Trollinger galt lange Jahre als das flüssige Brot der Schwaben. Die Vertreter dieses Volksstammes tranken den blassroten Wein täglich, mit und ohne Essen, auch literweise. Von dem, was man in anderen Teilen der Welt unter Rotwein versteht, war der Trollinger so weit entfernt wie der Andromeda-Nebel vom Planeten Erde. Aber Schwaben ist, was den Wein angeht, nun mal eine Galaxie für sich.
Ist oder war? Der Typus des Schwaben, der schon mit dem Henkelglas in der Hand geboren wird, stirbt aus. Mit ihm der Wein, den er so gerne „schlotzte“. Die Trollinger-Rebfläche ist zwar immer noch groß, aber deutlich geschrumpft. Der Wein kämpft mittlerweile auch im eigenen Land um Anerkennung. Eine Handvoll Württemberger Winzer – pardon: Weingärtner oder Wengerter – will sich nicht damit abfinden, dass ihr Hauswein so verhunzt wird wie in der Vergangenheit. Sie hat sich auf die Fahnen geschrieben, aus dem blassroten, dünnen, gerbstofflosen und meist noch gesüßten Tropfen einen richtigen Wein zu machen.
Allen voran die Brüder Aldinger in Fellbach mit ihren beiden Benchmark-Trollingern „Alte Reben“ und SINE, aber auch kleine, unbekanntere Weingärtner wie Felix Springer aus Heilbronn (Trollinger „Alte Reben“), der Sankt-Annagarten in Beilstein (Generation Trollinger), die genossenschaftliche Winzerinitiative Trollinger2Punkt0 der Weingärtner Heuchelberg in Schwaigern (Trollinger Vision), in Lauffen (Trollinger Katzenbeisser) und Cleebronn-Güglingen (Herzog C Trollinger), das Collegium Wirtemberg in Stuttgart (Trollinger „Alte Reben“). Und, last not least, Klaus-Dieter Warth aus Untertürkheim, der sich zwar nicht ganz, aber doch überwiegend dem trockenen, ertragsreduzierten, im Holz gereiften Trollinger verschrieben hat. Selbst sein einfachster Trollinger, der Thaddäus für 6,30 Euro, wird erst nach drei Jahren freigegeben – genauso wie der ambitionierte Barrique-Trollinger Quercus für 32 Euro.
weinkenner.de Der Trollinger ist immer noch die am häufigsten angebaute Rebsorte in Württemberg. Dabei ist der Wein eigentlich schon totgesagt.
Warth Ich sehe das nicht so negativ wie die Kritiker. Die junge Generation hat den Trollinger wieder entdeckt. Und bei den bis 45-Jährigen registriere ich eine Abkehr vom Tannin, also von dunklen, gerbstoffreichen Rotweinen, wie sie in Württemberg seit 20, 30 Jahren als Luxuscuvées kursieren. Man sucht unkompliziertere Weine. Da fällt der Blick automatisch wieder auf den Trollinger, allerdings nur auf den guten.
weinkenner.de Gibt es guten Trollinger?
Warth Aber selbstverständlich. Die Sorte Trollinger hat mehr Potenzial als die meisten Leute glauben. Man muss sie nur richtig behandeln.
weinkenner.de Und wie, bitteschön?
Warth Ertragsreduzierung im Weinberg und Vergärung wie andere Rotweine auch. Also nicht dreitätige, sondern dreiwöchige Maischegärung. Und jeden Tag Unterstoßen des Tresterhuts von Hand, damit Schalen und Kerne immer von Wein umspült sind. Keine Maischeerhitzung. Sie glauben gar nicht, wie farbintensiv der Trollinger plötzlich wird, wenn man ihn so vinifiziert.
weinkenner.de Wo soll die Farbe herkommen? Trollinger-Beeren haben eine dünne Schale und sind bestenfalls blassrot.
Warth Wenn man über 100 Hektoliter pro Hektar erntet, haben Sie recht. Außerdem sind die Beeren des Trollinger relativ groß, der viele Saft, der in ihnen enthalten ist, verwässert die Farbe. Aus solchen Trauben kriegen Sie natürlich keinen guten Wein. Ich reduziere den Behang der Rebstöcke drastisch, so dass nur noch eine Traube oder, für die einfachen Weine, zwei Trauben am Trieb hängen.
weinkenner.de Dadurch kriegen Sie bessere Qualitäten, aber keine farbintensiveren Weine.
Warth Dann halbiere ich die Trauben mit der Schere, schneide die Schultern heraus, so dass die Sonnenstrahlen auch ins Traubeninnere vordringen. Und siehe da: Plötzlich färben sich die Beeren auch im Inneren dunkel.
weinkenner.de Wie hoch sind die Hektarerträge bei Ihnen?
Warth Für den Trollinger vom Cannstadter Zuckerle 80 Hektoliter, für den Bartholomäus 40 Hektoliter…
weinkenner.de Das wäre Premier Cru-Niveau im Burgund.
Warth Von Gesetz wegen sind 110 Hektoliter pro Hektar im betrieblichen Durchschnitt erlaubt. Wenn Sie also bei Ihrem Riesling weniger produzieren, können Sie beim Trollinger umso mehr ernten.
weinkenner.de Das heißt, es können gegebenenfalls ganz legal auch 150 Hektoliter Trollinger geerntet werden.
Warth Wenn die 110 Hektoliter – auf die gesamte Betriebsfläche berechnet – nicht überschritten werden: ja.
weinkenner.de Der Trollinger ist eine spät reifende Sorte. Wann lesen Sie normalerweise?
Warth Früher haben wir die Trauben erst Ende Oktober gelesen. In den letzten Jahren haben wir immer früher mit der Lese begonnen. Im warmen Jahr 2018 haben wir bereits Anfang Oktober gelesen. Der Bartholomäus, unser Spitzen-Trollinger, hat dann 14 Vol.% Alkohol, manchmal auch 15 Vol.%. Das ist viel, aber zusammen mit der niedrigen Säure wird er dadurch sehr weich und rund.
weinkenner.de Viele Trollinger sind restsüß…
Warth Wer ein breites Publikum bedienen muss wie Weingärtner-Genossenschaften, kommt um feinherbe Weine nicht herum. Auch wir haben im Literflaschen-Bereich Trollinger mit Restsüße. Aber unsere Qualitätsweine, also vom einfachen Ein-Stern-Wein bis zum Drei-Stern Spitzengewächs, sind alle durchgegoren. Sie haben zwischen null und drei Gramm Restzucker. Die allermeisten unserer Kunden erwarten echt trockene Weine von uns.
weinkenner.de Für den Bartholomäus müssen sie dafür auch 14,50 Euro zahlen…
Warth Nicht weil er trocken ist, sondern weil er besonders gut ist. Der Wein ist, wie gesagt, stark ertragsreduziert, aufwendig vinifiziert und hat drei Jahre im großen Holzfass gelegen, bevor er gefüllt und freigegeben wurde. Obwohl er trocken ausgebaut ist, ist er unkompliziert zu trinken. Der Grund ist klar: Er hat Substanz und eine reife Frucht. Unsere Kunden honorieren das.
weinkenner.de Der Schwabe trinkt täglich Trollinger, und er trinkt ihn auch außerhalb der Mahlzeiten. Stimmt das?
Warth Das war früher. Der Schwabe, der jeden Tag einen Liter Trollinger trank und das sieben Mal in der Woche, ist praktisch ausgestorben. Heute ist der Trollinger ein Genusswein. Er wird zur schwäbischen Butterbrezel oder zum Vesperkorb getrunken, natürlich auch zur warmen Mahlzeiten: Unser Cannstadter Zuckerle passt gut zum Gaisburger Marsch.
weinkenner.de Gaisburger Marsch?
Warth Das ist ein traditionelles schwäbisches Eintopfgericht: kleingeschnittenes Ochsenfleisch, Fleischbrühe, Kartoffeln, Spätzle – wie gemacht für einen guten Trollinger.
weinkenner.de Sind 7,60 Euro für einen geizigen Schwaben nicht zu viel?
Warth Wer den Trollinger literweise trinkt, wird bei dem Preis vermutlich zusammenzucken. Aber Genusstrinker schreckt der Preis überhaupt nicht. Der Bartholomäus, einer unser zwei Spitzen-Trollinger, kostet sogar fast doppelt so viel. Den können Sie übrigens auch gut zu Rehwild oder zu einem Steak trinken. Und den Quercus, unseren Barrique-Trollinger, zur Ente. Mit Fisch und Rotwein tue ich mich dagegen etwas schwer.
weinkenner.de Ist der Trollinger ein Wein, den nur der Schwabe mag und versteht?
Warth Nicht mehr. Mittlerweile haben ihn auch Weinliebhaber außerhalb der Region entdeckt. In Berlin stehen unsere Trollinger im Restaurant Weiss in Charlottenburg auf der Karte, in Wedemark bei Hannover im Restaurant Zum Eichenkrug. Nur die Badener trinken unseren Wein nicht.
weinkenner.de Die Schwaben trinken ja auch keinen Markgräfler Gutedel und keinen Spätburgunder vom Kaiserstuhl…
Warth Eher nicht. Wir glauben an unsere lokalen Weine. Das Remstal ist eine Ausflugsregion. Am Wochenende kommen viele Stuttgarter, um hier spazieren oder essen zu gehen. Da kehrt man auch gern beim Weingut ein, probiert und nimmt ein paar Fläschle mit.
weinkenner.de Hat der Trollinger in Württemberg einen Standortvorteil?
Warth Wir haben einen Standortvorteil. Wir liegen nur acht Kilometer vom Zentrum Stuttgarts entfernt.
weinkenner.de Was ist der größte Konkurrent des Trollinger? Der Lemberger? Der Spätburgunder?
Warth Ich würde sagen: die Weißweine. Wenn der Trollinger-Konsum insgesamt etwas zurückgeht, dann wegen des Rieslings.
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