“Water”-loo für Bordeaux 2013: viel Wasser, wenig reifes Tannin

Kein gutes Jahr in Bordeaux
Kein gutes Jahr in Bordeaux
Wenn nicht noch ein Wunder passiert, wird 2013 in Bordeaux ein Katastrophenjahr: Kälte, Regen und Fäule, die sich rapide ausbreitet. Das Wort „Notlese“ macht die Runde. Der Direktor eines Premier Cru soll in vertraulicher Runde vom „schlechtesten Jahr meiner Karriere“ gesprochen haben.

Kein gutes Wein­jahr in Bor­deaux­Noch Mit­te Sep­tem­ber war man in Bor­deaux sicher, dass man am 10. Okto­ber mit der Lese der roten Trau­ben begin­nen kön­ne, berich­tet die Tages­zei­tung Sud Ouest in ihrer Aus­ga­be vom 4. Okto­ber: „Doch seit­dem haben die sich ver­schlech­tern­den Wet­ter­be­din­gun­gen alle Vor­her­sa­gen über den Hau­fen gewor­fen, die Not­le­se hat begonnen.“

Zum Bei­spiel auf Châ­teau Rauzan-Ségla. 160 Ern­te­hel­fer sind der­zeit im Ein­satz, um zu ret­ten, was noch zu ret­ten ist. Regen und Sturm haben am Wochen­en­de das lin­ke und das rech­te Ufer der Giron­de heim­ge­sucht. Die Nass­fäu­le brei­tet sich rasant aus, vor allem bei den Merlot-Trauben. John Kolas­sa, der Direk­tor die­ses renom­mier­ten Deu­xiè­me Grand Cru Clas­sé aus Mar­gaux, das zu den weni­gen Châ­teaux gehört, die ihre Lese­hel­fer wäh­rend der Lese ver­kös­ti­gen, wird mit dem bit­te­ren Aus­spruch zitiert: „Wenn man fau­les Gemü­se für eine Sup­pe ver­wen­det, schmeckt sie nicht. Ähn­lich ist es mit den Trau­ben und dem Wein.“

Marquis de Terme: „Komplizierter Jahrgang“

Auch auf Mar­quis de Ter­me, einem viert­klas­si­fi­zier­ten Margaux-Château, hat die Merlot-Lese bereits begon­nen. Eine hoch­mo­der­ne, opti­sche Sor­tier­an­la­ge soll dafür sor­gen, dass nicht nur fau­le Trau­ben, son­dern auch nicht-tanninreife Bee­ren mit­tels eines Farb­scan­ners auto­ma­tisch aus­ge­le­sen wer­den. „Es ist ein kom­pli­zier­ter Jahr­gang“, gibt der Direk­tor Ludo­vic David unum­wun­den zu. „Der schwie­rigs­te, den ich in 19 Jah­ren erlebt habe.“

Ben Ken­ne­dy, Fine Wine-Experte für das Invest­ment­haus Rive Gau­che Wines in Bor­deaux, berich­tet in der Zeit­schrift The Drinks Busi­ness, dass der Direk­tor eines Pre­mier Cru in ver­trau­li­cher Run­de mit Kol­le­gen sogar vom „schlech­tes­ten Jahr­gang mei­ner Kar­rie­re“ gespro­chen haben soll. Vor­erst nur ein Gerücht. Nichts Offi­ziö­ses. Aber die Zei­chen ste­hen schlecht. „Die Hoff­nun­gen auf einen Indi­an Sum­mer haben sich nicht rea­li­siert“, schreibt das Inter­net­por­tal La Pipet­te Aux Quatt­re Vins über die Wein­ern­te 2013. „Man schaut zum Him­mel, kreuzt die Fin­ger und hofft, dass es kein Water­loo wird.“

Ein Waterloo für den Wein?

Das gan­ze bis­he­ri­ge Jahr 2013 war wet­ter­mä­ßig eine Kata­stro­phe für die Win­zer von Bor­deaux. Küh­le Tem­pe­ra­tu­ren im Mai und Regen im Juni haben zu einer unre­gel­mä­ßi­gen Blü­te geführt. Vie­le Trau­ben tru­gen nur fünf, sechs Bee­ren. Juli und August waren dage­gen heiß. An den Tou­ris­ten­strän­den am Atlan­tik herrsch­te Hoch­be­trieb und gute Lau­ne. Der Vege­ta­ti­ons­rück­stand der Reben konn­te ein wenig ver­rin­gert wer­den. Aller­dings haben zwei ver­hee­ren­de Hagel­stür­me vie­le Wein­ber­ge ver­wüs­tet. Nach ers­ten Pro­gno­sen sind 10.000 Hekt­ar betrof­fen, vor allem in Entre-Deux-Mers.

Enttäuschender September

Das Médoc und St. Emi­li­on mit sei­nen Satelliten-Appellationen blie­ben glück­li­cher­wei­se von den Unwet­tern ver­schont. Die Châ­teau­be­sit­zer, die kei­ne Schä­den zu bekla­gen hat­ten, setz­ten ihre gan­zen Hoff­nun­gen nun auf den Sep­tem­ber. Doch der fiel uner­war­tet kühl aus. Außer­dem gab es immer wie­der klei­ne­re Regen­fäl­le. Am 20. Sep­tem­ber bes­ser­te sich dann das Wet­ter plötz­lich. Ein paar Tage Son­nen­schein – und die Mie­nen der Win­zer hell­ten sich auf. Der Som­mer schien zurück­zu­keh­ren. Der Mond­wech­sel Anfang Okto­ber wür­de, so Oli­vi­er Ber­nard, Prä­si­dent der Grands Crus Clas­sés von Bor­deaux und Besit­zer der Domaine de Che­va­lier in Gra­ves, den Win­zern viel­leicht doch noch „einen Gol­de­nen Okto­ber bescheren“.

Châ­teau Pon­tet Canet

Goldener Oktober nicht in Sicht

Doch auch die­se Hoff­nung trog. Nach dem Mond­wech­sel feg­te erneut ein Regen­sturm über Bor­deaux und sorg­te dafür, dass die fast rei­fen Mer­lot­trau­ben mas­sen­haft von der Nass­fäu­le befal­len wur­den. Wer es schaff­te, kurz­fris­tig eine Lese­mann­schaft zusam­men­zu­stel­len oder einen Voll­ern­ter auf­zu­trei­ben, begann die­se Woche mit der Ern­te der Mer­lot. Doch die wenigs­ten Trau­ben haben zu die­sem Zeit­punkt ihre vol­le phy­sio­lo­gi­sche Rei­fe erreicht. Das Tan­nin war (und ist) noch grün. Das Lese­brett dürf­te des­halb in 2013 das wich­tigs­te Kel­le­ru­ten­sil der Châ­teaux sein.

Doch ob bei stren­gem Ver­le­sen über­haupt etwas übrig bleibt, was den Anfor­de­run­gen an einen guten, gar gro­ßen Rot­wein genügt, ist der­zeit frag­lich. Der Négo­çe in Bor­deaux geht vor­sorg­lich davon aus, dass es in 2013 wenig Rot­wein und viel Rosé geben wird.

Hoffnung noch nicht ganz gestorben

Bei den klas­si­fi­zier­ten Châ­teaux ist die Hoff­nung aller­dings noch nicht ganz gestor­ben. Ihre Ter­ro­irs sind was­ser­durch­läs­sig und gut belüf­tet. Die Fäul­nis kann sich bei ihnen nicht so schnell aus­brei­ten wie auf den schwe­ren Böden der Groß­ap­pel­la­ti­on Bor­deaux AC. Die Hoff­nun­gen ruhen auf der Caber­net Sau­vi­gnon, die der­zeit noch voll­stän­dig am Stock hängt. Ihre Scha­len sind rela­tiv dick. Die Schim­mel­spo­ren kön­nen sie nicht durch­drin­gen. Als frü­hes­ter Lese­ter­min ist jetzt der 20. Okto­ber ange­setzt – vor­aus­ge­setzt das Wet­ter bes­sert sich. „Wenn der Jahr­gang noch geret­tet wird, wird es mit Sicher­heit ein Caber­net Sauvignon-Jahrgang“, pro­gnos­ti­ziert Bernard.

Große Weißweine und exzellente Sauternes

Die Domaine de Che­va­lier, sein Wein­gut, hat übri­gens gesun­de Weiß­wein­trau­ben geern­tet. Sau­vi­gnon und Sémil­lon pro­fi­tie­ren vom küh­len Wet­ter. Der Blanc der Domaine wird, wie vie­le tro­cke­ne Weiß­wei­ne des Gra­ves, in 2013 eine sehr gute Qua­li­tät auf­wei­sen. Glei­ches gilt für die edel­sü­ßen Sau­t­er­nes und Bar­sacs. Auch sie sind Nutz­nie­ßer der kata­stro­pha­len Wet­ter­be­din­gun­gen: Die Edel­fäu­le brei­tet sich präch­tig auf den Trau­ben aus.

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