Kein gutes Weinjahr in BordeauxNoch Mitte September war man in Bordeaux sicher, dass man am 10. Oktober mit der Lese der roten Trauben beginnen könne, berichtet die Tageszeitung Sud Ouest in ihrer Ausgabe vom 4. Oktober: „Doch seitdem haben die sich verschlechternden Wetterbedingungen alle Vorhersagen über den Haufen geworfen, die Notlese hat begonnen.“
Zum Beispiel auf Château Rauzan-Ségla. 160 Erntehelfer sind derzeit im Einsatz, um zu retten, was noch zu retten ist. Regen und Sturm haben am Wochenende das linke und das rechte Ufer der Gironde heimgesucht. Die Nassfäule breitet sich rasant aus, vor allem bei den Merlot-Trauben. John Kolassa, der Direktor dieses renommierten Deuxième Grand Cru Classé aus Margaux, das zu den wenigen Châteaux gehört, die ihre Lesehelfer während der Lese verköstigen, wird mit dem bitteren Ausspruch zitiert: „Wenn man faules Gemüse für eine Suppe verwendet, schmeckt sie nicht. Ähnlich ist es mit den Trauben und dem Wein.“
Marquis de Terme: „Komplizierter Jahrgang“
Auch auf Marquis de Terme, einem viertklassifizierten Margaux-Château, hat die Merlot-Lese bereits begonnen. Eine hochmoderne, optische Sortieranlage soll dafür sorgen, dass nicht nur faule Trauben, sondern auch nicht-tanninreife Beeren mittels eines Farbscanners automatisch ausgelesen werden. „Es ist ein komplizierter Jahrgang“, gibt der Direktor Ludovic David unumwunden zu. „Der schwierigste, den ich in 19 Jahren erlebt habe.“
Ben Kennedy, Fine Wine-Experte für das Investmenthaus Rive Gauche Wines in Bordeaux, berichtet in der Zeitschrift The Drinks Business, dass der Direktor eines Premier Cru in vertraulicher Runde mit Kollegen sogar vom „schlechtesten Jahrgang meiner Karriere“ gesprochen haben soll. Vorerst nur ein Gerücht. Nichts Offiziöses. Aber die Zeichen stehen schlecht. „Die Hoffnungen auf einen Indian Summer haben sich nicht realisiert“, schreibt das Internetportal La Pipette Aux Quattre Vins über die Weinernte 2013. „Man schaut zum Himmel, kreuzt die Finger und hofft, dass es kein Waterloo wird.“
Ein Waterloo für den Wein?
Das ganze bisherige Jahr 2013 war wettermäßig eine Katastrophe für die Winzer von Bordeaux. Kühle Temperaturen im Mai und Regen im Juni haben zu einer unregelmäßigen Blüte geführt. Viele Trauben trugen nur fünf, sechs Beeren. Juli und August waren dagegen heiß. An den Touristenstränden am Atlantik herrschte Hochbetrieb und gute Laune. Der Vegetationsrückstand der Reben konnte ein wenig verringert werden. Allerdings haben zwei verheerende Hagelstürme viele Weinberge verwüstet. Nach ersten Prognosen sind 10.000 Hektar betroffen, vor allem in Entre-Deux-Mers.
Enttäuschender September
Das Médoc und St. Emilion mit seinen Satelliten-Appellationen blieben glücklicherweise von den Unwettern verschont. Die Châteaubesitzer, die keine Schäden zu beklagen hatten, setzten ihre ganzen Hoffnungen nun auf den September. Doch der fiel unerwartet kühl aus. Außerdem gab es immer wieder kleinere Regenfälle. Am 20. September besserte sich dann das Wetter plötzlich. Ein paar Tage Sonnenschein – und die Mienen der Winzer hellten sich auf. Der Sommer schien zurückzukehren. Der Mondwechsel Anfang Oktober würde, so Olivier Bernard, Präsident der Grands Crus Classés von Bordeaux und Besitzer der Domaine de Chevalier in Graves, den Winzern vielleicht doch noch „einen Goldenen Oktober bescheren“.
Château Pontet Canet
Goldener Oktober nicht in Sicht
Doch auch diese Hoffnung trog. Nach dem Mondwechsel fegte erneut ein Regensturm über Bordeaux und sorgte dafür, dass die fast reifen Merlottrauben massenhaft von der Nassfäule befallen wurden. Wer es schaffte, kurzfristig eine Lesemannschaft zusammenzustellen oder einen Vollernter aufzutreiben, begann diese Woche mit der Ernte der Merlot. Doch die wenigsten Trauben haben zu diesem Zeitpunkt ihre volle physiologische Reife erreicht. Das Tannin war (und ist) noch grün. Das Lesebrett dürfte deshalb in 2013 das wichtigste Kellerutensil der Châteaux sein.
Doch ob bei strengem Verlesen überhaupt etwas übrig bleibt, was den Anforderungen an einen guten, gar großen Rotwein genügt, ist derzeit fraglich. Der Négoçe in Bordeaux geht vorsorglich davon aus, dass es in 2013 wenig Rotwein und viel Rosé geben wird.
Hoffnung noch nicht ganz gestorben
Bei den klassifizierten Châteaux ist die Hoffnung allerdings noch nicht ganz gestorben. Ihre Terroirs sind wasserdurchlässig und gut belüftet. Die Fäulnis kann sich bei ihnen nicht so schnell ausbreiten wie auf den schweren Böden der Großappellation Bordeaux AC. Die Hoffnungen ruhen auf der Cabernet Sauvignon, die derzeit noch vollständig am Stock hängt. Ihre Schalen sind relativ dick. Die Schimmelsporen können sie nicht durchdringen. Als frühester Lesetermin ist jetzt der 20. Oktober angesetzt – vorausgesetzt das Wetter bessert sich. „Wenn der Jahrgang noch gerettet wird, wird es mit Sicherheit ein Cabernet Sauvignon-Jahrgang“, prognostiziert Bernard.
Große Weißweine und exzellente Sauternes
Die Domaine de Chevalier, sein Weingut, hat übrigens gesunde Weißweintrauben geerntet. Sauvignon und Sémillon profitieren vom kühlen Wetter. Der Blanc der Domaine wird, wie viele trockene Weißweine des Graves, in 2013 eine sehr gute Qualität aufweisen. Gleiches gilt für die edelsüßen Sauternes und Barsacs. Auch sie sind Nutznießer der katastrophalen Wetterbedingungen: Die Edelfäule breitet sich prächtig auf den Trauben aus.