Nach langer schwerer Krankheit ist der berühmte Weinraritätensammler Hardy Rodenstock vor zehn Tagen im Alter von 76 Jahren gestorben. Rodenstock war einer der schillernsten Personen der internationalen Weinszene. Ihm gelang es immer wieder, spektakuläre Trouvaillen aus alten Weinkellern in England, Belgien und Schweiz aufzuspüren. Der grösste Coup gelang ihm 1985, als er mehrere Flaschen „1787 Lafitte“ (der Name stand für Château Lafite-Rothschild) mit den eingravierten Initialen „Th. J.“ aufgetrieben hatte und bei Christie’s versteigerte. Sie kamen aus einem unbekannten Pariser Keller und sollen für den amerikanischen Präsidenten Thomas Jefferson bestimmt gewesen sein (Jefferson war vor seiner Präsidentschaft Botschafter in Paris). Mit umgerechnet 420 000 Mark wurde der Wein damals zugeschlagen – der höchste Preis, der je für eine Flasche Wein gezahlt wurde.
Legendär waren auch Rodenstocks gross angelegte Raritätenproben, die meist im Arlberg Hospiz in St. Anton stattfanden. Sie zogen Altwein-Liebhaber und Sammler aus aller Welt an. Einmalig war die von ihm 1998 organisierte Probe im Hotel Königshof in München, wo er 125 Jahrgänge Château d’Yquem präsentierte, der älteste von 1784. Die gesamte Crème der Weinwelt von Alexandre de Lur-Saluce, dem damaligen Eigner des Château, bis hin zu den Weinkritikern Robert Parker und Jancis Robinson fand sich damals in München ein.
Getrübt wurde das Bild Rodenstocks durch Zweifel an der Echtheit zahlreicher von ihm angebotenen Flaschen. Das galt auch für den „Th. J.“-Fund. Doch alle gegen ihn angestrengten Verfahren sahen ihn am Ende als Gewinner – oder wurden gar nicht zur Verhandlung zugelassen. Insbesondere der amerikanische Milliardär William I. Koch, der über Jahre versuchte, ein Urteil gegen Rodenstock zu erwirken, scheiterte. Er konnte nicht nachweisen, dass die vier „Th.J.“-Flaschen, die er erworben und die sich als gefälscht erwiesen hatten, aus dem Fundus Rodenstocks stammten.
Rodenstock hat nie bestritten, dass ihm auch gefälschte Flaschen angeboten worden seien. Aber er war ein extrem kenntnisreicher Weinsammler, der keine Kosten scheute, um durch Radiokarbonanalysen und andere wissenschaftliche Verfahren die Echtheit von Etiketten, Korken und Glas prüfen zu lassen, bevor er die Weine seiner weltweiten Käufergemeinde anbot. Auch wenn am Ende nicht immer alle Zweifel ausgeräumt werden konnten – wer je an seinen Proben teilgenommen hatte (wie der Verfasser dieser Zeilen), kann bestätigen, dass es grandiose Weine aus vergangenen Jahrzehnten und Jahrhunderten waren, die eingeschenkt wurden.
In den letzten Jahren war es krankheitsbedingt stiller um Rodenstock geworden. Der ausgebildete Vermessungstechniker, der lange Jahre im Musikbusiness tätig war und erst Mitte der 1970er Jahre seine Leidenschaft für Wein entdeckte, hatte sich nach Kitzbühel zurückgezogen, wo er fest in der dortigen Society verankert war. Seine Weinwissen und seine Erfahrung mit alten Weinen werden der Welt fehlen.