt es nicht, genauso wenig wie es DEN deutschen Wein gibt.

Sebastian Bordthäuser sagt: „Es ist in Bordeaux viel weniger in Stein gemeißelt, als viele denken. Dafür ist die Region einfach zu groß.“

Heute schmecken auch junge Bordeaux schon ziemlich gut

Weinlese in Bordeaux | Foto: ©CIVB
Weinlese in Bordeaux | ©CIVB

Ohnehin geschieht gerade vieles im Bordelais. Biowinzer wurden lange belächelt, inzwischen befindet sich ein Drittel der Betriebe in Umstellung auf das EU-Label.

Die strikte Trennung in rechtes Ufer = Merlot und linkes Ufer = Cabernet Sauvignon gilt auch immer weniger.

Um die Weine früher zugänglich zu machen, geben immer mehr Winzer am linken Gironde-Ufer Merlot in ihre Cuvée. Allerdings bekommen die Weine dadurch manchmal einen höheren Alkoholgehalt. Die Rebsorte neigt bei warmen und langen Sommern zu hohen Zuckerwerten und damit zu hohem Alkoholgehalt.

Zum Alters-Argument: Das Muss der langen Reifezeit war einmal. „Vor 15 Jahren hat man bei den Primeur-Verkostungen auf Tannin gebissen. Heute möchte man die Sachen am liebsten sofort austrinken, so wunderbar sind sie manchmal schon in jungen Jahren“, sagt Bordthäuser.

Bootcamp statt Masterclass

Hat man all diese Vorurteile erkannt und öffnet eine Flasche Bordeaux, dann meist wenn es gegrilltes oder geschmortes Fleisch zum Essen gibt. Dabei sind die Weine weitaus interessantere Speisenbegleiter. Die „École du Vin de Bordeaux“ hatte kürzlich in München zu einem Bootcamp geladen – eine angenehme Abwechslung zu den ganzen Masterclasses, die dauernd stattfinden. Ich hatte mich für diese Veranstaltung angemeldet.

Klassiker: Bordeaux zu rotem Fleisch | Foto: ©Culinarypixel
Bordeaux zu rotem Fleisch | ©Culinarypixel

 

Die Teilnehmer verkosteten zehn Weine, jeder unter 30 Euro Endverbraucherpreis, und mussten diese teamweise mit einem fünfgängigen Menü kombinieren – von Fisch bis hin zum Schokokuchen.

Der erste Gang war gepoppter Langostino (im Teig frittiert) mit Shiitakepilzen, Sellerie, Edamame und Sesam-Sushi-Reis. Mein Team entschied sich als Begleitung für den 2012er La Reserve d’Angludet, den Zweitwein von Château d’Angludet aus Margaux. Der Wein wirkt am Gaumen sehr üppig, fast fleischig, und das würde sich unserer Meinung nach gut mit dem vielen Umami des Gerichts vertragen. Tat es auch (€ 32,00; www.moevenpick-wein.de).

Bordeaux zu lauwarmer Seeforelle?

Lauwarmer Saibling: Bier besser als Bordeaux | Foto: ©Culinarypixel
Lauwarmer Saibling | ©Culinarypixel

Der zweite Gang war – aber für alle Teams – ein schwierigeres Unterfangen. Es gab lauwarme Seeforelle mit Muskat-Kürbis und süß-saurem Spitzkohl. Das Aromenspektrum dieses Ganges war derart komplex, dass ein Sommelier aufseufzend meinte: „Im Restaurant würde ich die Segel streichen und dazu ein Bier servieren.“

Danach wurde es wieder einfacher. Das Carpaccio vom Mangalitzaschwein mit Röstzwiebel-Jus, Brunnenkresse und lauwarmem Eigelb harmonierte hervorragend mit dem 2012er La Fleur de Château Haut Piquat aus Lussac-Saint-Émilion. Die Süße des Jus passte gut zu den Aromen von Süßholz, Vanille und Tabak des Weins (€ 11,00; www.weinteufel.de).

Lauwarmer Schokoladenkuchen zu Rotwein

Lauwarmer Schokoladenkuchen zu Rotwein | Foto: ©CIVB
Lauwarmer Schokoladenkuchen | ©CIVB

Gang Nummer vier war ein Heimspiel für den 2010er Château Ferrande aus der Appellation Graves. Seine Noten von dunklen Beeren, Leder und schwarzem Pfeffer, die Extraktsüße und volle Frucht ergänzten aufs Schönste das Böfflamot mit geschmorten Urkarotten (ebenfalls leicht süß) und Gewürz-Blaukrautpüree (€ 24,92; www.millesima.de).

Vor dem Dessert hatten wir alle Zweifel, dass das gut gehen könnte: lauwarmer Schokoladenkuchen mit Tonkabohnen-Eis zu Rotwein? Wir wollten dem 2015er Château Roc de Levraut eine Chance geben, einem 6-Euro-Bordeaux Supérieur. Vielleicht würden die dezenten Schoko-Aromen des Weins funktionieren, hofften wir. Richtig gedacht: Roter Bordeaux kann sogar zu Dessert passen.

 

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3 Kommentare

  1. Saibling Gericht
    interessanterweise wurde kein Bordeaux dazu ausgewählt. Allen, die sich schwertaten, aber besonders dem Somm der aufgab und sich potentiell für Bier entschied (scheusslich) kann ich einen restsüssen, an den süss sauren Spitzkohl angepassten Mosel Riesling empfehlen
    Aber das Thema ist nicht nur in Deutschland ein Problem sondern in der ganzen Welt

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Autor

Jens Priewe
Jens Priewe
Jens Priewe hat viele Jahre als Politik- und Wirtschaftsjournalist gearbeitet, bevor er auf das Thema Wein umsattelte. Er schreibt Kolumnen für den Feinschmecker und für das schweizerische Weinmagazin Merum. Für den Weinkenner, dessen Gesellschafter er ist, hat er seit der Gründung über 200 Artikel beigesteuert. Außerdem ist er Verfasser mehrerer erfolgreicher Weinbücher (u. a. „Wein – die grosse Schule“, „Grundkurs Wein“). Er stammt aus Schleswig-Holstein, lebt aber seit fast 40 Jahren in München.

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