Start WineHappens Report After Eight im Dezember: von Supertuscans, Grünem Veltliner und einem Yquem

After Eight im Dezember: von Supertuscans, Grünem Veltliner und einem Yquem

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Rare Bottle Sharing – so heißt ein Format, das die Sommelière Paula Bosch und ich für ausgefuchste und neugierige Weintrinker erfunden haben. Mal konzipieren und moderieren wir das Tasting gemeinsam, mal getrennt. Es findet immer in München statt, im Weinladen von Garibaldi am Marienplatz. Dabei öffnen wir acht (meist) exklusive Weine, Raritäten oder ältere Jahrgänge. Das letzte Rare Bottle Sharing des Jahres 2021 moderierte ich alleine. Das Thema lautete: „Supertuscans – so gut wie Ruf? Oder besser?“ Für mich war es das spannendste Tasting des letzten Monats.

Was sind Supertuscans eigentlich?

Kurz zur Erklärung: Als Supertuscans gelten Weine, die außerhalb bestehender Appellationen beziehungsweise aus anderen als den vorgeschriebenen Traubensorten erzeugt werden (zum Beispiel Merlot und Cabernet Sauvignon). Vom Anspruch her möchten sie, wie der Name suggeriert, die qualitative Spitze der Toskana darstellen. So jedenfalls die ursprüngliche Idee. Viele dieser Supertuscans kamen in den 1980er und 1990er Jahren als einfache Tafelweine zu hohen Preisen auf den Markt. Die bekanntesten Supertuscans waren Tignanello und Sassicaia. Inzwischen hat sich die Gesetzgebung geändert. Kein Supertuscan ist heute mehr Tafelwein. Alle sind in irgendwelche Appellationen eingebunden. Den Wildwuchs von damals gibt es nicht mehr. Und da die Weine der traditionellen toskanischen Ursprungsgebiete, zum Beispiel Chianti Classico und Brunello di Montalcino, heute qualitativ stark verbessert sind, werden häufig Zweifel an der Überlegenheit der Supertuscans geäußert. Müsste ich auf der Basis des Rare Bottle Sharing die Frage nach dem guten Ruf selbst beantworten, würde ich bei 6 Weinen „Ja, so gut wie ihr Ruf“ sagen, bei zwei Weinen „Nein“.

Ein Supertuscan überragte alle

Ein Wein war sogar besser als der Ruf. Es war der 2009er Bolgheri Rosso Superiore aus dem Weingut Grattamacco, den der Garibaldi-Inhaber Eberhard Spangenberg zusätzlich gestiftet hatte und den wir aus der Magnumflasche tranken: ein nicht übermäßig bekannter, unter Kennern jedoch hoch geschätzter Wein von der toskanischen Mittelmeerküste, der seinerzeit von nahezu allen internationalen Weinkritikern unisono mit 93/100 Punkten bewertet wurde. Ich würde dem 2009er Grattamacco in seiner heutigen Verfassung glatt noch 3 Punkte mehr zugestehen, wohlwissend dass er damit auf Sassicaia-Niveau wäre. Der Vergleich ist zwar schief, denn der Sassicaia ist ein hundertprozentiger Cabernet, während im Grattamacco 20 Prozent Merlot und 15 Prozent Sangiovese stecken. Aber beide gehören zur gleichen Appellation Bolgheri. Die Tenuta San Guido, aus der der Sassicaia kommt, war das erste Weingut, das dort gegründet wurde, Grattamacco das zweite (1977).

Dessen Reben stehen – im Unterschied zum Sassicaia – nicht am Fuße der Colline Metalliefere (wie die Hügel um Bolgheri heißen), sondern hinter der ersten Hügelkette. Dort ist der Boden karger, das Klima kühler, die Entfernung zum Meer größer. In warmen Jahren (und 2009 war ein warmes Jahr) gelingen die Grattamacco-Weine immer besonders gut – das zeigt sich an diesem sensationell frischen, fachmännisch würde ich sagen: komplexeren Wein, als der Sassicaia es ist. Den hatten wir diesmal übrigens nicht im Programm. Leider ist der 2009er Grattamacco nicht mehr auf dem Markt. Aber die 2017er und 2015er (ebenfalls zwei warme Jahrgänge) sind noch erhältlich. Sie besitzen ein ähnliches Potenzial wie der packende 2009er (85 Euro bei Garibaldi).

Und was ist mit dem Tignanello?

Die anderen Supertuscans der Probe wurden ihrem hohen Ruf gerecht, einige etwas mehr, andere etwas weniger: der muskulöse, noch völlig verschlossene 2016er Flaccianello von Fontodi (dessen 99 bis 100 Punkte, die er fast überall bekommen hat, ein Vorgriff auf spätere Trinkreife sind), der atemberaubende, aber etwas gefällige 2016er Saffredi von Le Pupille, der glatte 2015er Modus Primo von Ruffino, der perfekt gereifte 2009er Oreno von Sette Ponti, der große 2007er Giusto di Notri von Tua Rita und der wuchtige 2008er Monteverro aus dem südlichsten Zipfel der Toskana. Die beiden Weine, die enttäuschten, waren der 2012er Sammarco vom Castello dei Rampolla und der 2006er Tignanello von Antinori – beide zwar aus großen Jahrgängen kommend, aber schon recht müde und vom Anspruch, die Spitze der Toskana zu repräsentieren, weit entfernt.

Ein neues Kapitel Grüner Veltliner

Szenenwechsel. Ein paar Tage hatte später ich ein originelles 4-Augen-Tasting mit Lenz Moser. Der Vertreter der fünften Generation der gleichnamigen österreichischen Weindynastie war früher Europachef von Mondavi. Nach dem Verkauf der kalifornischen Kellerei hatte er sich selbstständig gemacht und ein eigenes Wein-Portfolio zusammengestellt, das er erfolgreich in aller Welt vertrieb. Lenz’ spezieller Ehrgeiz ist es, der Welt zu zeigen, wie gut Grüner Veltliner sein kann (mich braucht er davon nicht zu überzeugen: Ich halte den Grünen Veltliner qualitativ für die unterschätzteste Weißwein-Sorte Europas und verstehe nicht, weshalb nur 5 Prozent der Produktion exportiert werden). Zusammen mit dem Winzer Markus Huber aus dem Traisental hat er einen Wein geschaffen, den die beiden exportkompatibel „New Chapter“ genannt haben: einen Grünen Veltliner aus besten Lagen des Winzers. Also keinen harmlosen Frisch-Fruchtig-Fröhlich-Wein, auch kein verkopfter Meditationswein, wohl aber eine Art Reserve – auch wenn sie nicht so heißt. Lenz und ich probierten den Wein im Schwarzreiter, dem Restaurant des Kempinski-Hotels Vier Jahreszeiten in München – aber nicht solo.

Vier andere Weißweinklassiker standen auf dem Tisch, an denen Lenz seinen „New Chapter“ messen möchte: Carbonnieux Blanc aus Bordeaux, Cloudy Bay aus Neuseeland, Pouilly Fumé von Ladoucette und Robert Weils Riesling „Turmberg“. Der Veltliner hat diese Konkurrenzweine nicht vom Tisch gefegt. Aber er hat sich gegen sie gut behauptet. Er ist so stoffig wie der Carbonnieux, so cremig wie der Pouilly Fumé, so pikant wie der Cloudy Bay und ähnlich mineralisch wie der „Turmberg“. Vor allem ist er in dem blutjungen Stadium, in dem der 2020er sich befindet, ein stunner, wie Lenz sich ausdrückt: ein Wein, der einerseits anspruchsvoll ist, andererseits seine ganze Saftigkeit schon beim ersten Schluck zeigt, was ihn, durchaus gewollt, für die Gastronomie prädestiniert. Meistens ist ein Grüner Veltliner ja, wenn er jung ist, ein bisschen neutral im Geschmack. Seine unnachahmliche Würze entwickelt er erst nach ein paar Jahren. Das ist beim „New Chapter“ anders, weshalb ihn Lenz im Untertitel auch Tomorrow’s Gruner Today genannt hat: eine Meisterleistung, dieser Wein, namenstechnisch und stilistisch (zwischen 27 und 30 Euro bei Mövenpick u.a.).

Vier georgische Qvevri-Weine – eine bleibende Erinnerung

Das Leben eines Weinjournalisten besteht entgegen weit verbreiteter Meinung nicht nur aus Weintrinken. Die Menge Wassers, die ich täglich in mich hineinschütte, übersteigt die des Weins um ein Vielfaches. Kaffee konsumiere ich ebenfalls in nicht geringer Menge. Aber da der Dezember immer der ruhigste Monat des Jahres ist, habe ich ein bisschen mehr Wein als sonst getrunken, rein privat und, wie ich finde, immer noch moderat. Leider war nicht jeder Wein geeignet, das Herz höher hüpfen zu lassen. Eine bleibende Erinnerung waren für mich vier georgische Weine, die von der Botschaft des Kaukasuslandes in Berlin ausgewählt und mir über eine Agentur zugeschickt worden waren. Alle vier waren aus indigenen Rebsorten aus den Regionen Kindsmarauli Marano, Kachetien und Kartli gekeltert und nach Qvevri-Tradition vinifiziert worden, was konkret bedeutete: bis zu sechs Monaten mit Stielen und Schalen auf der Maische in der Tonamphore – raw wines also, (oder, wenn Sie wollen, auch orange wines).

Die drei Weißen waren goldgelb in der Farbe mit einem braunen Mahagonistich, rochen nach gekochtem Apfelmus und Senf, der rote war so müde und matt wie ein Boxer nach 12 Runden. Solche Weine vergisst man nicht, weil sie so ganz aus dem normalen Raster fallen. Vielleicht bin ich die falsche Person für derartige Experimente. Vielleicht ist mein Geschmack schon zu verdorben, um all „die Liebe und den Respekt“ (so ein Erzeuger auf dem Rücketikett) zu erkennen, die in diesen Weinen steckt. Vielleicht bin ich zu ungeduldig gewesen, weil die Flaschen nur 14 Tage offen stehen gelassen hatte, bevor ich mich von ihnen verabschiedet habe. Aber ich gebe zu: ausgetrunken habe ich sie nicht.

Zweimal Burgund: denkwürdig, aber nicht lupenrein positiv

Bleibt die Frage, ob wenigstens zu Weihnachten und zu Silvester etwas ins Glas kam, was bleibende Erinnerungen im positiven Sinn hinterließ. Ja, aber keine lupenrein positiven. Da war der 2004er Bâtard-Montrachet von Vincent Girardin, den ich mal auf einer Auktion ersteigert hatte: mittlerer Jahrgang, großartiger Erzeuger. Ein denkwürdiger Wein, dieser rare Weißwein-Grand Cru, aber old school: schwer wie ein Roter mit viel wächsernen, nussigen Aromen, wenig Mineralik und ohne die Finesse, die die Weine von Pierre-Vincent, Girardins Sohn, heute aufweisen. Zur Bouillabaisse passte er allerdings hervorragend. Enttäuscht war ich dagegen vom 2010er Le Corton von Bouchard Père: ebenfalls ein Grand Cru, diesmal aus einem großen Jahrgang. Ein guter Wein, zweifellos, dem aber fehlt, was Weinverrückte in aller Welt am Pinot Noir so lieben und wofür sie tief in Portemonnaie zu greifen bereit sind: die Pinot-Süße, das Spiel, der Esprit.

Ich schließe mich dem diplomatisch formulierten Urteil von Robert Parker an: Not bad, though I would prefer to see more breeding and sophistication. Wahrscheinlich ist es kein Zufall, dass der Wein mit rund 100 Euro für einen Corton Grand Cru auffällig „billig“ ist. Ein paar Wochen vorher hatte ich den 2019er Spätburgunder „Bienberg“ von Sophie Christmann getrunken, der halb so viel kostet, doppelt so gut ist und alles besitzt, was diesem französischen Burgunder fehlte.

Zum Schluss noch zwei Sauternes

Gänzlich ungetrübt war auch der 1989er Château d’Yquem nicht, den wir zu Silvester zu Sechst aus der Demi tranken – also jeder nur einen Schluck zum Blauschimmelkäse bekam. Der Wein wird immer noch von der Süße dominiert, die all das Andere, das Karamell, die Orangeade, die schwarze Walnuss, das Naphtalin in den Hintergrund drängt. Schade. Trotzdem natürlich ein gigantischer Wein, der mich an einen Vorsatz erinnerte, den ich schon vor vielen Jahren gefasst hatte: keinen Yquem nach 1976 mehr zu kaufen, weil ich den Höhepunkt nicht mehr erleben würde. Wie ich zu dem 1989er kam, weiß ich nicht.

Ein paar Tage vorher hatte ich einen 1986er Chateau Climens aufgemacht, ebenfalls ein Sauternes, aber nicht so konzentriert wie der Yquem und natürlich auch nicht so teuer. Dieser süße Wein ließ mir einen Schauer über den Rücken laufen. Er ist weiter entwickelt und wartet jenseits der tropischen Fruchtnoten mit Salzkaramell, Nougat und Aspirinnoten auf. Klingt nicht sehr appetitlich, schmeckt aber genial – angeblich der beste Climens der letzten 50 Jahre. Sollten Sie sich, liebe Leser, jetzt Sorgen um meine Leber machen, kann ich Sie beruhigen. Zwei der Freunde, die mittranken, waren Ärzte, und einer sagte, dass laut neuen wissenschaftlichen Erkenntissen vier Tassen Kaffee am Tag ausreichen, damit die Leber keinen Schaden nimmt. Ich setz schnell mal eine Kanne auf.

2 Kommentare

  1. Weniger als Kommentar denn als ergänzende Frage zur Schlußbemerkung (‘…vier Tassen Kaffee…’), deren Inhalt weitreichende Konsequenzen haben könnte:
    Sollte das heißen, dass sich mit diesen 4 Tassen die negativen Auswirkungen eines Wein-Monats, mindestens aber eines Wein-Abends – jedenfalls diejenigen für die Leber – eliminieren, oder gar mit einer prophylaktischen Einnahme im Hinblick auf einen bevorstehenden Wein-Abend vermeiden ließen?
    Gruß – W. Anders

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