Weinvorlieben: Der Osten Deutschlands im Wandel – lieblich ist tot

Reblaus-Terrasse Magdeburg
20 Jahre nach der Wiedervereinigung scheinen die Deutschen einen gemeinsamen Geschmack beim Wein entwickelt zu haben. Der Osten trinkt ein bisschen trockener, der Westen gern ein bisschen süßer als früher. Konvergenz des Weingeschmacks? Antje Seeling, Wein- und Foodjournalistin aus Plauen, sieht die Unterschiede schwinden.

„In den neu­en Bun­des­län­dern mögen die Leu­te am liebs­ten lieb­li­che Wei­ne”, sag­te Albrecht Sau­er, Win­zer im frän­ki­schen Eschern­dorf, bei mei­nem letz­ten Besuch. Sei­ner Ansicht nach hat sich an die­ser vino­phi­len Eigen­art wenig geän­dert in den letz­ten 20 Jah­ren. Auch Superillu-Chefredakteur und Ossi-Versteher Jochen Wolff glaubt zu wis­sen: „Die Ost­deut­schen mögen kei­ne tro­cke­nen Wei­ne.” So jeden­falls hat er sich im Maga­zin der Süd­deut­schen Zei­tung verbreitet.

Wirk­lich? Wein­händ­le­rin Bär­bel Bartels, Inha­be­rin des Wein­kon­tor Reb­laus in Mag­de­burg, ist skep­tisch. Der Geschmack ände­re sich alle paar Jah­re. Außer­dem lern­ten die Leu­te im Urlaub stän­dig neue Sor­ten und Sti­le ken­nen, die dann auch zu Hau­se nach­ge­fragt wer­den, da stel­le sich die Trocken-Frage nicht vor­der­grün­dig. Für Bartels ist die­ses „Ost-trinkt-süß” ein Vor­ur­teil, das sich längst über­holt hat.

Unmit­tel­bar nach der Wen­de ten­dier­ten die Kun­den sogar fast ein­heit­lich zu tro­cke­nen Wei­nen: „Wenn damals einer nach halb­tro­cken frag­te, wuss­te man: Eigent­lich will der was Lieb­li­ches, traut sich das aber nicht zu sagen.“ Inzwi­schen ver­lan­gen Kun­den auch gezielt nach Wei­nen im halb­tro­cke­nen Bereich. „Gera­de Ries­ling mit einem Tick Rest­sü­ße fin­den die Leu­te super inter­es­sant. Aber papp­süß, das will kei­ner.“  Auf­fal­lend sei, dass Aka­de­mi­ker sich offe­ner zu ihrem Geschmack beken­nen als ande­re Weinliebhaber.

Bärbel Bartels„Mäd­chen­trau­be & Co. sind kein The­ma bei uns“, sagt Mike Pfef­fer. Der Mana­ger für Wein und Spi­ri­tuo­sen beim Geträn­ke­groß­händ­ler Hei­loo kennt die Wein­vor­lie­ben in der Regi­on zwi­schen Leip­zig, Chem­nitz und Dres­den bes­tens. „Lieb­li­cher Wein war ein umfang­rei­ches Pflicht­pro­gramm auf der Wein­kar­te — frü­her. Heu­te win­ken die Gas­tro­no­men nur noch ab. Beson­ders deut­lich ist der Wan­del beim Rot­wein. Lieb­lich ist tot!“

Als die Gren­zen sich öff­ne­ten, karr­ten man­che Win­zer der­art zucker­sü­ße Plör­re in den Osten, dass man sich nicht wun­dern brauch­te über das rui­nier­te Image. Nur in abge­le­ge­nen länd­li­chen Ecken mit klas­si­scher, bür­ger­li­cher Gas­tro­no­mie wol­len die Gäs­te nicht ver­zich­ten auf halb­tro­cke­ne und lieb­li­che Trop­fen. In der Stadt dage­gen habe man mehr jun­ges Publi­kum, die wür­den sowie­so tro­cken ordern.

Wäh­rend im Wein­ein­stiegs­al­ter noch kur­ze Zeit weiß und süf­fig beliebt sei, schwen­ken die Kun­den bald um auf tro­cke­ne Wei­ne. Die Geschmacks­rich­tung ste­he aller­dings als Ent­schei­dungs­kri­te­ri­um nicht an obers­ter Stel­le. „Die Kon­su­men­ten ori­en­tie­ren sich in ers­ter Linie am Eti­kett, an der Aus­stat­tung und an der Her­kunft. Der Preis muss natür­lich auch stim­men”, berich­tet Pfeiffer.

Mike PfeifferHalb­tro­cke­ne und lieb­li­che Wei­ne ver­bin­den vie­le Wein­kon­su­men­ten vor allem mit den Ange­bo­ten des Lebens­mit­tel­han­dels, glaubt Clau­dia Heid­ler. Seit rund 15 Jah­ren berät die Che­fin der Weina­gen­tur Grei­fen­berg Fach­han­dels­kun­den in Ber­lin und Bran­den­burg. „Nach der Wen­de ging man nur als Wein­ken­ner durch, wenn man tro­cken trank. Das hat sich geän­dert. Man traut sich jetzt zu sagen: Ich trin­ke gern halb­tro­cken.“ Wobei sie betont, dass statt halb­tro­cken lie­ber fein­herb auf dem Eti­kett ste­hen soll­te, das klingt „ele­gan­ter und ver­mit­telt eine geho­be­ne Qua­li­tät”. Pau­schal gese­hen, stimmt die Wein­fach­frau mit ihren Kol­le­gen über­ein, dass Fach­han­dels­käu­fer ver­stärkt tro­cke­ne Wei­ne kaufen.

Bartels hat noch ein wei­te­re Erkennt­nis über Ost­deut­sche parat: „Zwanzig- bis Drei­ßig­jäh­ri­ge kau­fen weiß und lieb­lich. Mit Mit­te Drei­ßig wech­seln die­se in Rich­tung tro­cken und grei­fen oft zu Rosé­wein. Ab 65 nimmt der Anteil der Käu­fer von lieb­li­chen Wei­nen wie­der stark zu”, fasst die Wein­händ­le­rin zusam­men. Eine Ein­schät­zung, die bun­des­weit gel­ten dürf­te: Nach der 2007 vom Land­wirt­schafts­mi­nis­te­ri­um von Rheinland-Pfalz vor­ge­leg­ten Weiß­wein­stu­die trin­ken die bis 29jährigen Deut­schen vor­wie­gend süß, die 30- bis 65jährigen vor­wie­gend tro­cken, und über 65jährigen wie­der gern lieb­lich – in Ost wie in West.

Süßer RotwweinDas heißt: 20 Jah­re nach der Wie­der­ver­ei­ni­gung haben sich die Geschmä­cker in  Ost und in West ange­gli­chen: Die meis­ten Wein­trin­ker wol­len ein­fach nur unkom­pli­ziert genie­ßen. Tro­cken soll der Wein sein, aber nicht herb. Und wenn er eine klei­ne Rest­sü­ße auf­weist, ist es auch nicht schlecht. Vie­le Win­zer – nicht nur in Sach­sen –  haben das erkannt und schöp­fen das Rest­zu­cker­po­ten­zi­al ent­spre­chend aus.

Die Vor­lie­be für eine klei­ne Rest­sü­ße scheint übri­gens nicht nur ein deut­sches Phä­no­men zu sein. Blind­ver­kos­tun­gen in Groß­bri­tan­ni­en haben jetzt erge­ben, dass drei Vier­tel der befrag­ten Wein­kon­su­men­ten selbst bei Rot­wei­nen eine Rest­sü­ße von bis zu 20 g/l bevor­zu­gen – und sie beschrei­ben sol­che Wei­ne kei­nes­wegs als süß, son­dern als fruch­tig und weich.

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