Jeden Donnerstag um 20.15 Uhr läuft im Bayerischen Fernsehen ein Magazin mit dem Namen „quer“, das sich kritisch mit Ereignissen und Menschen im Freistaat Bayern beschäftigt. Eine wichtige Sendung, nicht nur weil sie kritisch ist, sondern weil sie sich – oft auch mit satirischem Einschlag – den vielen kleinen Geschehnissen widmet, die es nie in die Tagesschau, nie ins heute-Journal, nicht einmal in die Regionalnachrichten schaffen und dennoch enorm wichtig sind.
Mit Tröpfchen gegen die Trockenheit
Am 29. April wurde ein Beitrag gezeigt, der mir – pardon – quer liegt. Es ging um die Trockenheit im Weinanbaugebiet Franken. Genauer gesagt: in dem idyllischen Weinbaustädtchen Iphofen. Der dortige Bürgermeister hat zusammen mit dem Stadtrat beschlossen, den Weg frei zu machen für den Bau einer Anlage zur Tröpfchenenbewässerung an den Hängen des Steigerwalds. 260 Hektar Reben sollen bewässert werden, die Iphöfer Renommierlagen Julius-Echter-Berg und Kronsberg eingeschlossen. Drei Trockenjahre hintereinander haben die Iphöfer Winzer alarmiert. Im letzten Jahr war die Erntemenge so niedrig wie seit 50 Jahren nicht mehr. Der Iphöfer Winzer Hansi Ruck, der im „quer“-Beitrag als entschiedener Befürworter der künstlichen Bewässerung auftritt, spricht von weniger als 3000 Liter Wein pro Hektar, die er im letzten Jahr auf Grund der Trockenheit nur noch geerntet hat – statt 5500 Liter wie früher.
Hansi Ruck vs. Richard Östreicher
Eine Bewässerungsanlage für 260 Hektar ist kein Pappenstiel. Es geht um größere Erdbewegungen, damit ein Wasserauffangbecken errrichtet werden kann, und es geht um die kostbare Ressource Wasser. Dass der TV Beitrag sich kritisch mit so einem Projekt auseinandersetzt, hat mich weniger gestört als die Art und Weise, wie er es tat. Da wurde Franken als „Trockenwüste“ bezeichnet, was natürlich Quatsch ist angesichts von immer noch 500 Millimeter Niederschlag jährlich. Da war von „Pipelines“ die Rede, durch die das Wasser herbeigepumpt werden müsse, wo es sich um normale Wasserleitungen handelt. Da wurde gesagt, dass man dem Klimawandel „auf Biegen und Brechen“ begegnen wolle statt neue Wege zu beschreiten. Für die neuen Wege, die es zu beschreiten gäbe, stand dann der Winzer Richard Östreicher, der zwar nicht aus Iphofen, sondern aus Sommerach stammt, aber klar und deutlich sagte, dass er „nicht unbedingt mehr Wasserleitungen braucht, um Weinqualität zu produzieren“. Lieber nehme er geringe Erträge in Kauf – also das, was der Kollege Hansi Ruck nicht kann, weil es langfristig seine Winzerexistenz gefährden könnte. Ein neuer Weg? Eher Passivität: der Trockenheit einfach nur mit einer anderen Einstellung begegnen. Kann man natürlich machen, ist aber an Voraussetzungen geknüpft: ökonomische. Warum die niedrigen Erträge Östreichers nicht dessen Bilanz verhageln im Gegensatz zu der von Hansi Ruck, das müßte eigentlich erklärt werden.
Bei höheren Preisen würde sich die Kundschaft schnell marginalisieren
Ich schätze Richard Östreicher sehr. Seine Weine gehören zur absoluten Spitze Frankens. Seine Weinbergsarbeit ist vorbildlich. Dass er ohne Bewässerung klar kommt, hat allerdings seine Gründe. Er besitzt im Gegensatz zu anderen Winzern viele alte Reben, die im Laufe der Jahrzehnte, wie er mir einmal erzählte, 10 Meter tiefe Wurzeln gebildet haben, um an Feuchtigkeit zu kommen. Es hat auch mit aufwendiger Handarbeit zu tun, mit der er seine Weinberge bearbeitet und seine Böden vor Austrocknung schützt. Er nimmt die niedrigen Erträge nicht nur hin, sondern strebt sie gezielt an. Dafür, und das erfuhr der TV Zuschauer ebenfalls nicht, kosten seine Weine auch ein bisschen mehr als die der meisten Kollegen. Der preiswerteste Silvaner kostet 12,50 Euro, der teuerste Spätburgunder 42 Euro pro Flasche. Die Weine sind – nach meiner Meinung – jeden Cent wert. Nur würde sich, wenn die fränkischen Winzer allgemein solche Preise aufriefen, die Kundschaft schnell marginalisieren. Nicht jeder hat so solvente Kunden wie Östreicher: 3-Sterne Restaurants wie das „The Table“ im Hamburg und die „Überfahrt“ in Rottach-Egern sowie der legendäre „Grill Royal“ in Berlin führen seine Weine auf der Karte – um nur drei prominente Abnehmer zu nennen. Bleibt die Frage, was mit all den anderen Menschen passiert, die nicht 250 Euro für ein Menu ausgeben können und die nicht in luxussanierten Bogenhausener Gründerzeitvillen oder im Penthaus-Wohnungen in der Hafencity leben? Die Silvaner Gutsweine der beiden größten Iphöfer Weingüter, Wirsching und Juliusspital, kosten vergleichsweise bescheidene 7,20 beziehungsweise 7,50 Euro, die anderer Winzer noch weniger. Mag sein, dass sie Östreichers 12,50 Euro-Silvaner vom Dettelbacher Honigberg nicht ganz das Wasser reichen können. Aber es sind trotzdem in ihrer Kategorie sehr gute Weine.
Wollen die Iphöfer Winzer nur ihre Pfründe verteidigen?
Für die fränkischen Winzer ist der einfache Silvaner der Brot- und Butterwein, der ihre Existenz sichert. Der niedrige Preis ist möglich, weil die Traubenerträge bei diesem Wein etwas höher liegen, als sie der Nischenwinzer Östreicher ansetzt. Geringere Erträge würden automatisch eine Verteuerung zur Folge haben. Die gibt der Markt aber nicht für alle her. Diese ökonomischen Zusammenhänge zeigt das Magazin „quer“ nicht auf. Deshalb ist es überheblich, ein Bewässerungs-Projekt zu kritisieren mit der Unterstellung, die Winzer seien nicht bereit, Mengeneinbußen hinzunehmen, um die Weinqualität zu verbessen. Genau das aber suggeriert der Film. Der Autor lässt extrta den Nürnberger Weinhändler Martin Kössler auftreten, der ein erklärter Gegner des Wasserprojekts ist. Er springt in dem „quer“-Beitrag Östreicher zur Seite mit dem Satz: „Die Winzer, die dieses Projekt wollen, wollen nur ihre Pfründe sichern.“ Das ist eine kesse Behauptung, zumal Kössler die Weine von Östreicher selbst vertreibt – was der TV Beitrag ebenfalls nicht erwähnt. Mit Bezug auf seinen Parade-Winzer legt Kössler die Messlatte für Qualität extra hoch, um hinterher locker und flockig kritisieren zu können, dass die anderen fränkischen Winzer bequem unter ihr durchmarschieren.
Tröpfchenberegnung dient nicht der Massenproduktion
Überhaupt erfährt der „quer“-Zuschauer vieles nicht. Dass die Tröpfchenbewässerung auf der südlichen Erdhalbkugel die Regel und vielen mediterranen Weinanbaugebieten weit verbreitet ist – nicht um mehr Menge, geschweige denn Masse zu produzieren, sondern um zu verhindern, dass die Reben unter Trockenstress leiden und die Trauben am Stock verdorren. Oder: dass große Teile des österreichischen Weinanbaugebiets Wachau heute nicht mehr existieren würden, wenn die Landesregierung vor 40 Jahren nicht beschlossen hätte, Anlagen zur Tröpfchenbewässerung zu genehmigen. Oder: dass die Tröpfchenbewässerung in Franken nur das Überleben der Rebstöcke in Trockenjahren sichern soll, und das auch nur in den heißesten vier bis sechs Sommerwochen. Vermutlich weiß nicht jeder TV Zuschauer, dass die Blüte, die über die Anzahl der Trauben entscheidet, die an einer Rebe hängen, zu diesem Zeitpunkt längst abgeschlossen ist und nicht mehr nach oben korrigiert werden kann.
Das Wasser ist kein Trinkwasser, sondern Main-Wasser
Am Ende entsteht der Eindruck, als wollten die Iphöfer mit dem 17 Millionen-Projekt ihre Taschen füllen und dafür kostbares Nass opfern. Erstens müssen die Winzer 30 bis 40 Prozent der Kosten selber tragen. Der Freistaat Bayern finanziert das Projekt nur zu 50 Prozent. Zweitens soll das Wasser nicht den Trinkwasserspeichern, sondern dem Main entnommen werden, und zwar im Winter, wenn der Pegelstand des Flusses hoch ist. Der Main hat dann eine Schüttung von ungefähr 225 Kubikmetern Wasser pro Sekunde. Entnommen werden davon 5 Kubikmeter über fünf Tage – so der Plan. Das Wasser wird dann über eine Wasserleitung in ein zu errichtendes künstlichen Reservoir geleitet, wo es bis zum Sommer vorgehalten wird. Dann wird es über unterirdische Schlauchleitungen unter den Rebzeilen tröpfchenweise direkt an die Wurzeln abgegeben. In Iphofen haben übrigens fast alle Weingüter entschieden, sich an dem Projekt zu beteiligen.
Tun die fränkischen Winzer genug, um die Austrocknung ihrer Böden zu verhindern?
Trotzdem darf man mit Kössler und Östreicher die Frage stellen, ob die fränkischen Winzer immer genügend getan haben oder tun, um die Austrocknung ihrer Böden zu verhindern. Iphofen ist nicht gerade ein Bio-Hotspot. Die Flurbereinigung aus den 1960er Jahren ist aus heutiger Sicht weit über das Ziel hinausgeschossen. Es gibt an den Hängen des Steigerwalds keine ökologischen Inseln, kaum Hecken, wenig Bäume: ein einziges Rebenmeer, das sich bis zur Waldkante hinaufziehtzieht, unterbrochen nur von asphaltierten Wirtschaftswegen. Bio-Diversität sieht anders aus. Bodenbearbeitung und Schädlingsbekämpfung erfolgen vielfach noch konventionell. Und der Winzer Hansi Ruck kämpft offen gegen das Glyphosat-Verbot – stellvertretend für viele. Aber zumindest die führenden Betriebe sind dabei, auf biologischen Weinbau umzustellen. Bei 170 Hektar (Juliusspital) beziehungsweise 90 Hektar (Wirsching) ist das leider nicht so einfach wie auf 5 Hektar , wie sie Östreicher bewirtschaftet.