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Wein und Preis: Wie egal ist der Geschmack?

Dass Qualität und Preis beim Wein wenig miteinander zu tun haben, ist eine unter Weinexperten hinlänglich bekannte Tatsache. Deshalb stellt sich für diese Experten immer wieder die Frage, warum Menschen für Weine, die sie gar nicht recht mögen, viel Geld ausgeben – besonders die intelligenten Menschen.

Eine Antwort auf diese Frage gibt ein Artikel, der kürzlich im amerikanischen Journal of Wine Economics erschienen ist. „Der Geschmack des Weins – ist er überhaupt wichtig?“ lautet die provokante Überschrift. Der Autor Eliott R. Morss resümiert darin mehrere Untersuchungen, die den Schluss nahelegen, dass Preis und Prestige eines Weins so gut wie gar nichts mit dem Geschmack zu tun haben.

Den Geschmack kann man nicht sehen

Nach der Auswertung von 1387 Beobachtungsdaten zum Kauf und zur Verkostung von Bordeaux und Burgundern hatten die Wein-Soziologen Sébastien Lecocq und Michael Visser schon 2006 festgestellt: „Den größten Teil der Preisunterschiede erklären Eigenschaften, die sich dem Konsumenten direkt mitteilen, beispielsweise beim Betrachten der Flasche und seines Etiketts …“

Das heißt: Der Kunde zieht die Herkunft, den Jahrgang, vielleicht die Punktbewertungen von irgendwelchen Kritikern heran, um auf dieser Basis seine Entscheidung zu treffen – aber nicht den eigenen Geschmack.

Ernesto Gallo wusste es immer schon …

Die Erkenntnis ist nicht neu. Ernest Gallo, der Gründer der gleichnamigen kalifornischen Großkellerei, war zwar kein genialer Weinmacher, aber begnadeter Geschäftsmann, der offenbar sehr genau wusste, was in den Köpfen der Käufer vor sich geht, wenn sie eine Weinentscheidung fällen müssen. In seinen Anfangstagen soll er einmal dem Einkäufer eines Supermarktes gegenüber gesessen haben, um ihn zwei Weine probieren zu lassen: der eine für 5, der andere für 10 Cent. Der Einkäufer fand den 10-Cent-Wein besser und tätigte eine entsprechende Order. Tatsächlich hatte Gallo in beide Gläsern den gleichen Wein geschenkt.

Andere Weinverkäufer machen diese Erfahrung täglich. Und sie befinden sich durchaus in Übereinstimmung mit wissenschaftlichen Erkenntnissen, die die Gesellschaft für Konsumforschung in Nürnberg (GfK) schon vor fast zehn Jahren für den deutschen Weinmarkt präsentierte: 39 Prozent der Konsumenten gaben damals an, dass die Weinqualität das wichtigste Kriterium bei ihrer Kaufentscheidung sei.

Rund die Hälfte dieser 39 Prozent bekannte aber gleichzeitig, Wein in der Regel ohne vorherige Verkostung zu kaufen. Auch in diesem Fall müssen die Kriterien für Weinqualität folglich woanders her kommen als aus der eigenen Sinneswahrnehmung von Geruch und Geschmack.

Testern schmeckt teurer Wein keineswegs immer am besten

Neuere Forschungen aus den USA schildern noch einen weiteren, frappanten Aspekt des Missverhältnisses zwischen Weinpreis und faktischem Genusserleben. Ein Autorenteam um den amerikanischen Konsumkritiker und Harvard-Absolventen Robin Goldstein fand anlässlich der Auswertung von 6000 Daten aus Blindverkostungen heraus, dass „Tester, die den Weinpreis nicht kennen, mitnichten mehr Spaß an teureren Weinen haben …“

Das Autorenteam doppelt sogleich nach und zieht – konsequenterweise – den Nutzen von Weinkritiken in Frage: „Der durchschnittliche Weintrinker wird möglicherweise wenig Nutzen von Experten-Ratings haben: Denn er oder sie mag einfach nicht denselben Typ Wein, den die Experten bevorzugen.”

Was lernen wir daraus?

Erstens: Ball flach halten. Weintrinken ist keine Wissenschaft, und die Kunst der Weinverkostung ist Grenzen der Präzision unterworfen.

Zweitens: das Misstrauen gegen das eigene Geschmacksurteil abbauen und die persönlichen Verkostungsfähigkeiten schulen, um Weine zu finden, die wiederholbar zu positiven Trinkerlebnissen führen.

Drittens: genießen, was einem gefällt – und nicht glauben, dass  teure oder hoch bewertete Weine automatisch besser schmecken (… aber umgekehrt auch nicht dem Fehlschluss verfallen: je billiger, desto besser).

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Autor

Jens Priewe
Jens Priewe
Jens Priewe hat viele Jahre als Politik- und Wirtschaftsjournalist gearbeitet, bevor er auf das Thema Wein umsattelte. Er schreibt Kolumnen für den Feinschmecker und für das schweizerische Weinmagazin Merum. Für den Weinkenner, dessen Gesellschafter er ist, hat er seit der Gründung über 200 Artikel beigesteuert. Außerdem ist er Verfasser mehrerer erfolgreicher Weinbücher (u. a. „Wein – die grosse Schule“, „Grundkurs Wein“). Er stammt aus Schleswig-Holstein, lebt aber seit fast 40 Jahren in München.

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