Müller-Thurgau

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    Weiße Rebsorte, die 1882 von Hermann Müller an der Lehranstalt für Weinbau in Geisenheim gekreuzt wurde. Sie ergibt blumige, leicht parfümierte Weine mit moderater Säure. Die Müller-Thurgau gehört zu den umstrittensten Rebsorten überhaupt. Einerseits wird sie für Überproduktion und Qualitätsverfall verantwortlich gemacht. Andererseits wird sie von qualitätsorientierten Winzern als Ergänzungssorte verteidigt. Insbesondere in Deutschland, wo etwa die Hälfte aller Bestände anzutreffen ist, ist sie umstritten. Da sie hinsichtlich der Lage eher anspruchslos ist, hat sie seit 1945 in Deutschland eine weite Verbreitung gefunden und dabei den traditionellen Elbling fast völlig verdrängt. Noch heute steht sie in der deutschen Rebsortenstatistik auf dem zweiten Platz hinter dem Riesling. Die Vorteile der Müller-Thurgau sind die zuverlässig hohen Erträge, die bis 200 hl/ha betragen können, und die hohen Mostgewichte bei früher Lese. Allerdings ist sie stark anfällig gegen Peronospora. Auch durch Graufäule können bei ihr große Schäden entstehen. Inzwischen ist sie auch in Österreich, Ungarn und in England fester Bestandteil des Rebensortiments. Im italienischen Trentino wird sie wegen ihres leicht aromatischen Muskattons hoch geschätzt und wieder vermehrt angebaut, ebenso in Südtirol. In Neuseeland (wo sie in den 1980er Jahren die Nummer eins war), sind die Bestände dagegen drastisch zurückgegangen. In Luxemburg, wo sie Rivaner genannt wird, bedeckt sie über die Hälfte der Weinberge. Auch in der Ostschweiz, wo sie Riesling x Sylvaner heißt, ist sie die am häufigsten angebaute Sorte. Der Name steht für die vermeintlichen Elternreben, aus denen sie gekreuzt wurde. Allerdings hatten Rebwissenschaftler bereits früh Zweifel an der Elternschaft. Aber erst in den 1990er Jahren konnte am Institut für Rebenzüchtung Geilweilerhof im pfälzischen Siebeldingen per DNA-Analyse nachgewiesen werden, dass Müller-Thurgau eine Kreuzung aus Riesling und der Madeleine Royale-Traube ist. Damit scheidet der Silvaner als männlicher Pollengeber definitiv aus. 1996 überraschte dann eine Arbeitsgruppe um den österreichischen Molekularbiologen Ferdinand Regner mit der Erkenntnis, dass die Vaterschaft der Müller-Thurgau der Chasselas de Courtiller gebühre, einer lokalen Spielart der Chasselas-Traube. Diese sei jedoch mit der Madeleine Royale identisch. Die Identität der beiden Sorten wurde jedoch umgehend von sowohl von den Deutschen als auch von der Eidgenössischen Lehr- und Versuchsanstalt im schweizerischen Wädenswil dementiert. So fehlt bis heute die letzte Klarheit über die Vaterschaft dieser weit verbreiteten Sorte (Müller-Thurgau).

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    Jens Priewe hat viele Jahre als Politik- und Wirtschaftsjournalist gearbeitet, bevor er auf das Thema Wein umsattelte. Er schreibt Kolumnen für den Feinschmecker und für das schweizerische Weinmagazin Merum. Für den Weinkenner, dessen Gesellschafter er ist, hat er seit der Gründung über 200 Artikel beigesteuert. Außerdem ist er Verfasser mehrerer erfolgreicher Weinbücher (u. a. „Wein – die grosse Schule“, „Grundkurs Wein“). Er stammt aus Schleswig-Holstein, lebt aber seit fast 40 Jahren in München.