WeinGuide 2011: Sinnfreies Ordnungsstreben

Cover Gault Millau WeinGuide Deutschland 2011
Der WeinGuide des Gault Millau ist die wichtigste, auflagenstärkste und international am meisten beachtete Publikation über deutschen Wein. Er bepunktet nicht nur die Weine, er klassifiziert auch die Weingüter. Aber so wie er das tut, geht er an der Realität der meisten Weintrinker und Weingüter vorbei, findet Jens Priewe.

Seit drei Mona­ten ist er raus: der Gault Mil­lau Wein­Gui­de Deutsch­land. Die ers­te Aus­ga­be nach dem Aus­schei­den des lang­jäh­ri­gen Mit-Chefredakteurs Armin Diel. Und die ers­te Aus­ga­be nach dem müh­sam geschlich­te­ten Streit um frei­wil­li­ge Unkos­ten­bei­trä­ge der Wein­gü­ter an den Ver­lag. Am Ende sind die abtrün­ni­gen Wein­gü­ter, die weder zah­len noch Pro­be­wei­ne abstel­len wol­len, zurück­ge­kehrt zwi­schen die Buch­de­ckel die­ses Wein­füh­rers. Gut so.

Wie zuver­läs­sig ist die­ser Gault Mil­lau Wein­Gui­de 2011 nun, die wich­tigs­te, auf­la­gen­stärks­te und inter­na­tio­nal am stärks­ten beach­te­te Publi­ka­ti­on über deut­schen Wein? Rund 5000 fla­schen­ab­fül­len­de Betrie­be gibt es in Deutsch­land. Knapp 1000 sind in dem Füh­rer auf­ge­lis­tet – nume­risch eine rei­fe Leis­tung. Noch mehr Wein­gü­ter wür­den den Füh­rer eher ent- als auf­wer­ten. Schließ­lich muss man nicht jedes Gewächs vom Rüben­acker würdigen.

Und die Aus­wahl der Wein­gü­ter? Hat der Wein­gui­de wirk­lich die bes­ten Erzeu­ger­be­trie­be aus­ge­wählt? Deren Wei­ne streng nach Qua­li­tät bewer­tet? Zumin­dest haben der Ver­lag und die Tes­ter kei­nen Auf­wand gescheut, was das Pro­bie­ren angeht. Sie haben ins­ge­samt 12.500 Wei­ne degus­tiert, aus denen sie 7500 aus­ge­wählt und bewer­tet haben, einen Teil davon mehr­mals bei unter­schied­li­cher Beset­zung der Kostgremien.

Das Resul­tat: Kein Leser bleibt im Unkla­ren, wer bezie­hungs­wei­se wel­cher Wein der Bes­te im Lan­de ist, und zwar in nahe­zu jeder denk­ba­ren Kate­go­rie. So hat der Redak­ti­ons­com­pu­ter jede Men­ge Ran­kings ange­fer­tigt, von den bes­ten Win­zer­sek­ten über die bes­ten tro­cken Ries­lin­ge, die bes­ten fein­her­ben Ries­lin­ge, die bes­ten Kabi­net­te, die bes­ten Spät­le­sen, die bes­ten Aus­le­sen bis hin zu den bes­ten edel­sü­ßen Wei­nen. Und das Gan­ze noch mal für Weiß­bur­gun­der und Spät­bur­gun­der. Alles punkt­ge­nau und arith­me­tisch korrekt.

Natür­lich fehlt auch ein Ran­king der “größ­ten Schnäpp­chen“ nicht, sorg­fäl­tig dif­fe­ren­ziert nach rot und weiß. Denn der Gault Mil­lau führt (ver­nünf­ti­ger­wei­se) auch die Prei­se aller degus­tier­ten Wei­ne auf. Dazu Ran­kings der bes­ten „leich­ten tro­cke­nen Ries­lin­ge“, der „süf­figs­ten Schop­pen­wei­ne“, der „Bes­ten der letz­ten Deka­de“. Wer bis­her schwin­del­frei war, dem wird beim Lesen die­ser Lis­ten schwindelig.

Damit Alt­wein­trin­ker nicht zu kurz kom­men, wur­den auch noch die 2000er Spät­bur­gun­der und die tro­cke­nen Ries­lin­ge des Jahr­gangs 2000 nach­ver­kos­tet, um gerankt wer­den zu kön­nen. Und was ist mit dem fein­her­ben Mosel­wein? Rich­tig, er wur­de nicht ver­ges­sen. Also muss­ten die armen Spät­le­sen der Jahr­gän­ge 2000 und 1990 noch einen Extra-Test über sich erge­hen las­sen. Selbst die Schnäp­se der Win­zer sind vor dem Ord­nungs­drang des Gault Mil­lau nicht sicher. Eigent­lich fehlt nur das Ran­king der zehn größ­ten Kopfschmerz-Weines des Jahres.

Doch soweit ist der Wein­Gui­de noch nicht. Fürs ers­te hat er sich damit begnügt, Slow Food Deutsch­land in sein Pro­jekt ein­zu­bin­den. Die „welt­wei­te Ver­ei­ni­gung von bewuss­ten Genie­ßern“ durf­te erst­mals die Gault Millau-Weine nach „ihrer Gebiets­ty­pi­zi­tät, ihres Rebal­ters, ihrer orga­ni­schen Anbau­wei­se oder ihres beson­de­ren Geschmacks“ bewer­ten und gege­be­nen­falls mit einer Schne­cke, dem Sym­bol die­ser Ver­ei­ni­gung, aus­zeich­nen. Ver­ste­he das, wer wol­le. Doch viel­leicht geht es ja nur dar­um zu ver­hin­dern, dass die „bewuss­ten Genie­ßer“ auf die Idee kom­men, einen eige­nen Wein­füh­rer auf den Markt zu brin­gen – wie gera­de in Ita­li­en geschehen.

Joel Payne, den Chefredaktuer des WeinGuide, mit dem Winzer des Jahres 2011Ob das Ord­nungs­stre­ben ein Pro­dukt der Redak­ti­on ist oder dem Kom­merz­ge­dan­ken des Chris­ti­an Ver­lags ent­stammt, ist schwer zu sagen. Jeden­falls ist der Gault Mil­lau dabei, aus dem ver­dienst­vol­len Tes­ten des Weins der jeweils neu­en Jahr­gän­ge eine Olym­pia­de zu machen. Der Ehr­geiz, stän­dig die Bes­ten benen­nen, ist auf die Dau­er ermüdend.

Kom­men wir zur Bewer­tung der Wei­ne. Der Rezen­sent kann nicht für sich in Anspruch zu neh­men, die Wei­ne bes­ser zu beur­tei­len als die 20 Juro­ren des Gui­des, die alle aus­ge­buff­te Fach­leu­te sind. Er zwei­felt deren Bewer­tun­gen nicht an. Sie erschei­nen ihm plausibel.

Aber der Gault Mil­lau bepunk­tet nicht nur Wei­ne. Er klas­si­fi­ziert auch Wein­gü­ter. Und zwar so: Eine Trau­be für zuver­läs­si­ge Betrie­be, fünf Trau­ben für Weltklasse-Weingüter. Die Klas­si­fi­ka­ti­on ist ein tra­gen­des Ord­nungs­prin­zip. Der gan­ze Gui­de ist nach die­sem Prin­zip geglie­dert: die welt­be­rühm­ten Erzeu­ger­be­trie­be vorn, die blas­se­ren hin­ten. Kon­kret: Die Reb­holz, die Prüm, die Haag, die Meyer-Näkel, die Kel­ler, die Dönn­hof und wie die übli­chen Ver­däch­ti­gen alle hei­ßen – sie bestrei­ten im Gault Mil­lau das Match. Durch­aus zu Recht. Von ihnen kom­men nun mal die bes­ten Wei­ne des Lan­des, und zwar alle Jah­re wieder.

Trotz­dem: Nach wel­chen Kri­te­ri­en erfolgt die Ein­stu­fung der Wein­gü­ter? Der Wein­Gui­de sagt: nach der „Gesamt­qua­li­tät der Kol­lek­ti­on“. Was das bedeu­tet, ist unklar. Viel Bauch­ge­fühl, ein biss­chen Grup­pen­dis­kus­si­on, wenig objek­ti­ve Kri­te­ri­en. Eines ist aller­dings leicht fest­zu­stel­len: Die Spit­zen­wei­ne eines Gutes wer­den hoch, die Basis­wei­ne nied­rig gewichtet.

Und da beginnt das Pro­blem: Der Gault Mil­lau ist stark auf die Por­sches und Mer­ce­des unter den Wei­nen aus­ge­rich­tet, nicht auf die Kias oder Ford Escorts. Dabei machen die­se im Stra­ßen­ver­kehr die Mehr­heit aus. Anders gesagt: Erzeu­ger­be­trie­be, die ihren Fokus auf gute Basis­qua­li­tä­ten legen, wer­den bei der Ein­stu­fung bestraft. Sie lan­den in der drit­ten oder vier­ten oder fünf­ten Rei­he, wo der Leser nicht nach guten Qua­li­tä­ten fahndet.

Ein Bei­spiel: Das Gro­ße Gewächs vom Kied­ri­cher Grä­fen­berg aus dem Wein­gut von Robert Weil ist laut Wein­Gui­de der nach Punk­ten bes­te tro­cke­ne deut­sche Ries­ling des Jahr­gangs 2009. Weil wird mit 5 Trau­ben als Weltklasse-Weingut geführt. Doch bei den Basis­wei­nen sind, um im Rhein­gau zu blei­ben, 2-Trauben-Betriebe wie August Eser, Prinz von Hes­sen und das Wein­gut H. T. Eser – ein 1-Trauben-Betrieb – qua­li­ta­tiv genau­so gut wie der ent­spre­chen­de Ein­stiegs­wein von Weil. Und deut­lich billiger.

Oder die Pfalz: Sven Lei­ners ein­fa­cher Ries­ling Kabi­nett tro­cken erreicht in der Pfalz die­sel­be Punkt­zahl wie Knip­sers ein­fa­cher Ries­ling Kabi­nett tro­cken. Aber Lei­ners Wein­gut erhält als Gesamt­wer­tung gera­de mal eine Trau­be, wäh­rend der Betrieb Knip­sers fünf bekommt und des­sen Inha­ber gleich­zei­tig „Win­zer des Jah­res“ wird.

Die Bei­spie­le las­sen sich fort­set­zen. In Rhein­hes­sen erhal­ten die Guts­wei­ne von Dreis­sig­acker und Battenfeld-Spanier, bei­des 3-Trauben-Betriebe, sowie der Eingangs-Riesling des klei­nen Wein­guts Bäder, der als 1-Traubenbetrieb dahin vege­tiert, mehr Punk­te als Wagner-Stempels ent­spre­chen­der Guts­wein, obwohl sich des­sen Betrieb mit 4 Trau­ben schmü­cken darf.

Die 100 Weine 2010Selbst wenn ein Win­zer beim „Schnäppchen“-Ranking oder beim Ran­king der „süf­figs­ten Wei­ne“ ganz oben steht – bei der Klas­si­fi­ka­ti­on hilft ihm das nicht wei­ter. Da steht er im Zwei­fels­fall in der letz­ten Rei­he, wenn ihm die Spit­zen­wei­ne fehlen.

Die „Ord­nung“ des Gault Mil­lau stellt damit die Wein­welt auf den Kopf. Denn die Lebens­wirk­lich­keit der wein­trin­ken­den Men­schen in Deutsch­land ist, wenn sich der Schrei­ber die­ser Zei­len nicht täuscht, kei­nes­wegs so, dass die­se jede Woche eine Spät­le­se oder Gro­ßes Gewächs köp­fen. Sie suchen den Super-Gutswein, einen leich­ten Kabi­nett, die preis­wer­te Literqualität.

Die­se All­tags­wei­ne – nen­nen wir sie mal so – in guter Qua­li­tät zu fin­den, ist der Gault Mil­lau nicht sehr hilf­reich. Zwar führt er zahl­lo­se die­ser All­tags­wei­ne auf. Doch das Para­do­xe ist, dass der Leser sie meist bei den nied­rig oder mit­tel ein­ge­stuf­ten Betrie­ben fin­det. Sicher, da wären noch die Ran­kings. Aber sie ent­hal­ten nur die zehn punkt­höchs­ten Wei­ne. Außer­dem gin­ge es dar­um, die bewuss­te Inves­ti­ti­on eines Wein­guts in Basis­qua­li­tät zu beloh­nen – durch eine ent­spre­chen­de Ein­stu­fung. Statt­des­sen wer­den sie bestraft.

Wesent­lich näher an der Rea­li­tät ist das all­jähr­lich erschei­nen­de Ran­king der Fach­zeit­schrift Wein­wirt­schaft. Sie lässt Wei­ne tes­ten, die im Fach- oder Lebens­mit­tel­han­del ange­bo­ten wer­den, über drei Euro kos­ten und von denen min­des­tens 10 000 Fla­schen pro­du­ziert wer­den – also Wei­ne, die der Grund­ver­sor­gung dienen.

Die nach Mei­nung der Jury bes­ten Rot­wei­ne in der TOP 100-Liste sind der Dorn­fel­der Bar­ri­que von F. W. Lang­guth Erben und der Dorn­fel­der von Zimmer-Graeff & Mül­ler aus der Pfalz. Im Gault Mil­lau tau­chen die bei­den Betrie­be gar nicht auf. Eben­so wenig das Deut­sche Wein­tor. Man kann über die größ­te Pfäl­zer Genos­sen­schaft den­ken wie man will: Ihr Exklu­siv Grau­bur­gun­der tro­cken für 3,89 Euro lan­de­te bei der Wein­wirt­schaft auf Platz 10. Für Gault Mil­lau ist das Deut­sche Wein­tor kein Thema.

Bleibt fest­zu­hal­ten: Ein Wein­füh­rer, der die Wein­gü­ter nach Spit­zen­wei­nen und nicht nach Basis­qua­li­tä­ten ein­stuft, schafft sich irgend­wann sel­ber ab. Er kann nichts Neu­es mehr ver­mel­den. Die Top-Betriebe sind jedes Jahr die­sel­ben. Span­nend wird es erst, wenn bei der „Gesamt­qua­li­tät der Kol­lek­ti­on“ die ein­fa­chen Wei­ne eben­so hoch wie die der Spit­zen­wei­ne berück­sich­tigt wer­den. Wenn nicht, ist eine Klas­si­fi­ka­ti­on wirk­lich nur ein Pro­dukt eines sinn­frei­en Ordnungsstrebens.

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