Vinos Off The Record: Das aufregende, junge Spanien

Die Barcelona Wine Week ist Spaniens wichtigster Branchentreff. Thomas Götz besuchte während der Messetage unter anderem das Event „Vinos Off The Record“, bei dem sich die junge spanische Garde präsentierte.

Das Taxi hält vor einer Häu­ser­zei­le in Down­town Bar­ce­lo­na. Die Adres­se scheint zu stim­men, aber wo bit­te geht es zur Wein­show? Weit und breit nichts zu sehen, außer Cafés und Geschäf­te. Der 360-Grad-Blick bleibt an einem oran­ge­far­be­nen Pla­kat an einer Glas­tü­re haf­ten. „Off The Record“ steht dar­auf geschrie­ben. Hin­ter der Türe ver­birgt sich eine Gale­rie für moder­ne Kunst. Durch die Aus­stel­lung geht es in einen Hin­ter­hof in ein — vor­sich­tig gesagt — sanie­rungs­be­dürf­ti­ges Gebäu­de, an des­sen Innen­wän­den der Putz abblät­tert. Fast fühlt man sich wie im Ber­lin der 1990er Jahre.

In dem mini­ma­lis­tisch aus­ge­stat­te­ten Saal herrscht reges Trei­ben. An den Tischen schen­ken vier­zig Erzeu­ger ihre Wei­ne aus, dar­un­ter inter­na­tio­na­le Gäs­te wie Mau­rice Chop­pin aus der Cham­pa­gne, Kühling-Gillot aus Rhein­hes­sen und das liba­ne­si­sche Wein­gut Sept, das packen­de Weiß­wei­ne aus 900 Meter hoch gele­ge­nen Wein­ber­gen und Reb­sor­ten wie Mer­weh mit­ge­bracht hat.

Vor allem aber stellt sich hier das neue Spa­ni­en vor, etwa die Win­ze­rin Vero­ni­ca Orte­ga. Sie steht exem­pla­risch für die jun­ge, in der Welt her­um­ge­kom­me­ne spa­ni­sche Gene­ra­ti­on. Orte­ga lern­te unter ande­rem bei Romanée-Conti in Bur­gund und Klaus Peter Kel­ler in Rhein­hes­sen. Vor zehn Jah­ren grün­de­te sie ihr Wein­gut in der DO Bier­zo. „Ich mache Wei­ne, wie ich sie ger­ne trin­ke: gerad­li­nig, klar und mit Span­nung“, sagt die gebür­ti­ge Anda­lu­sie­rin. Vor­züg­lich sind ihr Weiß­wein „La Llora­na 2021“ aus der Reb­sor­te Godel­lo und mit pikan­ter Säu­re sowie der fes­selnd viel­schich­ti­ge Rot­wein „Roc 2020“ aus der Mencía-Traube. War­um aber zog es die Win­ze­rin in den Nord­wes­ten Spa­ni­ens? „Der Bier­zo ver­fügt über einen hohen Bestand an alten Reben, loka­le Reb­sor­ten und eine alte Wein­kul­tur. Das atlantisch-kontinentale Kli­ma ver­leiht den Wei­nen mehr Fri­sche“, sagt Vero­ni­ca Orte­ga. „Das fei­ne, leb­haf­te Pro­fil der Wei­ne hat mir stets zugesagt.“

Vero­ni­ca Orte­ga mit der Top-Mencía Roc 2020 (© Tho­mas Götz)

Im Trend: Garnacha aus Gredos und Aragon

Gleich neben Orte­ga befin­det sich der Tisch von Jor­ge Navas­cues. Er ist Tech­ni­scher Direk­tor des bekann­ten Rioja-Weinguts Con­ti­no und zeigt bei Off The Record die Gewäch­se sei­nes per­sön­li­chen Pro­jekts Mas de Man­cu­so aus der DO Cari­ñe­na. Er wol­le her­kunfts­ty­pi­sche Wei­ne mit einer star­ken Iden­ti­tät kel­tern, sagt Navas­cues. Spe­zia­li­siert ist er auf die Reb­sor­te Gar­nacha, inter­na­tio­nal bekannt als Gren­ache: „Ich bin in einer Garnacha-Familie auf­ge­wach­sen. Mein Groß­va­ter hat zwölf Mil­lio­nen Kilo Gar­nacha geern­tet. Die Sor­te ist sozu­sa­gen mei­ne DNA; sie hat ihren Ursprung in Ara­gon, wo ich lebe.“ Gar­nacha sei der­zeit die tren­digs­te spa­ni­sche Trau­be und wirk­lich gut, was Ele­ganz, Fines­se und Balan­ce ange­he, sagt Navas­cues. An sei­nen hoch­fei­nen Rot­wei­nen wird deut­lich, was er dar­un­ter versteht.

Spricht man von Gar­nacha und ele­gan­ten Rot­wei­nen, fällt schnell auch der Name Sier­ra de Gre­dos. Die land­schaft­lich wil­de Berg­re­gi­on west­lich von Madrid ver­fügt über einen gro­ßen Bestand an alten Garnacha-Reben, die in Hoch­la­gen auf bis zu 1.200 Metern auf Gra­nit­s­and­bö­den wach­sen. Der typi­sche Gredos-Stil ergibt hell­far­bi­ge, schlan­ke, grif­fi­ge Rot­wei­ne, geprägt von Mine­ra­li­tät und flo­ra­len Aro­men, manch­mal sogar mit äthe­ri­schen Noten, dafür weni­ger frucht­be­tont. Bei Off the Record zei­gen die Com­bo 4 Monos (auf Deutsch: „4 Affen) mit dem kühl anmu­ten­den Orts­wein „Cien Lanz­as 2020“ und Win­ze­rin Mai­te Sanchéz mit dem Lagen­ge­wächs „Gar­nacha de Arrayán 2018“ die­se Spiel­art der Gar­nacha in ein­drucks­vol­ler Wei­se auf.

 

Mai­te Sanchéz vom Wein­gut Arrayán, Sier­ra de Gre­dos (© Tho­mas Götz)

Weinberg vor Keller, Feinheit vor Kraft

Gene­rell voll­zieht die jün­ge­re spa­ni­sche Gene­ra­ti­on einen Para­dig­men­wech­sel. Die Wei­ne defi­nie­ren sich nicht mehr durch die Aus­bau­zeit in 225-Liter Bar­ri­que­fäs­sern, wie es bei den Rei­fe­stu­fen Cri­anza, Reser­va und Gran Reser­va der Fall ist. Statt­des­sen rückt die Her­kunft — das Ter­ro­ir — in den Mit­tel­punkt. Die Klas­si­fi­ka­ti­on erfolgt ent­spre­chend nach Ort­schaf­ten und Lagen, und der Ein­fluss von Holz weicht bei der Wein­be­rei­tung zurück. Nach Vanil­le, Gewürz­nel­ke oder Kokos riecht man ver­ge­bens. Viel­mehr geht es „um Wei­ne ohne Make-up“, wie es Dani­el Lan­di von Coman­do G, einer der neu­en Stars, ein­mal dem Wein­ken­ner sag­te. Das jun­ge Spa­ni­en ist so gese­hen mehr Bau­haus als Barock. Die Wei­ne wir­ken mit­un­ter kar­ger und weni­ger opu­lent, sind dafür oft­mals prä­zi­ser und kla­rer und haben eine poin­tier­te­re Säu­re. „Weni­ger ist mehr“ lau­tet das über­grei­fen­de Mot­to: Weni­ger Holz und weni­ger Extrak­ti­on bei der Wein­be­rei­tung bedeu­ten mehr Fein­heit im Glas.

Die­sen (in Spa­ni­en) rela­tiv neu­en Ansatz ver­folgt auch der Win­zer Javier Revert aus der DO Valen­cia. Sei­ne Wei­ne baut er in einer Kom­bi­na­ti­on aus Edel­stahl, Ton­am­pho­ren, Demi­johns, Beton­tanks und groß­for­ma­ti­gen Holz­fäs­sern aus. Doch nicht der Kel­ler ist für ihn ent­schei­dend, son­dern der Wein­berg und die Per­son: „Ande­re Wein­gü­ter kön­nen die glei­chen Fuder und Beton­ei­er wie ich ver­wen­den. Aber mich und mei­nen Ort kön­nen sie nicht kopie­ren”, sagt Revert. Bei Vinos Off The Record stellt er etwa den mit­rei­ßen­den, salzig-mineralischen Weiß­wein „Mical­et 2021“ vor. Der Wein ent­stammt einer Ein­zel­la­ge, die der Urgroß­va­ter vor 75 Jah­ren mit den Weiß­wein­trau­ben Tor­to­sí, Tre­pa­dell, Mal­va­sía, Mer­se­guera und Maca­beo im ber­gi­gen Hin­ter­land von Valen­cia bestockte.

Tisch­nach­bar Alvar de Dios kommt wie­der­um aus Toro — eine Regi­on auf der zen­tral­spa­ni­schen Hoch­ebe­ne am Fluss Due­ro mit einem extre­men kon­ti­nen­ta­len Kli­ma. Die dort erzeug­ten Wei­ne aus der Tin­ta de Toro, so lau­tet der regio­na­le Name für Tem­pr­anil­lo, sind als wah­re Kraft­pa­ke­te bekannt. Bei Alvar de Dios strah­len die Gewäch­se hin­ge­gen Ele­ganz, Fri­sche und sogar Leich­tig­keit aus, etwa der Lagen­wein „Acia­no 2020“ aus alten Reben von besag­ter Tin­ta de Toro. Wei­ter fluss­ab­wärts in Rich­tung por­tu­gie­si­sche Gren­ze befin­det sich das Anbau­ge­biet Arri­bes. Dort gewinnt Alvar de Dios den wür­zi­gen und super­fri­schen Weiß­wein „Vagüera 2021“ aus 103-jährigen Reben der auto­chtho­nen Trau­be Doña Blan­ca. Der nörd­lich aus­ge­rich­te­te Wein­berg liegt auf 950 Höhen­me­tern. Das jun­ge Spa­ni­en ist cool und nicht sel­ten auch Cool Climate.

 

Wei­ne mit Per­sön­lich­keit. Alvar de Dios in Toro und Arri­bes (© Tho­mas Götz)

Vorwärts in die Vergangenheit

„Spa­ni­scher Wein war noch nie so viel­fäl­tig und auf­re­gend wie heu­te“, sagt Parker-Kritiker Luis Gut­ier­rez, dem Wein­ken­ner auf der Bar­ce­lo­na Wine Week begeg­net. In sei­nem Buch „The New Vigne­rons“ beschreibt er den Ansatz einer neu­en spa­ni­schen Win­zer­ge­ne­ra­ti­on, die zurück zu loka­len Reb­sor­ten, tra­di­tio­nel­lem Wein­bau und hand­werk­lich gemach­ten Wei­nen kehrt. Die Zukunft, sagt Gut­ier­rez, lie­ge in der Besin­nung auf die Ver­gan­gen­heit — also die Zeit, bevor Spa­ni­en zum über­wie­gend bil­lig pro­du­zie­ren­den Mas­sen­wein­land wur­de. Bei einem Tasting prä­sen­tiert er die Erzeu­ger Ravent­os i Blanc (Pene­dès), Coman­do G (Sier­ra de Cre­dos), For­jas del Sal­nes (Rias Baix­as), Envin­a­te (Tene­rif­fa) und Casa Cas­til­lo (Jum­il­la). Deren Gewäch­se zei­gen, dass es mitt­ler­wei­le über­all im Land Weltklasse-Weine gibt, auch abseits von Rio­ja, Prio­rat, Ribe­ra del Due­ro und Jerez. „Wir brau­chen aber noch mehr sol­cher Pro­jek­te“, räumt Luis Gut­ier­rez ein. „Den­ken Sie an die Zahl der Qua­li­täts­er­zeu­ger in Baro­lo oder in Bur­gund. In den meis­ten spa­ni­schen Regio­nen gibt es noch zu weni­ge Spit­zen­er­zeu­ger, damit sie als bedeu­tend wahr­ge­nom­men werden.“

Dass man dies­be­züg­lich opti­mis­tisch in die Zukunft bli­cken darf, hat die Wein­show Vinos Off The Record ein­drück­lich gezeigt. Spa­ni­en ist der Reb­flä­che nach das größ­te Wein­land der Welt — mit Wein­bau am Atlan­tik und Mit­tel­meer, in Gebir­gen, auf Hoch­ebe­nen und Inseln. Das Land hat sein Poten­zi­al noch lan­ge nicht aus­ge­schöpft und ist immer mehr dabei, es zu entdecken.

 

 

Durch die Gale­rie zu Off The Record (© Tho­mas Götz)

10 Tipps zur Weinshow Vinos Off the Record:

4 Monos — Cien Lanz­as 2020, Madrid, Sier­ra de Gre­dos. Bio­dy­na­mi­scher Orts­wein aus Ceni­ci­ent­os, der die flo­ra­le und ele­gan­te Sei­te der Gar­nacha zeigt. Küh­le Aro­ma­tik, fein­kör­ni­ges Tan­nin und bele­ben­de Säure.

Alvar de Dios — Vagüera 2021, Arri­bes. Par­zel­len­wein aus der Weiß­wein­trau­be Doña Blan­ca. Aus einem 950 Meter hoch gele­ge­nen Wein­berg mit 103-jährigen Reben. Wür­zig, gerad­li­nig und mit viel Gripp. Bezug (nicht die­ser, son­dern ande­re Wei­ne des Erzeu­gers): wein-am-limit.de

 

Ben­to­miz — Ari­ya­nas Romé Rosa­do 2021, Mála­ga. Mine­ra­li­scher, voll durch­ge­go­re­ner Rosé aus der raren Romé-Traube, die in Mála­ga auf weni­ger als 50 Hekt­ar wächst. Ein ernst­haf­ter Rosé mit Persönlichkeit.

Este­ve i Gibert — Clot dels Eix­ams 2020, Pene­dès. Weiß­wein aus dem loka­len Klon Mal­va­sia de Sit­ges. Reich­lich Stein­obst in der Nase, am Gau­men voll­mun­dig und frisch. Fes­ter Kern, obwohl üppig, geht nichts in die Breite.

Javier Revert — Mical­et 2021, Valen­cia. Aus einem 75 Jah­re alten Misch­satz mit den Weiß­wein­trau­ben Tor­to­sí, Tre­pa­dell, Mal­va­sía, Mer­se­guera und Maca­beo. Zitrus­frucht und sal­zi­ge Noten, mul­ti­di­men­sio­nal und ver­ti­kal. Mit viel Zug und Län­ge im Abgang. Bezug (Jg. 2020): funtastyfood.de

Jor­ge Navas­cues — Mas de Man­cu­so Gar­nacha 2018, Cari­ñe­na. Fines­sen­rei­cher Rot­wein mit gro­ßem Span­nungs­bo­gen. Straf­fe Säu­re umhüllt von seidig-weicher Tex­tur. Schlank und wun­der­bar trin­kig. Aus dem ara­go­ne­si­schen Anbau­ge­biet DO Cari­ñe­na, nicht zu ver­wech­seln mit der gleich­na­mi­gen Reb­sor­te. Bezug (nicht die­ser, son­dern ande­re Wei­ne des Erzeu­gers): gute-weine.de

Mai­te Sanchéz — Gar­nacha de Arrayán 2018, Cebre­ros, Sier­ra de Gre­dos. Deli­ka­te flo­ra­le und rot­fruch­ti­ge Nase. Saf­tig am Gau­men, mit sei­di­ger Tex­tur. Zieht sich char­mant weg und hat zugleich Tiefe.

Sept — Mer­weh 2020, Neh­la, Liba­non. Packen­der Weiß­wein aus der Reb­sor­te Mer­weh. Uralte Reben auf 900 Metern Höhe. Enor­mer Zug, viel­schich­tig, grif­fig, sub­til. Sehr eigen­stän­dig. Bezug: wein-am-limit.de

Ten­tenu­blo — Ver­i­quete 2019, Rio­ja Ala­vesa. Aus einem Misch­satz, über­wie­gend mit Tem­pr­anil­lo sowie Gar­nacha und eini­gen Weiß­wein­trau­ben bestockt. Äußerst fri­sche Nase, obwohl es ein war­mer Jahr­gang war. Am Gau­men vibrie­rend und energiegeladen.

Vero­ni­ca Orte­ga — La Llora­na 2021, Bier­zo. Weiß­wein aus Godello-Reben auf san­di­gen Böden. Wirkt abso­lut klar und schnör­kel­los, ist grif­fig und line­ar. Kris­tal­lin, zit­risch und salzig-mineralisch, dazu Kräu­ter­wür­ze und wei­ße Blü­ten. Bezug: pinard-de-picard.de

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