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Silvio Nitzsche über Weinvorlieben Ost und West

Frage: Sie haben lange in Westdeutschland gearbeitet und sind vor drei Jahren nach Dresden gezogen, um dort Ihre Weinkulturbar zu eröffnen. Gibt es Unterschiede in den Weinvorlieben von Ost und West?

Nitzsche: Natürlich. So wie es Unterschiede zwischen Süd und Nord gibt. Vielen Menschen im Osten fehlt die Erfahrung mit feinem Wein. Die haben bis zur Wende Stierblut, Schwarzmädchentraube, Kadarka und Ähnliches getrunken, und manchmal auch danach noch. Etwas Anderes kannten sie nicht. Sie waren unbedarfter als die Menschen im Westen.

Frage: Also eine Vorliebe für süße Weine?

Nitzsche: Trockene Weine gab es ja in der DDR nicht so viele. Ich würde daher sagen: Im Osten haben viele Menschen ab 50 noch heute eine Affinität zu süßen Weinen. Die Jüngeren trinken dagegen lieber trockene Weine.

Frage: Welche trockenen Weine?

Nitzsche: Das Schöne ist: Die Menschen hier sind offen gegenüber allem, was gut ist. Einerseits werden natürlich, wie überall in Deutschland, junge, frische Weine bevorzugt, vor allem im Weißweinbereich: Riesling und Weißburgunder zum Beispiel. Andererseits können sie sich auch mit imposanten Weinen anfreunden, etwa mit einem südfranzösischen Shiraz.

Frage: Hören die Gäste Ihrer Weinkulturbar auf Sie?

Nitzsche: Ich höre auf sie. Ich versuche zu verstehen, welchen Weintyp sie bevorzugen. Dann schlage ich Ihnen einen Wein vor. Oder besser noch: Ich gebe ihnen einen Schluck zum Probieren. Wir sprechen dann, wenn sie mögen, über den Wein, wobei ich sie auf bestimmte geschmackliche Besonderheiten hinweise.

Frage: Sind Ostdeutsche in Geschmacksdingen experimentierfreudiger?

Nitzsche: Die Menschen, die ich in meiner Weinkulturbar kennengelernt habe, bringen zumindest eine große Neugier mit. Sie wollen sich weiterentwickeln.

Frage: Spielt der Preis des Weins im Osten eine größere Rolle als im Westen?

Nitzsche: Ich habe Gäste, die mit dem Moped kommen, und Gäste, die mit dem Rolls Royce vorfahren. Das heißt aber nicht, dass die Mopedfahrer immer preiswerte und die Rolls Royce-Fahrer immer teure Flaschen bestellen. Jeder trinkt, was ihm schmeckt. Und wenn ihm etwas schmeckt, nimmt er auch gern eine Flasche oder einen Karton mit nach Hause. Weine zwischen fünf und 12 Euro Mitnahmepreis gehen am besten, egal welches Fortbewegungsmittel die Gäste benutzen. Ich glaube, in Westdeutschland ist das nicht anders.

Frage: Sie haben auch einen 1982er Cheval Blanc für 1200 Euro in Ihrem Weinbuch. Wäre das nicht ein Wein für Rolls Royce-Gäste?

Nitzsche: Ein Alibi-Wein. Sowas muss man auf der Karte haben. Das ist ähnlich wie in Sterne-Restaurants. Aber bestellt hat den Wein bisher niemand. Ich freue mich ebenso sehr, wenn einem Gast ein einfacher Bourgogne für acht Euro so gut schmeckt, dass er eine Flasche mit nach Hause nimmt.

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Autor

Jens Priewe
Jens Priewe
Jens Priewe hat viele Jahre als Politik- und Wirtschaftsjournalist gearbeitet, bevor er auf das Thema Wein umsattelte. Er schreibt Kolumnen für den Feinschmecker und für das schweizerische Weinmagazin Merum. Für den Weinkenner, dessen Gesellschafter er ist, hat er seit der Gründung über 200 Artikel beigesteuert. Außerdem ist er Verfasser mehrerer erfolgreicher Weinbücher (u. a. „Wein – die grosse Schule“, „Grundkurs Wein“). Er stammt aus Schleswig-Holstein, lebt aber seit fast 40 Jahren in München.

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