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Was Restaurant- und Weinbewertungen gemeinsam haben – und was nicht

Letzte Woche hat der Guide Michelin seine Sterne-Bewertungen deutscher Restaurants veröffentlicht. Ein paar Restaurants, die vorher sternelos waren, können sich jetzt mit einem Stern zieren. Andere haben einen Stern verloren. Wieso und warum, darüber wird unter Experten jetzt hitzig gestritten. Der Guide Michelin ist wie das Orakel von Delphi: Es liefert Weissagungen, aber erklärt sie nicht. Manches seiner Orakel bleibt rätselhaft. Joachim Wissler vom Vendôme in Bergisch-Gladbach hat zum Beispiel seinen dritten Stern verloren. Niemand weiß warum. Auf der Website des Guide Michelin heißt es nur, dass Wissler „geschmacklich feine und technisch anspruchsvolle Gerichte auf den Teller“ bringe und dass seine Produkte „durchweg Spitzenklasse“ seien. Weshalb dann einen Stern weniger? Thomas Schanz in Piesport an der Mosel (schanz.restaurant) hat einen Stern dazu bekommen – den dritten, der Joachim Wissler aberkannt wurde. „Mutig kombinierte Aromen fügt er auf dem Teller harmonisch zusammen“, kommentiert der Guide den Aufsteiger. Und: „Bei der Produktqualität geht er keine Kompromisse ein.“ Toll, aber könnte man genauso gut über Wissler sagen.

In der Betriebshierarchie an fünfter Stelle, aber vorn in den TOP 100

Ein bisschen erinnert mich das alles an die Bewertungen von Weinkritikern. Nur sind die Bewertungen da noch erratischer. Moden, Trends, individuelle Befindlichkeiten, Launen und, ja, Zufälle – das sind allzu oft die Treiber für gute oder schlechte Noten. Verpackt werden die Urteile in wohlklingendes Blabla, wie beim Guide Michelin. Manchmal wird überhaupt nicht kommentiert, sondern nur eine nackte Bewertungsziffer kommuniziert. Neulich fiel mir die Liste der Top 100 des amerikanischen Wine Spectator in die Hände, der nach Auflage bedeutendsten Weinzeitschrift der Welt. Auf Platz 25 findet man den 2019er Ortsriesling von Wittmann – ein toller Wein, ohne Zweifel. Aber Top 100 weltweit? Philipp Wittmann selbst wird sich verwundert die Augen gerieben haben. Auf Platz 38 rangiert der Barbera von Pio Cesare, auch er ein feiner Wein, aber in der Betriebshierarchie an fünfter Stelle. Auf Platz 50 findet man den Basisriesling von Schloß Gobelsburg aus dem Kamptal. Ein renommierter österreichischer Erzeuger, aber warum ausgerechnet dieser Wein das Prunkstück sein soll und nicht die Erste Lage von der berühmten Riede Heiligenstein – keiner erfährt es. Editor’s Choice teilt er Wine Spectator lakonisch mit.

Wine Spectator: echte Top-Weine fehlen in der Liste

Der Göttin Pythia, dem Orakel von Delphi, wurden falsche Prognosen damals großzügig verziehen: Die Dämpfe, die aus der Erdspalte drangen, über der sie auf ihrem Dreispitz saß, hätten zeitweise ihren Verstand benebelt. Vielleicht waren es beim Wine Spectator alkoholische Dämpfe. Interessant wird es auf seiner Liste eigentlich erst ab Platz 99. Da findet man den 2008 Brut von Champagne Krug – also endlich mal einen echten Top-Wein. Der Redlichkeit halber muss hinzugefügt werden, dass für die Amerikaner bei der Zusammenstellung ihres Rankings nicht nur die schiere Qualität für die Platzierung ausschlaggebend war, sondern auch der Preis. Der ist beim Krug Champagner hoch, bei Wittmanns Ortsriesling niedrig (24 Euro). Vielleicht erklärt das die Absenz der echten Top-Weine in der Liste. Sie kosten einfach zu viel, um unter die Top 100 zu kommen.

Wine Enthusiast: Chateau Siran auf Platz 1

Auch beim Wine Enthusiast, der zweiten wichtigen Weinpublikation in den USA, enthalten die Top 100-Liste nicht die Besten der Besten, sondern die Besten unter den Billigen, was natürlich zulässig ist, aber angesichts des Titels der Liste dann doch ziemlich irritiert. 3 Sterne bekommt ja auch nicht das Restaurant mit dem preiswertesten, sondern mit dem besten Menu. Diesmal wurde das Glück des 1. Platzes dem Chateau Siran zuteil, einem unklassifizierten Gewächs aus Margaux. 95 Punkte gaben die Tester dem Jahrgang 2018, der schlappe 39 Euro kostet. Die Begründung der Jury trifft auf jeden zweiten Médoc-Wein zu: „der richtige Mix aus Tanninreichtum und straffer schwarzer Johannisbeerfrucht…“ Eigentlich könnte uns das in Europa egal sein. Aber für den hiesigen Weinhandel ist Rang #1 in einem Top 100-Ranking natürlich ein gefundenes Fressen. Mit einer solchen Platzierung lässt sich trefflich Werbung machen. Der Käufer merkt ja erst hinterher, dass er an der Nase herumgeführt wurde. Übrigens: Weder bei der Konkurrenz vom Wine Spectator noch bei Parker taucht Chateau Siran in den Top 100 auf. Die Durchschnittsbewertung der Kritiker für den Wein liegt bei 91 Punkten.

In Deutschland geht es geordneter zu

Man muss gar nicht Europa verlassen, um festzustellen, dass es bei den Weintestern nicht selten drunter und drüber geht. Das Ranking der 100 angeblich besten italienischen Rotweine, das wir bei weinkenner.de neulich veröffentlicht haben, ist ein seltsames Stück Journalismus, das man eigentlich nur unter Vorbehalt zur Veröffentlichung freigeben sollte (wie wir es bei weinkenner.de auch getan haben). Geordneter geht es bei den deutschen Weinguides von VINUM, Falstaff, Feinschmecker, Eichelmann, Gault Millau zu – von gelegentlichen Merkwürdigkeiten abgesehen. Über das, was die besten deutschen Weingüter sind, herrscht unter den Beteiligten weitgehend Einigkeit. Wenn ein einzelner Tester mal daneben liegt, greift meist die ordnende Hand des Herausgebers ein und korrigiert die Entscheidung – ähnlich wie der Video-Schiedsrichter in der Bundesliga.

Deutsche Weinguides: Die Hierarchien sind zementiert

Manchmal kommt mir die Übereinstimmung allerdings schon fast verdächtig vor. Ich wünschte mir manchmal, dass dem einen oder anderen Weingut aus der zweiten Reihe schneller höchste Ehren zuteil und etablierten Weingütern schneller mal eine Traube oder ein Stern entzogen werden. Die Voraussetzung wäre allerdings: eine stichhaltige Begründung ohne Blabla. Gelegentlich kommt es mir vor, als seien die Verhältnisse in Deutschland fest zementiert. Schielt der eine Guide vielleicht zu sehr auf das, was der andere macht? Traut sich niemand aus der Deckung? Viel zu selten, finde ich, wagt sich einer, den Frieden zu brechen. Schade.

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