Was macht die afrikanische Hitze mit den Reben?

Der Rüdesheimer Berg Schlossberg. © Peter Bender
Knapp 40 Grad Celsius - und es wird noch heißer. Paul Kern untersucht, welche Folgen der Hitzestress für den Jahrgang 2022 haben könnte.

Der deut­sche Wein­bau befin­det sich mit­ten im nächs­ten Dür­re­som­mer. 39,2 Grad Cel­si­us im Rhein­gau, 39,4 in Baden und sogar an der Mosel 38: Sol­che Extrem-Temperaturen brin­gen nicht nur die Win­zer ins Schwit­zen, son­dern berei­ten auch den Reben gro­ße Pro­ble­me. Bei zu gro­ßer Hit­ze stel­len sie die Pho­to­syn­the­se ein: statt zu wach­sen wol­len sie ihr Über­le­ben sichern und pum­pen all ihre Ener­gie in Wur­zeln und Stamm. Im Rüdes­hei­mer Berg Schloss­berg, Breu­ers nach Süd­wes­ten aus­ge­rich­te­te Steil­la­ge, hat die Hit­ze den ver­gan­ge­nen Wochen den Pau­sen­knopf gedrückt – Wachs­tumstopp. Die Blät­ter schlie­ßen ihre Sto­ma­ta (Poren), die Trau­ben bil­den kaum noch Zucker. Die Rei­fung stagniert.

Die Probleme sind „sehr, sehr, sehr groß“

Peter Wag­ner hat lan­ge in Aus­tra­li­en gear­bei­tet und ist tro­cke­ne Böden und bren­nen­de Son­ne gewöhnt. Dra­ma­tisch ist die Lage für ihn den­noch. Wie groß die Pro­ble­me gera­de sein? „Sehr, sehr, sehr, sehr groß“, sagt der Win­zer, des­sen Wein­gut ganz im Süden Deutsch­lands am badi­schen Kai­ser­stuhl liegt. Dass die aus­ge­trock­ne­ten Wein­ber­ge kei­nen aus­rei­chen­den Nähr­bo­den mehr für die Reben bie­ten, kann man mit blo­ßem Auge erken­nen. Die Blät­ter wer­den gelb, die Ran­ken braun, die Rebe wirft die Trieb­spit­zen ab und in man­chen Wein­ber­gen, die Wag­ner vor fünf Jah­ren gepflanzt hat, sind sogar schon die Trau­ben ver­dorrt und abge­fal­len. „Das pas­siert bei frisch gepflanz­ten Reben immer wie­der mal punk­tu­ell. Aber so dra­ma­tisch wie die­ses Jahr war es noch nie.“

Peter Wag­ner. © Wein­gut Peter Wagner

Die Trauben bekommen Sonnenbrand

Die Hit­ze kratzt gleich drei­fach an den Reben. Ein­mal kann es nicht reg­nen, solan­ge die Son­ne scheint. Es fehlt also an Nie­der­schlag, der gera­de nach dem war­men, schnee­ar­men Win­ter bit­ter nötig wäre, um die dürs­ten­den Reben mit Was­ser zu ver­sor­gen. Zusätz­lich sorgt die glü­hen­de Hit­ze für eine schnel­le­re Ver­duns­tung der weni­gen Feuch­tig­keit: ohne­hin schon unter­ver­sorg­te Böden trock­nen wei­ter aus. Drit­tens greift die Son­ne die Frucht direkt an: Sie ver­brennt die fra­gi­len Aro­ma­stof­fe, die vor allem in der Haut der Bee­re ste­cken. Auch im Wein­bau spricht man von Son­nen­brand. Wei­ne schme­cken dann schal und die Bit­ter­stof­fe über­wie­gen. Vor allem Weiß­wein­sor­ten mit ihren dün­nen Scha­len lei­den unter der inten­si­ven Bestrahlung. 

Gegen die Ver­duns­tung kön­nen sich die Win­zer schüt­zen – zumin­dest ein klein wenig. Aber nur, wenn man die dro­hen­de Dür­re früh genug erkannt hat. Hans-Christoph Stol­leis aus dem Pfäl­zer Wein­bau­ort Gim­mel­din­gen hat schon im Früh­jahr Grä­ser, Blu­men und Getrei­de­sor­ten zwi­schen den Reb­zei­len aus­ge­sät. Die Begrü­nung zieht im Früh­jahr zwar erst mal Was­ser aus dem Boden, wirkt bei som­mer­li­cher Hit­ze aber wie eine Ver­sie­ge­lung, durch die weni­ger Feuch­tig­keit ver­duns­ten kann. 

Hans Chris­toph Stol­leis im Kel­ler des hei­mi­schen Wein­guts. © Wein­gut Stolleis

Ohne Tröpfchenbewässerung existierten viele Anbaugebiete nicht mehr

Auf künst­li­che Bewäs­se­rung, wie sie in Aus­tra­li­en, Chi­le oder Kali­for­ni­en fast schon die Regel ist, kön­nen zuneh­mend auch euro­päi­sche Wein­an­bau­ge­bie­te nicht mehr ver­zich­ten. Ohne Tröpf­chen­be­wäs­se­rung exis­tier­ten der größ­te Teil der spa­ni­schen und ita­lie­ni­schen Wein­an­bau­ge­bie­te gar nicht mehr. Glei­ches gilt für die Wach­au in Öster­reich. Auch deut­sche Win­zer, die jahr­zehn­te­lang mit Nie­der­schlä­gen reich­lich geseg­net waren, lei­den zuneh­mend unter som­mer­li­cher Tro­cken­heit und müs­sen, um ihre Erträ­ge nicht zu ver­lie­ren, nach Mög­lich­kei­ten suchen, ihre Reben künst­lich zu bewäs­sern, solan­ge sie noch Was­ser aus den Flüs­sen ent­neh­men dür­fen – in Fran­ken, im Rhein­gau, in Rhein­hes­sen zum Beispiel. 

An die trockene Zukunft anpassen? Aber wie?

Für den Bio-Winzer Stol­leis stellt die künst­li­che Bewäs­se­rung dage­gen kei­ne Opti­on für die Zukunft dar: „Die Grund­was­ser­spie­gel sin­ken ja eben­falls“, meint er. „Bewäs­sern ist da wie ein totes Pferd zu rei­ten.“ Statt­des­sen müs­se man ler­nen, sich an die tro­cke­ne Zukunft anzu­pas­sen. Um dem zukünf­tig wohl regel­mä­ßi­ger ein­tre­ten­den Trocken-Szenario begeg­nen zu kön­nen, hat er zusätz­lich zu sei­nen tra­di­tio­nel­len Riesling- und Bur­gun­der­re­ben schon 2019 Caber­net Sau­vi­gnon gepflanzt, eine Reb­sor­te, die man eigent­lich aus Süd­frank­reich kennt.

Die Rot­wein­sor­te kommt nicht nur mit weni­ger Was­ser aus, sie steckt die bren­nen­de Son­ne auch bes­ser weg – ähn­lich wie Men­schen mit dunk­le­rem Teint weni­ger son­nen­brand­an­fäl­lig sind als blas­se Zeit­ge­nos­sen. Liest man rosi­ge Berich­te über den deut­schen Wein­bau der Zukunft, sind es meist sol­che Sze­na­ri­en: deut­sche Tra­di­ti­ons­or­ten wie Ries­ling und Spät­bur­gun­der wer­den von süd­eu­ro­päi­schen wie Gren­ache, Caber­net oder Syrah ver­drängt. Immer mehr Win­zer grei­fen, teils sehr erfolg­reich, auf süd­eu­ro­päi­sche Reb­sor­ten zurück. Doch zwi­schen Rodung der alten und Ertrag der neu­en Stö­cke lie­gen drei bis fünf Jah­re. Auf aku­te Pro­blem­la­gen lässt sich mit neu­en Reb­sor­ten nicht reagie­ren, zumal kaum jemand bereit­wil­lig die tra­di­tio­nel­len Reb­sor­ten aufgibt.

Blick auf den Rüdes­hei­mer Berg Schloss­berg. © Peter Bender

Hoffnung machen Fortschritte in der Züchtung neuer Unterlagsreben

The­re­sa Breu­er, die sich mit ihren Wei­nen aus dem Rhein­gau Jahr für Jahr an die deut­sche Spit­ze kel­tert, sieht für ihr Wein­gut noch nicht die Dring­lich­keit für fran­zö­si­schen Syrah oder grie­chi­schen Assyr­ti­ko – obwohl der Rüdes­hei­mer Berg, wo der Groß­teil ihrer Wein­ber­ge liegt, zu den tro­ckens­ten Lagen des Anbau­ge­biets gehört. Statt­des­sen, so die Riesling-Winzerin, müs­se man sich lang­fris­tig Gedan­ken um die soge­nann­te Unter­la­ge machen, also jenen Teil des Reb­stocks, der die Wur­zel bil­det. Seit der Reb­laus­ka­ta­stro­phe vor gut 100 Jah­ren ist es Stan­dard, die bekann­ten euro­päi­schen Sor­ten wie Ries­ling oder Spät­bur­gun­der auf Unter­lags­re­ben ame­ri­ka­ni­scher Her­kunft auf­zu­pfrop­fen. Reb­stock und Wur­zel­stock ent­stam­men so zwei ver­schie­de­nen Pflan­zen. Die­se „Unter­la­gen“ mit Namen wie „Selek­ti­on Oppen­heim 4“ oder „5 C Gei­sen­heim“ sind zwar kaum einem Wein­trin­ker geläu­fig, dürf­ten aber in Zukunft wich­ti­ger wer­den. Die „Unter­lags­re­be“ ist für den aller­größ­ten Teil des Was­ser­haus­halts ver­ant­wort­lich, und die For­schung ist drauf und dran, beson­ders dür­re­to­le­ran­te, tief wur­zeln­de Sor­ten zu züchten.

Wenn die Traubenerträge sinken, steigen die Weinpreise

Obwohl The­re­sa Breu­er mit den­sel­ben Ängs­ten kon­fron­tiert ist wie ihre Kol­le­gen, will sie nicht ein­fach auf­ge­ben: „Als ich ges­tern Abend mit dem Hund drau­ßen war und gese­hen habe, wie der ange­kün­dig­te Regen an Rüdes­heim vor­bei­zieht, kam schon die Ver­zweif­lung hoch. Ich glau­be aber, wir schaf­fen das.“ Dafür aber, über­legt sie, müss­ten die Win­zer sich viel­leicht auch grund­sätz­li­che­re Fra­gen stel­len. Etwa: Was pas­siert, wenn der dür­re­be­ding­te Näh­stoff­man­gel die Frucht­bil­dung der Rebe bremst und die Trau­ben klei­ner wer­den? Nicht unbe­dingt eine Kata­stro­phe, fin­det sie. Manch­mal brin­gen unter­ver­sorg­te Reben mit nied­ri­gen Erträ­gen die bes­ten Wei­ne. So leicht Breu­ers Ries­lin­ge mit 11,5 Volu­men­pro­zent Alko­hol und fast null Gramm Rest­zu­cker auf dem Papier sind, so gut schme­cken sie. „Viel­leicht ist es uto­pisch, in Extrem­la­gen wie dem Rüdes­hei­mer Berg Schloss­berg in Zukunft 30 Hek­to­li­ter pro Hekt­ar zu ern­ten. Viel­leicht müs­sen wir ler­nen, mit 20 klar­zu­kom­men.“ Natür­lich wür­den dann die Prei­se pro Fla­sche stei­gen. Gut mög­lich also, dass Wein in Zei­ten der Kli­ma­kri­se noch mehr zum Luxus­gut wird, als er ohne­hin schon ist.

Auch das Piemont ächzt unter der Hitze

Was in den kom­men­den Jah­ren noch auf die deut­schen Wein­gü­ter zukom­men dürf­te, ver­rät ein Blick in den Süden. Moni­ca Cas­si­nos Wein­gut La Cas­tel­la liegt in den Lang­he im Pie­mont, der Hei­mat des Baro­lo. Ihre Wein­ber­ge befin­den sich auf etwa 550 Metern Höhe und lie­gen damit knapp außer­halb des Barolo-Anbaugebiets. Ihr Wein ist des­halb kein Baro­lo, son­dern nur ein Neb­bio­lo d’Alba. „Als mein Vater jung war, hat es im Som­mer viel gereg­net und jeden Win­ter geschneit“, berich­tet die 28-Jährige, die das Fami­li­en­wein­gut in drit­ter Gene­ra­ti­on lei­tet und sich gera­de durch den hei­ßes­ten Som­mer ihrer Win­ze­rin­nen­kar­rie­re kämpft. „Wenn wir heu­te mit dem Trak­tor durch die Wein­ber­ge fah­ren, wir­beln wir sol­che Staub­wol­ken auf, dass die Autos auf der Land­stra­ße neben­an lang­sa­mer fah­ren müs­sen, so tro­cken sind die Böden“, Bis­lang konn­te sie ihrem Neb­bio­lo d’Alba immer das not­wen­di­ge Quänt­chen Fri­sche ein­hau­chen. Die här­tes­te Lese hat sie nun aber vor sich. 

© La Cas­tel­la di Cassino

Auch in der kühlen Steiermark steigen die Temperaturen bedenklich

Wie wich­tig die Aus­ein­an­der­set­zung mit dem Kli­ma ist, hat die Öster­rei­che­rin Katha­ri­na Tin­nacher in der Süd­stei­er­mark ver­stan­den. „Unse­re Bran­che hat sich jetzt jah­re­lang den Boden ange­schaut und jedes Sand­korn rum­ge­dreht, dabei ist das Mikro­kli­ma wahr­schein­lich das wesent­lich wich­ti­ge­re“, sagt die Bio­win­ze­rin und stu­dier­te Pflan­zen­wis­sen­schaft­le­rin. Gemein­sam mit dem Ver­band der Stei­ri­schen Terroir- und Klas­sik­wein­gü­ter (STK) instal­liert sie der­zeit Wet­ter­sta­tio­nen in jeder Wein­berg­spar­zel­le, um bes­ser zu ver­ste­hen, wel­che Lagen das größ­te Poten­ti­al mit­brin­gen: Wel­che vom Wald­rand gekühlt wer­den. Wo sich die Hit­ze staut. Wo sie weg geweht wird. Die küh­le, nie­der­schlags­rei­che Stei­er­mark befin­det sich gera­de an einem Punkt, an dem auch Deutsch­land mal war. „Ich den­ke zwar, dass wir schon noch von der Kli­ma­er­wär­mung pro­fi­tie­ren“, sagt Tin­nacher, weil ihre Reben durch die Höhe der Wein­ber­ge weni­ger unter der Hit­ze wie die von Kol­le­gen in ande­re­r­en Wein­an­bau­ge­bie­ten, die tie­fer lie­gen und wär­mer sind. Doch auch in der Stei­er­mark wird es stei­gen die Tem­pe­ra­tu­ren bedenklich.

Die Klimaerwärmung war gut für deutsche Rotweine

Fragt man in Deutsch­lands Wein­gü­tern nach Stand­ort­vor­tei­len durch den Kli­ma­wan­del, ähneln sich die Ant­wor­ten. „Das ist die Sicht der 2000er Jah­re, mitt­ler­wei­le sind an einem Wen­de­punkt“, sagt Hans-Christoph Stol­leis aus der Pfalz. Peter Wag­ner vom Kai­ser­stuhl pflich­tet ihm bei. „Die Ent­wick­lung der letz­ten 30 Jah­re war gut für unse­re Rot­wei­ne, mitt­ler­wei­le wächst aber die Ver­zweif­lung.“ Klar ist: der deut­sche Wein ist in der Ver­gan­gen­heit deut­lich bes­ser gewor­den. Mage­re Wei­ne mit roher Säu­re waren kei­ne Sel­ten­heit in den 1970ern und 1980ern. Sol­che Wei­ne gibt es heu­te prak­tisch nicht mehr, dafür umso häu­fi­ger Wei­ne, denen man Tro­cken­stress und Hit­ze­schock anmerkt – ein Phä­no­men, das bei­spiels­wei­se im letz­ten Hit­ze­jahr­gang 2018 mas­siv auf­trat. Hin­ter vor­ge­hal­te­ner Hand äußern sich Win­zer inzwi­schen wenig posi­tiv über die­sen Jahr­gang. „2018 habe ich für mich beer­digt“, sagt ein bekann­ter Riesling-Produzent. 

Die Klimakrise ist auch in Deutschland angekommen

In der Regel sor­gen Jah­re, in denen die Tem­pe­ra­tu­ren gleich­mä­ßig hoch sind, für eine Turbo-Reife der Trau­ben. In 2022 mit sei­nen afri­ka­nisch hohen Tem­pe­ra­tu­ren könn­te sich die Sache umkeh­ren. Die Trau­ben könn­ten in man­chen Lagen gar nicht mehr aus­rei­fen, fürch­ten Win­zer. „Es war im Juli so tro­cken wie in ande­ren hei­ßen Jah­ren im August“, stellt Hans-Christoph Stol­leis besorgt fest. Und sein Bade­ner Kol­le­ge Wag­ner fürch­tet: „Wenn es in den kom­men­den zwei Wochen nicht abkühlt und reg­net, sehe ich schwarz für den Jahrgang.“ 

Die Kli­ma­kri­se ist end­gül­tig in den deut­schen Wein­ber­gen angekommen. 

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