„Wir wollten mal wieder unserem Spieltrieb nachkommen“, sagt Niko Brandner, als er von der Idee erzählt Apfelweine zu keltern. Brandner ist hauptberuflich Sektmacher, und zwar einer der besten, die Deutschland hat. Bei dem 37-Jährigen dreht sich alles um Chardonnay, Spätburgunder oder Riesling, die in Weinbergen seines Sektguts Griesel an der Hessischen Bergstraße gedeihen. Nach der Gründung 2013 brachte er das bis dahin unbekannte Sektgut rasch an die Spitze. Dabei war Brandner selbstbewusst genug, um neue Wege zu gehen, auf niedrige Schwefelgehalte, späte Tirage und langes Hefelager zu setzen. Mittlerweile stehen die Griesel-Sekte in jedem zweiten deutschen Sterne-Restaurant auf der Weinkarte. Ihm gehe es, so der junge Sektkellermeister, heute „nur noch um das fine tuning“.
Nicht zu verwechseln mit Äppelwoi
Und um Fruchtschaumweine. Sie sind seine neue Spielwiese. Mengenmäßig sind sie nur ein Nebenschauplatz. Prestigemäßig aber stehen sie bei Konsumenten und Gastronomen hoch im Kurs. Auch wenn der offizielle Startschuss erst 2021 fiel, experimentiert man bei Griesel schon länger mit Äpfeln. Die Hessische Bergstraße, der an die Weinberge grenzende Odenwald und das nur 40 Kilometer nördlich gelegene Frankfurt gelten als traditionelle Hochburgen des Äppelwoi. Das Kernstück der Produktion bildet daher der Apfel. Aber auch Quitten und Johannisbeeren spielen eine Rolle bei Von Wiesen. Unter dieser Marke kommen die Fruchtschaumweine auf den Markt. Um bestmögliche Grundprodukte verarbeiten zu können, hat Brandner Obstbauern aus dem ganzen Umkreis ausfindig gemacht. Die Quitten kommen aus dem benachbarten Weinheim, die Äpfel aus dem Odenwald und von einem auf alte Sorten spezialisierten Obsthof bei Frankfurt.
Der Pét-Nat unter den Fruchtweinen
Unterscheiden muss man bei Von Wiesen zwischen Perlwein und Schaumwein. Die Perlweine – bei Von Wiesen „Ancestral“ genannt – füllt Brandner bei auslaufender Gärung in die Flasche, wo die Hefe die letzten paar Gramm Fruchtzucker in Alkohol und CO2 verstoffwechselt. Hier verzichtet er auf das Dégorgement, belässt die Hefe im Wein, wodurch dieser in der Flasche immer etwas trüb ist. Durch den niedrigen Druck (um 2 bar) – Sekt liegt zwischen 3 und 6 bar – empfiehlt es sich, diese Obstperlweine mit großen, schnellen Schlucken zu genießen wie einen Cider im englischen Pub – der wird dort nicht ohne Grund im 570-Milliliter-Pint und nicht in der Sektflöte serviert. Auch wenn Brandner exquisite Rohstoffe verwendet und äußerst detailverliebt vorgeht, seine Weine überregional verkauft und auch mal Hopfen mit Apfelmost paart, kann man die Von Wiesen-Perlweine durchaus in der Tradition der Südhessischen Bembel-Kultur auffassen. „Das darf ruhig auch ein bisschen derb und bäuerlich sein, oder als Erfrischungsgetränk im Sommer getrunken werden“, so der Sektmacher.
Der Champagner unter den Cidres
Als Vertreter einer völlig anderen Idee entpuppen sich die Apfelschaumweine. Es reicht schon, die Nase kurz ins Champagnerglas zu halten, um den Unterschied zu riechen. Sie sind klarer, weniger hefig-mostig, dafür brillant und filigran. „Wir arbeiten mit den Apfelweinen eigentlich genauso wie mit dem Sekt“, sagt Brandner. Auf die Gärung mit wilden Hefen folgt ein spontaner biologischer Säureabbau. Anschließend reifen die Apfelweine für etwa ein Jahr auf der Vollhefe, bevor sie mit frischem Apfelmost und Zucker zur zweiten Gärung in die Flasche gefüllt werden – wie beim flaschenvergorenen Winzersekt. Fast zwei Jahre ruhen die Apfelweine sur lattes auf der Hefe, bis sie dégorgiert werden. Im Gegensatz zu den Perlweinen sind sie danach klar und frei von Heferückständen. Mit etwa 6 bar prickeln sie spürbar stärker, was sie eher einem Sekt ähneln lässt als einem Cider. Zwei, drei große Schlucke hintereinander kann man davon also niemandem empfehlen: Man sollte das Nippen aus dem Champagnerglas dem Stürzen aus dem Pint vorziehen.
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Cider weiter gedacht
Vom Innovationsgeist – man kann es auch wie Brandner Spieltrieb nennen – profitieren beide, der nur perlende und der schäumende Fruchtwein. Erstere finden im gewitzten Zusammenspiel verschiedener Früchte ihr Alleinstellungsmerkmal, der Apfel vermählt sich mit Johannisbeere oder Qitte, der Hopfen-Apfel-Perlwein erinnert an belgisches Sauerbier. Auch die Schaumweine denken Cider und Cidre ein Stückchen weiter, aber subtiler. Hier ist es vor allem die enorme Reinheit, die rasiermesserscharfe Säure, die durch lange Reife und den biologischen Säureabbau dennoch grazil und elegant daherkommt und so neue Maßstäbe setzt.
„Wir sind schon auf die Schnauze gefallen“
Um hierher zu gelangen, probierte Brandner jede Menge aus. „Vieles kann man vom Sekt übertragen, wir sind aber auch schon auf die Schnauze geflogen“, sagt er, und fast hat man des Gefühl, als genieße der Perfektionist auch mal den Moment der Blauäugigkeit. Besonders beim Pressen hat man bei Von Wiesen schon jede Menge versucht, experimentierte mit Packpressen, Hydropressen, Bandpressen und einer Korbpresse, wie sie auch für Trauben eingesetzt wird.
Auch Äpfel haben ein Terroir
Und auch in den kommenden Jahren will man sich noch weiterentwickeln. Am sei Anfang es naheliegend gewesen, in den Odenwald zu den Streuobstwiesen zu fahren. Das soll auch so bleiben, aber mit dem Obsthof Am Steinweg in Frankfurt, hat Brandner nun eine Möglichkeit gefunden, zusätzlich reinsortigen Apfelschaumwein zu keltern. Das Potential alter, auf verschiedenen Böden gewachsener Sorten ist enorm“ findet er. „Da können wir noch eine Schippe drauflegen.“
Von Wiesen: Die Weine im Überblick
Apfel & Quitte Ancestral (Perlwein)
Für diesen Perlwein lässt Brandner Quittenmost zwölf Monate auf der Vollhefe reifen, um die harten Gerbstoffe zu glätten. Anschließend wird er im 50:50-Verhältnis mit gärendem Most aus Äpfeln des Folgejahrgangs verschnitten und gefüllt: ein frischer, hefiger, und durch die Quitte äußerst aromatischer Obstperlwein mit Noten von knackigem Apfel und Honig.
14,50 € beim Weingut
Apfel & Schwarze Johannisbeere Ancestral (Perlwein)
Apfel spielt die Hauptrolle, nur etwa 10 Prozent entfallen auf Rote Johannisbeere, die trotzdem deutliche Spuren hinterlässt. Auf null Gramm Zucker fallen zwölf Gramm Säure, was für ein selbstbewusstes Säuregrat sorgt: ein enorm erfrischender Perlwein, perfekt als Aperitif auf der Terrasse in der Sommerhitze
12,90 € beim Weingut
Apfel & Hopfen Ancestral (Perlwein)
Apfelmost wird für fünf Tage mit Citra-Hopfen kalt gestopft, was die Zitruscharakteristik der vom Pale Ale bekannten Sorte besonders zum Vorschein bringt: ein spannendes Potpourri aus Apfel, Hefeweizen und Cannabis.
12,90 € beim Weingut
Apfel 2018 Brut – Schaumwein
Das Flaggschiff bei Von Wiesen reift erst lange im Fass und anschließend etwa zwei Jahre bis zum Dégorgement in der Flasche. So filigran, präzise und gleichzeitig stramm in der Säure bringt das sonst kaum jemand in die Flasche. Wäre das ein Champagner, wäre es ein Blanc de Blancs Brut Nature. Die Fruchtkomponente fällt karger und trockener aus, als man das von einem Apfelwein erwarten würde und trotzdem schmeckt dieser Schäumer wie ein reinster Apfelextrakt. Ein leicht wachsiger Subton bezeugt das lange Hefelager – ein Next-Level-Apfelwein.
15,00 € beim Weingut
Apfel Rosé 2018 Brut – Schaumwein
Die Rosé-Variante des Apfelschaumweins wird nach der zweiten Gärung mit Johannisbeermost dosiert, was ihm mehr Floralität verleiht. Der Hauch Fruchtigkeit steht ihm gut, die Säure ist ebenfalls prägnant, unterm Strich ist der Rośe aber – ganz rosétypisch – die etwas zugänglichere Variante.
15,00 € beim Weingut
Von Wiesen x Seckinger – Rosé Pure x Johannisbeere
Eigentlich wollte das Pfälzer Weingut Seckinger nur ihren Rosé von Griesel versekten lassen, herausgekommen ist dabei ein wildes Johannisbeer-Traubenwein-Gemisch: fertig vergorener Rosé wird mit frischen Johannisbeersaft nachvergoren und setzt Aromen von frischer Frucht, Balsamico und Johannisstrauchöl frei. Offiziell nur ein Aromatisiertes weinhaltiges Getränk. Aber irre gut.
14,00 € beim Weingut