Start WineHappens Degustationen Wie es ist, einen Riesling von 1811 zu trinken

Wie es ist, einen Riesling von 1811 zu trinken

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Um die Frage nach dem Wert eines 207 Jahre alten Weins vorweg zu beantworten: nicht bezifferbar. Für Menschen, die sich ernsthaft und intensiv mit Wein beschäftigen, besitzt er einen ausschliesslich ideellen Wert, für alle anderen Menschen gar keinen. Einen Preis hat der Wein nicht, weil er nicht auf dem Markt kommt. Käme er auf den Markt und würde einer der Reichen dieser Welt bereit sein, seine Portokasse zu öffnen, könnte eine Flasche durchaus 156.450 Dollar erlösen. So viel zahlte vor einigen Jahren ein amerikanischer Liebhaber für eine Flasche 1787 Lafite-Rothschild. Doch solange sich dieser Reiche nicht gemeldet hat, bleibt alles Phantasie. Die Flasche, die Ende August im Weingut Geheimer Rat Dr. von Bassermann-Jordan in Deidesheim geöffnet wurde, kam aus dem Privatkeller von Jana Seeger, der Witwe des 2013 verstorbenen Unternehmers Achim Niederberger (der 2002 Bassermann-Jordan und danach auch die Weingüter Reichsrat von Buhl und Von Winning gekauft hatte). Sie war eine von acht Flaschen dieses Jahrgangs, die es von diesem Wein noch gibt.

Die Flasche: dünnes Glas, aber stabil

Eine normale braune Schlegelflasche, wie sie auch heute für den Riesling verwendet wird. Nur dünneres Glas, mundgeblasen. Der Korken: neu. Der Wein wurde 2016 zum letzten Mal neu verkorkt und dabei (laut Weingut) mit dem gleichen alten Wein aufgefüllt. Diese Prozedur hatte vorher schon mehrere Male stattgefunden (normalerweise geschieht dies bei Bassermann-Jordan alle 25 Jahre).

Das Etikett: neu, aber dem alten Etikett nachempfunden.

„1811 Forster Ungeheuer“ steht auf dem Etikett, von Hand geschrieben. Kein Abfüller- oder Erzeugername „Bassermann-Jordan“. Auf dem Ursprungsetikett habe nur „Jordan“ gestanden, berichtet Ulrich Mell, der Kellermeister. Die Weingüter Jordan und Bassermann wurden erst 1849 zusammengelegt. Das Ursprungsetikett ist längst zerbröselt (was normal ist bei so alten Flaschen). Zellophanfolie, in die man heute alte Flaschen zum Schutz des Etiketts einwickelt, gab es damals noch nicht.

Der Jahrgang: Schuld soll ein Komet gewesen sein

1811 war das Jahr, in dem Napoleon in Spanien und Portugal einmarschierte. Drüber hinaus ist das Jahr 1811 vor allem wegen einer Himmelserscheinung in die Geschichte eingegangen. Im März erschien ein riesiger Komet am Himmel, der einen hundert Millionen Kilometer langen Schweif hinter sich her zog und nach seinem Entdecker Honoré Flaugergues benannt wurde. Mit diesem Kometen wird die ausserordentliche Güte des Wein-Jahrgangs 1811 in Verbindung gebracht. Andreas Jordan, der damalige Besitzer des Weinguts, soll gesagt haben: „Seit 1783 wurde kein solch trefflicher Wein geerntet.“ Wahrscheinlich beruht die Verbindung zwischen Jahrgangsqualität und Himmelserscheinung auf Aberglauben (der Auftritt von Kometen in den beiden folgenden Jahrhunderten führte keineswegs immer zu besseren Jahrgangsqualitäten). Dennoch ist der 1811er legendär. Alle Promis der damaligen Zeit kauften so viel von dem Kometenwein, wie sie kriegen konnten: allen voran Wilhelm Busch und Johann Wolfgang von Goethe. Letzterer sprach in „West-östlicher Divan“ mehrfach bewundernd von seinem „Elfer“.

Die Lage: das Ungeheuer von Forst

Das Ungeheuer ist die wohl bekannteste Lage des Pfälzer Weindörfchens Forst. Der Name mag furchteinflössend klingen. Er geht aber auf einen Deidesheimer Stadtschreiber gleichen Namens aus dem 17. Jahrhundert zurück. In der heutigen VDP-Klassifikation ist das Ungeheuer eine „Grosse Lage“. Die Weine reichen aber qualitativ nicht ganz an die anderen „Grossen Lagen“ Forsts heran: das Kirchenstück, den Jesuitengarten, den Pechstein. Ob die damaligen Grenzen mit den heutigen identisch waren, ist schwer zu sagen. Wie auch immer: Der überlieferte Ausspruch des ersten deutschen Reichskanzlers Otto von Bismarck: „Dies Ungeheuer schmeckt mir ungeheuerlich“ hat offenbar zum Renommé der Lage enorm viel beigetragen.

 

Der Wein: 207 Jahre im Keller gereift

Der Flascheninhalt: transparent Mahagonibraun die Farbe mit gelben Randaufhellungen. Das Bouquet: überwältigend. Auf meinem Probenzettel steht: Minze, Fenchel, Anis, Granitstaub, Orangenschale, dazu ein leicht medizinaler Ton. Komisch, aber faszinierend. Kein Anflug von Firne. Schon gar keine Oxidation. Am Gaumen leicht ölig und fast trocken, obwohl dieses Ungeheuer sicher mal eine deutlich schmeckbare Restsüsse gehabt hat. Natürlich hat der Wein nach 207 Jahren, die er im Keller lag, nicht mehr die Fülle, die er früher mal besass. Er ist gezehrt, aber nur leicht. Die Säure, die immer noch spürbar ist, hat ihn lange gestützt – vermutlich auch die Restsüße. Die meisten Weine blieben damals mangels temperierter Keller (bzw. Fässer) in der Gärung stecken. Viele gärten nach dem Winter nicht wieder an, blieben am Ende also mehr oder minder restsüß. Da es damals keine Prädikate und keine Klassifikationen nach heutigem Vorbild gab, wurden sie unterschiedslos unter dem Lagennamen abgefüllt. Allerdings wurde damals nur der beste und kleinste Teil des Weins in Flaschen abgefüllt, während der „gemeine“ Wein offen oder in Grossgebinden verkauft wurde. Insofern kann dieses Forster Ungeheuer durchaus als Selektionswein angesehen werden.

Die Beurteilung: das Faszinierendste ist die Frische

Das Urteil: Der Wein ist auch heute noch ein Genuss. Man könnte ihn sich durchaus zu milden, ungesalzenen Macadamia- oder Cashew-Nüssen vorstellen. Aber es wäre schade, ihn mit etwas Essbarem zu kombinieren. Die zarten Teenoten, der braune Kandis, die Aspirintöne – ein grosser Teil des bizarren Aromenspektrums würde untergehen. Das Faszinierendste an ihm ist die Frische, mit der er auch so langer Zeit noch aufwartet. Sie ist das Dokument einer vergangenen Epoche, ähnlich wie der Kopf der Nofretete im Ägyptischen Museum in Berlin: an einigen Stellen angestossen, die Farben etwas verblasst, in seiner makellosen Schönheit jedoch noch immer erkennbar.

Die Verkostung: nur Weinexperten durften ihn probieren

Die Verkostung fand Ende August 2018 in Deidesheim im Ketschauer Hof direkt neben dem Weingut statt. Geladen waren ein gutes Dutzend Weinexperten aus aller Welt, unter ihnen Joel Payne (VINUM Weinführer), Britta Wiegelmann (Gault Millau Weinführer), Gerhard Eichelmann, Stephan Reinhardt (The Wine Advocate), David Schildknecht (Vinous), Anne Krebiehl MW (Wine Enthusiast), Caro Maurer MW, Ulrich Sautter (Falstaff). Begrüsst wurden die Gäste von der Besitzerin der Niederberger-Weingüter Jana Seeger und ihrem Ehemann Peter Hüftlein-Seeger. Der Kometenwein war kurz vor der Verkostung dekantiert und karaffiert worden.

Was sonst noch an Edelsüssem ins Glas kam

Die übrigen Weine: Der 1811er Kometenwein bildete den Höhepunkt der Probe, war aber nicht die einzige Preziose, die an dem Abend gereicht wurde. Ulrich Mell und Gunther Hauck, die beiden Weingutsleiter, präsentierten noch eine grandiose 1942er Riesling Auslese aus dem Deidesheimer Hohenmorgen (Traumjahrgang, wegen der Kriegswirren in Vergessenheit geraten), eine (schon leicht gezehrte) 1950er Beerenauslese aus der gleichen Lage sowie eine (überhaupt nicht gezehrte) 1925er Trockenbeerenauslese (leicht malzig mit einer Nase von Walnusslikör, Mokka, Röstpflaumen und einer immer noch donnernden Säure). Sensationell.

Reichsrat von Buhl: Auch der „trockene“ Mathieu Kauffmann hatte Edelsüsses dabei

Mathieu Kauffmann vom Schwesterweingut Reichsrat von Buhl, der eher für knochentrockene Weine steht, hatte ebenfalls das Archiv geöffnet und liess unter anderem eine 1925er Riesling Trockenbeerenauslese vom Forster Freundstück einschenken: melassebraun mit Olivenöl-grünem Rand, auf der Zunge kandierte Pekannuss und Tannenhonig – ein Weinmonument. Auch wenn man fast hundert Jahre warten muss, um eine TBA in dieser Form zu erleben – es lohnt sich. Passionierte Weinsammler sollten sich klar machen: Vielleicht wollen sich die eigenen Kinder oder Kindeskinder mal an so etwas Feinem delektieren, und solche Schätze zu hinterlassen, ist sicherer als eine Immobilie. An dieser nagt der Zahn der Zeit, an einer TBA nicht. Übrigens: Man kann auch beides hinterlassen.

Von Winning zeigt, dass eine Trockenbeerenauslese auch schon nach 30 Jahren reif sein kann

Das dritte Niederberger-Weingut von Winning ist noch nicht alt genug, um historische Kreszenzen in seinen Kellern zu haben. Es hiess bis 2007 Weingut Dr. Deinhard und wurde nach dem Erwerb durch Achim Niederberger in Weingut von Winning umgetauft. Die 1988er Riesling Trockenbeerenauslese, die Stephan Attmann, der Leiter, aufmachte, stammt also noch aus der Deinhard-Epoche. Sie war, obschon erst 30 Jahre alt, ebenfalls nicht von schlechten Eltern. Im Gegenteil: ein irrer Tropfen, hochviskos mit einem Aroma von kandierten Orangenschalen, karamellisiertem Zucker, salzig-süsser Hummerbutter. Auch wenn der Süssweinmarkt insgesamt im Schrumpfen begriffen ist: Dieser Wein zeigt, dass man ältere TBA’s, die einige vielleicht noch im Keller haben, mal aufmachen sollte statt sie irgendwann zur Auktion zu tragen (wo sie derzeit massenweise angeboten werden). Besser noch: Auch mal ein Fläschlein neu erwerben. Womit sonst sollen die heute 30- und 40-Jährigen sich ihr Rentnerdasein versüssen?

2 Kommentare

    • Lieber David Schildknecht,

      die Weinauktionen in Deutschland sind voll von edelsüßen TBAs und BAs. Ich glaube nicht, dass die Einlieferer alle Diabetiker sind. Insofern stimmt es: im Inland geschmäht. Aber auch im Ausland, speziell in den USA, ist der Markt der edelsüßen Spezialitäten ziemlich zusammengebrochen. Ich rede nicht von Egon Müller, J. J. Prüm, Molitor & Co., sondern von den vielen anderen, keineswegs immer namenslosen Winzern, die auf ihren Preziosen sitzen bleiben. Gefeiert werden diese Winzer bzw. ihre Weine nur nur von ganz wenigen Fachleuten, meistens sind es immer dieselben. Anders ist es mit den restsüßen Kabinettweinen, speziell von der Mosel. Die werden auch in Deutschland derzeit wieder neu entdeckt. Erfreulich!

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