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Vino Nobile di Montepulciano 2012 und 2013: nicht groß, aber gut

Über den Vino Nobile di Montepulciano hat es in den letzten fünf Jahrhunderten viele lobende Kommentare gegeben. In den letzten drei Jahrzehnten fielen sie allerdings erkennbar nüchterner aus. Nicht selten empfanden Konsumenten und Kritiker den angeblichen „Bruder“ des Brunello di Montalcino etwas bäuerlich und mit kellertechnischen Fehlern behaftet. Diese reichten von frühzeitigem Gezehrtsein bis zu Brettanomyces. Das Prädikat Nobile wirkte daher oft unverdient.

Nicht immer dem Prädikat „Nobile“ gerecht geworden

Auch die Preispolitik großer Erzeuger, etwa die der Vecchia Cantina, der ältesten Genossenschaft der Toskana, signalisierte, dass man sich selbst nicht wirklich in einer Reihe mit den illustren Weinen sah, die zusammen mit dem Vino Nobile 1980 den DOCG-Status erhalten hatten: Barolo, Barbaresco und Brunello di Montalcino.

In den letzten beiden Jahrzehnten haben sich die Verhältnisse geändert, und wie stets waren es faulen Kompromissen abgeneigte Pioniere, die den Ton angaben: kleine und mittlere Güter wie Boscarelli, Le Casalte, Fognano und Contucci, aber auch große wie Poliziano und Avignonesi. Sie setzten neue Standards und fanden Nachahmer. Das Ergebnis des erfolgten Wandels: die Weine von Montepulciano werden mittlerweile zum großen Teil „terroirgerecht“ erzeugt und in Kellern ausgebaut, denen es technisch an nichts fehlt.

International wieder präsentabel

Le Bèrne
Le Bèrne

Die Basissorte im Anbaugebiet des Vino Nobile ist die Sangiovese – wie im Chianti Classico, in Montalcino und den meisten toskanischen Appellationen. Nur wird die Sorte in Montepulciano anders genannt: Prugnolo Gentile. Sie muss nach dem DOCG-Statut 70 Prozent der Cuvée ausmachen. Sie bildet – insbesondere aus älteren Anlagen mit begrenzten Erträgen – die verlässliche Basis eines regional geprägten, aber international durchaus präsentablen Weins.

Kombiniert wird der Sangiovese mit autochthonen Sorten wie Canaiolo, Colorino und Mammolo sowie mit den zugewanderten Merlot und Cabernet Sauvignon. Kellertechnische Fehler werden kaum noch gemacht. Und man hat zu akzeptieren gelernt, dass der Nobile di Montepulciano sich nicht als Bruder des Brunello di Montalcino präsentieren kann. Dass er ein ganz eigenes, meist schlankeres Profil hat: frischer ist, beeriger, oft auch stoffiger und nicht ganz so intensiv und füllig. Anders eben, aber in seiner Eigenständigkeit sehr respektabel. Und man segelt nicht mehr so krampfhaft hinter einer Bezeichnung her, die durch die erzielbaren Preise für den Wein wie die für das Rebland nicht bestätigt wird. Die Nobile-Erzeuger sind mit diesem Kurs, ganz gut gefahren, wie die im Februar vorgestellten Weine des nicht ganz einfachen, relativ kühlen und feuchten Jahrgangs 2013 und die Riserve des Spitzenjahrs 2012 bestätigten.

Hier die Weine, die meistens überzeugt haben:

2013 Vino Nobile di Montepulciano


Name Beschreibung Punkte
Le Bèrne Im zurückhaltenden, aber vielschichtigen Duft vor allem Veilchen und würzige Waldbeeren; am Gaumen gutes Volumen, ausdrucksvolle nuancierte Frucht, mit Schmelz, Schliff und vorzüglicher innerer Spannung. 92
Il Greppo „Greppo Antico“ Aromen von Heidelbeeren, Erdbeeren und Kräutern; auf der Zunge reif, dicht und kultiviert mit guter Struktur, schöner Balance und langem Nachhall. 91
Fattoria del Cerro „Antica Chiusina Selezione“ Im Duft stoffig, mit Himbeeren, Erdbeeren und Bitterschokolade; am Gaumen vielschichtig mit intensiver Frucht, beachtlichem Volumen, kräftigen Tanninen und guter Balance. 90
Le Bertille Feinwürzige Aromen von reifen Heidelbeeren mit einem Hauch Waldboden; im Mund saftig mit beeindruckender Verbindung von Eleganz und solider Stoffigkeit, sehr langer Nachhall. 89
Casale Daviddi Animalisch unterlegter Duft nach Waldbeeren, Pflaumen und Schwarzkirsche; im Mund dazu feine Spitzen, große Eleganz und langer kühler Nachhall. 89
Poliziano Würzige Aromen von Heidelbeeren, Kirschen und etwas Bitterschokolade; am Gaumen noch recht verschlossen, aber konzentriert mit schönem Schliff und recht langem Nachhall. 89
Tiberini „Podere Le Caggiole“ Feiner Duft mit an getrocknete Kirschen erinnerrnder Süße; am Gaumen transparente Frucht, reif mit schönem Schmelz, geschliffenen Tanninen und langem Nachhall. 89
La Braccesca In der Nase zurückhaltend mit leicht rauchigen Waldbeeren-Aromen und etwas Bitterschokolade; am Gaumen intensiv mit guter Struktur und feinen, geschliffenen Tanninen. 89
Lombardo Aromen von Waldbeeren und Eichenmoos, leicht animalisch; im Mund reif und elegant, schöne Spannung Frische-Süße, geschliffene Tannine, schon gut trinkbar, aber mit Perspektive. 89
Barbanera „Duca di Saragnano“ Süße, junge, blütige Aromen von Kirsche und Brombeere, unterlegt mit etwas Schokolade; am Gaumen frisch, lebhaft und trinkanimierend mit feinen Tanninen. 89
Dei Lebhafte, frische Brombeer-Frucht und Pflaumensaft, unterlegt mit etwas Holz; am Gaumen reif mit feiner Süße und etwas Lorbeer. Ein ausbalancierter Wein mit langem Nachhall. 88
Lunadoro „Pagliareto“ Nase geprägt von leicht rauchigen Waldbeeren, Pflaumen und Bitterschokolade; am Gaumen noch verschlossen, aber mit guter Struktur, schönem Schliff und frischem, recht langem Nachhall. 88
Villa Sant’Anna Im Duft Heidelbeeren mit leicht animalischen Anklängen und etwas Graphit; am Gaumen gut strukturiert, dicht und stoffig mit langem, kühlem Nachhall und deutlichem Entwicklungspotential. 88
Valdipiatta „Vigna d’Alfiero Selezione“ Duft nach süßen Waldbeeren; am Gaumen eher schlank, mit feinen Geleenoten, schönem Schliff und reifen Tanninen. 88
Canneto In der Nase zurückhaltend: rote Früchte mit einer kleinen Spur Pfeffer und Vanille; im Mund kompakt und kraftvoll, getrocknete Kirschen und Kräuter, schöner Schliff, guter Körper. 87
Gattavecchi „Parceto Selezione“ In der Nase Blüten und süße Waldbeeren; auf der Zunge schmelzig, reif und weich, feine Süße. Ein Schmeichler! 87
Fassati Leicht beizende Aromen von Waldbeeren und Bitterschokolade; am Gaumen dann gut abgestimmt, etwas modisch wirkend, mit kräftigen Tanninen und langem Nachhall. 87

2012 Vino Nobile di Montepulicano Riserva


Name Beschreibung Punkte
Gracciano della Seta Eindrucksvoller Duft nach roten Früchten mit etwas Pflaume und Tabak; am Gaumen nuanciert mit großer Eleganz, geschliffene Tannine, perfekte Balance und sehr langer Nachhall. 93
Canneto „Selezione Casina di Doro“ Intensive Aromen von Waldbeeren mit einer Spur Unterholz und Teer; im Mund lebhafte Frucht mit feinen geschliffenen Geleenoten, kleinen Spitzen und beeindruckender Spannung. 92
Contucci Leicht rauchige, von Heidelbeeren, Schwarzkirsche und Unterholz geprägte Nase; am Gaumen reif und schmelzig mit Anklang an Brombeergelee, schöne Balance, sehr langer Nachhall. 92
Dei „Bossona“ Im Duft Unterholz, Leder, schwarze Oliven und etwas Lakritze; auf der Zunge Schwarzkirsche und ein Hauch Kaffee, schöner Schmelz, reife Tannine, langer Nachhall. Gelungene Verbindung von Eleganz und Kraft. 91
Carpineto Im eindrucksvollen, leicht animalischen Duft Schwarzkirsche, eine Spur Tinte und Vanille; auch am Gaumen von beeindruckender Vielfalt, Kraft und Stoffigkeit, eigenständig und lang. 91
Lunadoro „Quercione“ Duft geprägt von leicht rauchigen Kirsch-Noten; am Gaumen reif und weich, die schmelzige, leicht pflaumige Frucht unterlegt mit einem Hauch von Bitterschokolade, gute Balance, sehr langer Nachhall. Ein edler Wein. 91
Casale Daviddi Süße, schmeichelnde Aromen von reifen Waldbeeren und Schwarzkirsche; am Gaumen elegant, mit Anklängen an Sattelleder und feinen Geleenoten. Kraftvoll und schmelzig mit beachtlichem Schliff 91
Avignonesi „Grandi Annate“ Nase geprägt von reifen Waldbeeren und Holunder, unterlegt mit etwas Schokolade; am Gaumen rund und reif mit gut eingebundenen Tanninen, schöner Balance und langem Nachhall 90
Il Molinaccio „La Poiana“ Intensive Aromen von süßen Brombeeren und Sattelleder; am Gaumen reif und geschliffen mit Anklängen an getrocknete Kirschen, gute Balance von Kraft und Schmelz. 89
Il Conventino Im Duft zurückhaltend mit reifen Waldbeeren und Leder; am Gaumen klassisch und kultiviert, mit beachtlichem Volumen, schmelziger Frucht, reifen Tanninen und beeindruckendem Nachhall. 89
Barbanera „Duca di Saragnano“ Aromen von Waldbeeren und Schwarzkirsche; auf der Zunge transparente Frucht, elegant, weich und reif mit geschmeidigen Tanninen und gutem Entwicklungspotential. 89
Icario „Vitaroccia“ Im Duft süße Brombeeren; auf der Zunge transparent, weich und geschliffen, schöner Körper, viel Charme und langer, leicht kühler Nachhall. 88
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Autor

Jens Priewe
Jens Priewe
Jens Priewe hat viele Jahre als Politik- und Wirtschaftsjournalist gearbeitet, bevor er auf das Thema Wein umsattelte. Er schreibt Kolumnen für den Feinschmecker und für das schweizerische Weinmagazin Merum. Für den Weinkenner, dessen Gesellschafter er ist, hat er seit der Gründung über 200 Artikel beigesteuert. Außerdem ist er Verfasser mehrerer erfolgreicher Weinbücher (u. a. „Wein – die grosse Schule“, „Grundkurs Wein“). Er stammt aus Schleswig-Holstein, lebt aber seit fast 40 Jahren in München.

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