Der deutsche Weinbau befindet sich mitten im nächsten Dürresommer. 39,2 Grad Celsius im Rheingau, 39,4 in Baden und sogar an der Mosel 38: Solche Extrem-Temperaturen bringen nicht nur die Winzer ins Schwitzen, sondern bereiten auch den Reben große Probleme. Bei zu großer Hitze stellen sie die Photosynthese ein: statt zu wachsen wollen sie ihr Überleben sichern und pumpen all ihre Energie in Wurzeln und Stamm. Im Rüdesheimer Berg Schlossberg, Breuers nach Südwesten ausgerichtete Steillage, hat die Hitze den vergangenen Wochen den Pausenknopf gedrückt – Wachstumstopp. Die Blätter schließen ihre Stomata (Poren), die Trauben bilden kaum noch Zucker. Die Reifung stagniert.
Die Probleme sind „sehr, sehr, sehr groß“
Peter Wagner hat lange in Australien gearbeitet und ist trockene Böden und brennende Sonne gewöhnt. Dramatisch ist die Lage für ihn dennoch. Wie groß die Probleme gerade sein? „Sehr, sehr, sehr, sehr groß“, sagt der Winzer, dessen Weingut ganz im Süden Deutschlands am badischen Kaiserstuhl liegt. Dass die ausgetrockneten Weinberge keinen ausreichenden Nährboden mehr für die Reben bieten, kann man mit bloßem Auge erkennen. Die Blätter werden gelb, die Ranken braun, die Rebe wirft die Triebspitzen ab und in manchen Weinbergen, die Wagner vor fünf Jahren gepflanzt hat, sind sogar schon die Trauben verdorrt und abgefallen. „Das passiert bei frisch gepflanzten Reben immer wieder mal punktuell. Aber so dramatisch wie dieses Jahr war es noch nie.“
Die Trauben bekommen Sonnenbrand
Die Hitze kratzt gleich dreifach an den Reben. Einmal kann es nicht regnen, solange die Sonne scheint. Es fehlt also an Niederschlag, der gerade nach dem warmen, schneearmen Winter bitter nötig wäre, um die dürstenden Reben mit Wasser zu versorgen. Zusätzlich sorgt die glühende Hitze für eine schnellere Verdunstung der wenigen Feuchtigkeit: ohnehin schon unterversorgte Böden trocknen weiter aus. Drittens greift die Sonne die Frucht direkt an: Sie verbrennt die fragilen Aromastoffe, die vor allem in der Haut der Beere stecken. Auch im Weinbau spricht man von Sonnenbrand. Weine schmecken dann schal und die Bitterstoffe überwiegen. Vor allem Weißweinsorten mit ihren dünnen Schalen leiden unter der intensiven Bestrahlung.
Gegen die Verdunstung können sich die Winzer schützen – zumindest ein klein wenig. Aber nur, wenn man die drohende Dürre früh genug erkannt hat. Hans-Christoph Stolleis aus dem Pfälzer Weinbauort Gimmeldingen hat schon im Frühjahr Gräser, Blumen und Getreidesorten zwischen den Rebzeilen ausgesät. Die Begrünung zieht im Frühjahr zwar erst mal Wasser aus dem Boden, wirkt bei sommerlicher Hitze aber wie eine Versiegelung, durch die weniger Feuchtigkeit verdunsten kann.
Ohne Tröpfchenbewässerung existierten viele Anbaugebiete nicht mehr
Auf künstliche Bewässerung, wie sie in Australien, Chile oder Kalifornien fast schon die Regel ist, können zunehmend auch europäische Weinanbaugebiete nicht mehr verzichten. Ohne Tröpfchenbewässerung existierten der größte Teil der spanischen und italienischen Weinanbaugebiete gar nicht mehr. Gleiches gilt für die Wachau in Österreich. Auch deutsche Winzer, die jahrzehntelang mit Niederschlägen reichlich gesegnet waren, leiden zunehmend unter sommerlicher Trockenheit und müssen, um ihre Erträge nicht zu verlieren, nach Möglichkeiten suchen, ihre Reben künstlich zu bewässern, solange sie noch Wasser aus den Flüssen entnehmen dürfen – in Franken, im Rheingau, in Rheinhessen zum Beispiel.
An die trockene Zukunft anpassen? Aber wie?
Für den Bio-Winzer Stolleis stellt die künstliche Bewässerung dagegen keine Option für die Zukunft dar: „Die Grundwasserspiegel sinken ja ebenfalls“, meint er. „Bewässern ist da wie ein totes Pferd zu reiten.“ Stattdessen müsse man lernen, sich an die trockene Zukunft anzupassen. Um dem zukünftig wohl regelmäßiger eintretenden Trocken-Szenario begegnen zu können, hat er zusätzlich zu seinen traditionellen Riesling- und Burgunderreben schon 2019 Cabernet Sauvignon gepflanzt, eine Rebsorte, die man eigentlich aus Südfrankreich kennt.
Die Rotweinsorte kommt nicht nur mit weniger Wasser aus, sie steckt die brennende Sonne auch besser weg – ähnlich wie Menschen mit dunklerem Teint weniger sonnenbrandanfällig sind als blasse Zeitgenossen. Liest man rosige Berichte über den deutschen Weinbau der Zukunft, sind es meist solche Szenarien: deutsche Traditionsorten wie Riesling und Spätburgunder werden von südeuropäischen wie Grenache, Cabernet oder Syrah verdrängt. Immer mehr Winzer greifen, teils sehr erfolgreich, auf südeuropäische Rebsorten zurück. Doch zwischen Rodung der alten und Ertrag der neuen Stöcke liegen drei bis fünf Jahre. Auf akute Problemlagen lässt sich mit neuen Rebsorten nicht reagieren, zumal kaum jemand bereitwillig die traditionellen Rebsorten aufgibt.
Hoffnung machen Fortschritte in der Züchtung neuer Unterlagsreben
Theresa Breuer, die sich mit ihren Weinen aus dem Rheingau Jahr für Jahr an die deutsche Spitze keltert, sieht für ihr Weingut noch nicht die Dringlichkeit für französischen Syrah oder griechischen Assyrtiko – obwohl der Rüdesheimer Berg, wo der Großteil ihrer Weinberge liegt, zu den trockensten Lagen des Anbaugebiets gehört. Stattdessen, so die Riesling-Winzerin, müsse man sich langfristig Gedanken um die sogenannte Unterlage machen, also jenen Teil des Rebstocks, der die Wurzel bildet. Seit der Reblauskatastrophe vor gut 100 Jahren ist es Standard, die bekannten europäischen Sorten wie Riesling oder Spätburgunder auf Unterlagsreben amerikanischer Herkunft aufzupfropfen. Rebstock und Wurzelstock entstammen so zwei verschiedenen Pflanzen. Diese „Unterlagen“ mit Namen wie „Selektion Oppenheim 4“ oder „5 C Geisenheim“ sind zwar kaum einem Weintrinker geläufig, dürften aber in Zukunft wichtiger werden. Die „Unterlagsrebe“ ist für den allergrößten Teil des Wasserhaushalts verantwortlich, und die Forschung ist drauf und dran, besonders dürretolerante, tief wurzelnde Sorten zu züchten.
Wenn die Traubenerträge sinken, steigen die Weinpreise
Obwohl Theresa Breuer mit denselben Ängsten konfrontiert ist wie ihre Kollegen, will sie nicht einfach aufgeben: „Als ich gestern Abend mit dem Hund draußen war und gesehen habe, wie der angekündigte Regen an Rüdesheim vorbeizieht, kam schon die Verzweiflung hoch. Ich glaube aber, wir schaffen das.“ Dafür aber, überlegt sie, müssten die Winzer sich vielleicht auch grundsätzlichere Fragen stellen. Etwa: Was passiert, wenn der dürrebedingte Nähstoffmangel die Fruchtbildung der Rebe bremst und die Trauben kleiner werden? Nicht unbedingt eine Katastrophe, findet sie. Manchmal bringen unterversorgte Reben mit niedrigen Erträgen die besten Weine. So leicht Breuers Rieslinge mit 11,5 Volumenprozent Alkohol und fast null Gramm Restzucker auf dem Papier sind, so gut schmecken sie. „Vielleicht ist es utopisch, in Extremlagen wie dem Rüdesheimer Berg Schlossberg in Zukunft 30 Hektoliter pro Hektar zu ernten. Vielleicht müssen wir lernen, mit 20 klarzukommen.“ Natürlich würden dann die Preise pro Flasche steigen. Gut möglich also, dass Wein in Zeiten der Klimakrise noch mehr zum Luxusgut wird, als er ohnehin schon ist.
Auch das Piemont ächzt unter der Hitze
Was in den kommenden Jahren noch auf die deutschen Weingüter zukommen dürfte, verrät ein Blick in den Süden. Monica Cassinos Weingut La Castella liegt in den Langhe im Piemont, der Heimat des Barolo. Ihre Weinberge befinden sich auf etwa 550 Metern Höhe und liegen damit knapp außerhalb des Barolo-Anbaugebiets. Ihr Wein ist deshalb kein Barolo, sondern nur ein Nebbiolo d’Alba. „Als mein Vater jung war, hat es im Sommer viel geregnet und jeden Winter geschneit“, berichtet die 28-Jährige, die das Familienweingut in dritter Generation leitet und sich gerade durch den heißesten Sommer ihrer Winzerinnenkarriere kämpft. „Wenn wir heute mit dem Traktor durch die Weinberge fahren, wirbeln wir solche Staubwolken auf, dass die Autos auf der Landstraße nebenan langsamer fahren müssen, so trocken sind die Böden“, Bislang konnte sie ihrem Nebbiolo d’Alba immer das notwendige Quäntchen Frische einhauchen. Die härteste Lese hat sie nun aber vor sich.
Auch in der kühlen Steiermark steigen die Temperaturen bedenklich
Wie wichtig die Auseinandersetzung mit dem Klima ist, hat die Österreicherin Katharina Tinnacher in der Südsteiermark verstanden. „Unsere Branche hat sich jetzt jahrelang den Boden angeschaut und jedes Sandkorn rumgedreht, dabei ist das Mikroklima wahrscheinlich das wesentlich wichtigere“, sagt die Biowinzerin und studierte Pflanzenwissenschaftlerin. Gemeinsam mit dem Verband der Steirischen Terroir- und Klassikweingüter (STK) installiert sie derzeit Wetterstationen in jeder Weinbergsparzelle, um besser zu verstehen, welche Lagen das größte Potential mitbringen: Welche vom Waldrand gekühlt werden. Wo sich die Hitze staut. Wo sie weg geweht wird. Die kühle, niederschlagsreiche Steiermark befindet sich gerade an einem Punkt, an dem auch Deutschland mal war. „Ich denke zwar, dass wir schon noch von der Klimaerwärmung profitieren“, sagt Tinnacher, weil ihre Reben durch die Höhe der Weinberge weniger unter der Hitze wie die von Kollegen in andereren Weinanbaugebieten, die tiefer liegen und wärmer sind. Doch auch in der Steiermark wird es steigen die Temperaturen bedenklich.
Die Klimaerwärmung war gut für deutsche Rotweine
Fragt man in Deutschlands Weingütern nach Standortvorteilen durch den Klimawandel, ähneln sich die Antworten. „Das ist die Sicht der 2000er Jahre, mittlerweile sind an einem Wendepunkt“, sagt Hans-Christoph Stolleis aus der Pfalz. Peter Wagner vom Kaiserstuhl pflichtet ihm bei. „Die Entwicklung der letzten 30 Jahre war gut für unsere Rotweine, mittlerweile wächst aber die Verzweiflung.“ Klar ist: der deutsche Wein ist in der Vergangenheit deutlich besser geworden. Magere Weine mit roher Säure waren keine Seltenheit in den 1970ern und 1980ern. Solche Weine gibt es heute praktisch nicht mehr, dafür umso häufiger Weine, denen man Trockenstress und Hitzeschock anmerkt – ein Phänomen, das beispielsweise im letzten Hitzejahrgang 2018 massiv auftrat. Hinter vorgehaltener Hand äußern sich Winzer inzwischen wenig positiv über diesen Jahrgang. „2018 habe ich für mich beerdigt“, sagt ein bekannter Riesling-Produzent.
Die Klimakrise ist auch in Deutschland angekommen
In der Regel sorgen Jahre, in denen die Temperaturen gleichmäßig hoch sind, für eine Turbo-Reife der Trauben. In 2022 mit seinen afrikanisch hohen Temperaturen könnte sich die Sache umkehren. Die Trauben könnten in manchen Lagen gar nicht mehr ausreifen, fürchten Winzer. „Es war im Juli so trocken wie in anderen heißen Jahren im August“, stellt Hans-Christoph Stolleis besorgt fest. Und sein Badener Kollege Wagner fürchtet: „Wenn es in den kommenden zwei Wochen nicht abkühlt und regnet, sehe ich schwarz für den Jahrgang.“
Die Klimakrise ist endgültig in den deutschen Weinbergen angekommen.