Kühl und geschäftsmäßig waren in Österreich am letzten Wochenende nur die Autobahn-Gendarmen, die alles, was fünf Stundenkilometer zu schnell unterwegs war, auf dem Weg in die Hauptstadt gnadenlos abkassierten. Und zwar richtig. Bei Schnitzeln waren die Österreicher schon immer Weltklasse, bei der Verkehrskontrolle sind sie es jetzt auch. Und nach dem Wochenende muss man sagen: Beim Wein spielen die Österreicher ebenfalls ganz oben in der Welt mit, was in diesem Fall erfreulich ist.
Am Wochenende ging die VieVinum über die Bühne, die bedeutendste Messe für österreichische Weine. Alles, was unter den Weinbauern des Landes ein Fünkchen Ehrgeiz und Anspruch hat, präsentiert sich in den Barocksälen der Hofburg mitten im Zentrum der Stadt – fast 500 Weinbau-Betriebe dieses Jahr. Natürlich, nicht alles ist Weltklasse, was sie entkorken. Aber das Beste ist gut genug, um sich mit Franzosen, Italienern und Spaniern zu messen. Das wusste man zwar auch schon vor dem Wochenende. Aber nach ihm weiß man es nun besser.
Für 30 Euro Eintritt viel Wein und viel Schmäh
Wein hat immer mit Gefühlen zu tun – Verzeihung für die Plattitüde. Aber nirgendwo wird so viel gelacht, geherzt, umarmt, gebusselt, gefeiert wie in Wien auf der VieVinum. Auch wenn manches Gefühl, das da gezeigt wird, genauso Schmäh ist wie die Geschichten, die erzählt werden – man möchte weder die Geschichten noch die Gefühle missen.
Für so eine hochemotionale Veranstaltung ist die Hofburg, diese prunkvolle, kaiserlich-habsburgische Barockfestung, der richtige Ort: stickig, heiß, eng, schlecht beleuchtet, aber mit feinstem Blattgold versehener Stuck an den Wänden. Die Menschen schieben sich durch die Gänge, probieren Hintern an Hintern, ratschen, versuchen Notizen zu machen, manche saufen. Für 30 Euro für die Tageskarte möchte man schließlich einen Gegenwert.
Die Rotweine des 2009er Jahrgangs – Weltklasse
Für mich ist Österreich in allererster Linie ein Weißweinland. Aber mehr noch haben mich diesmal die Rotweine in den Bann geschlagen. Fangen wir beim Leithaberg an, jenem Gebiet, das früher Neusiedlersee-Hügelland hieß und wegen seines kühlen Klimas und seiner Schiefer- und Muschelkalkböden zum Anziehungspunkt für Blaufränkisch- und Pinot Noir-Winzer geworden ist. Hans und Christine Nittnaus simpler Blaufränkisch „Edelgrund“ für 7,50 Euro zeigt, dass, wo die Rebsorte hinpasst, auch die einfachen Weine Qualitäten aufweisen, die anderswo schnell das Doppelte kosten: ein sauberer, herrlich kirschfruchtiger Wein, der große Ehre für die Kategorie der unter 10- Euro-Weine einlegt. Nach oben ist das Nittnaus-Sortiment sowieso offen.
Eine Kategorie höher stehen die Weine mit der Bezeichnung Leithaberg DAC. Auch wenn Blaufränkisch nicht immer auf dem Etikett steht, sind die roten Leithaberg-Weine immer zu hundert Prozent aus dieser Sorte gewonnen. Fast jeder Weinbaubetrieb mit Weingärten im Leithagebirge erzeugt diesen Wein. Und in 2009 sind viele dieser Weine gut, verdammt gut.
Prielers roter Leithaberg – verdammt gut
Doch nicht alle leuchten so hell wie die der Geschwister Silvia und Georg Prieler. Dicht gewirkt und doch easy zu trinken, reife Früchte, schwarzer Pfeffer plus das, was heute überall Mineralität genannt wird, in diesem Fall Noten von Bodenkrume, Graphit, wenn man will auch Rote Bete. Dieser Leithaberg Blaufränkisch steht in scharfem Kontrast zu all den alkoholreichen, oft überextrahierten Weinen, wie sie aus Übersee und inzwischen teilweise auch aus Bordeaux kommen. Sicher, man kann diesen Wein noch ein paar Jahre liegenlassen. Aber das Schöne ist, dass man ihn auch jetzt schon mit großem Genuss trinken kann. Finde ich (ca. 22 Euro).
Man könnte auch noch über Umathums grandiosen „Joiser Kirschgarten“, über Gernot Heinrichs „Alter Berg“, über Birgit Braunsteins „Felsenstein“ und Andi Kollwentz „Point“ jubeln. Aber eigentlich wollte ich auf einen anderen Winzer zu sprechen kommen, der erst 30 Jahre alt und viel weniger bekannt ist als all die Genannten: Markus Altenburger. Er hat nach Lehrjahren auf Schloss Halbthurn erst vor fünf Jahren das elterliche Weingut in Jois übernommen.
Schon der einfachste Altenburger-Wein ein Knaller
Altenburgers gesamte 2009er Kollektion ist höchst beeindruckend. Ein Knaller sein einfacher Blaufränkisch „Ried Satz“, Jahrgang 2010 bereits, und doch reif und magenschonend (9 Euro). Auf Prieler-Niveau der 2009 Leithaberg rot (25 Euro). Eine Klasse für sich seine beiden 2009er Lagen-Blaufränkisch „Gritschenberg“ (vom Kalk) und „Jungenberg“ (vom Schiefer). Sie werden nur in homöopathischen Dosen erzeugt (unter 1000 Flaschen) und kosten 62 Euro pro Flasche. Aber bei manchen Weinen reicht es, sie einmal im Leben getrunken zu haben. Man vergisst sie sowieso nicht (alle Weine über Weinart.de).
Über die 2009er „Cuvée Altenburger“ schweige ich. In zwei Wochen gibt es mehr über sie, wenn wir die großen österreichischen Rotweincuvées des Jahrgangs 2009 vorstellen. Nur soviel: Durch diesen Wein erst war ich auf Markus Altenburger aufmerksam geworden.
Gesellmann und die Punkte
Neben dem Leithaberg gab es noch anderes „Geniales“ und „Saugutes“, um im ansteckenden Jargon der österreichischen Weinhändler zu bleiben. Etwa Gesellmanns Blaufränkisch Reserve „Creitzer“, ein Wein aus dem mittleren Segment dieses mittelburgenländischen Weinguts. Wenn man diesem Wein schon mindestens 90 Punkte gibt, wie hoch müsste man dann bei seinen Spitzen-Blaufränkisch „hochberc“ und „G“ gehen?
Und Blaufränkisch ist nicht der einzige Wein, mit dem Österreich in 2009 brilliert. Auch die Zweigelts von Christoph Artner aus Carnuntum hinterlassen in den zerebralen Lustzentren der Weintrinker Spuren. Ganz zu schweigen von den zahlreichen Zweigelt-lastigen Cuvées: etwa den Pannobile-Weinen, wobei mir diesmal die Stilistik des herzhaften, vollkommen unverkünstelten Pannobile von Mathias Leitner besonders gut gefallen hat (23 Euro, Weinshop24). Oder die anspruchsvolle Cuvée Zweigelt & More von Feiler-Artinger (21,50 Euro, rotWEISSrot).
Und wo der St. Laurent nicht als alkoholtriefende Reserve konzipiert ist, kann auch er hoch punkten. Nur mit österreichischem Pinot Noir tue ich mich schwer. Es mag die eine oder andere Ausnahme geben (immer wieder wird Paul Achs genannt). Aber die meisten österreichischen Pinots sind – pardon – ein Missverständnis.
Nicht alles glänzt, vieles rumpelt auch
Übrigens klingt – von der despektierlichen Bemerkung über den Pinot Noir mal abgesehen – alles bisher Gesagte so kindlich begeistert, dass bei dem einen oder anderen Leser vielleicht Zweifel an der Erwachsenheit des Autors aufkommen könnten. Doch ich schwöre: Ich habe nicht übertrieben. Die erwähnten Rotweine (und noch viele andere mehr) sind zumindest im Jahrgang 2009 überragend. Das heißt aber nicht, dass alles, was aus Österreich kommt und rot ist und den Jahrgang 2009 auf dem Etikett trägt, die gleiche Begeisterung hervorruft. Manche Weine sind grob, streben auseinander statt zusammen. Einige weisen unangenehme Joghurtnoten auf, andere riechen wie angebrannte Schweinsleber. Wieder andere wirken, obwohl gerade erst gefüllt, schon unfrisch. Und viele Rotweine sind total banal: Schluck und weg.
Auf der Big Austrian Wine Party, zu der die Österreichische Weinmarketing Gesellschaft (ÖWM) am vergangenen Samstag in den Kursalon geladen hatte, waren viele solcher Rumpelweine im Umlauf. Wer wie ich keine Lust hatte, sich am Tresen anzustellen, um sich individuell den Wein seiner Wahl einschenken zulassen, sondern sich am Tisch von den Weinhostessen bedienen ließ, der lief durchaus in Gefahr von solchen Weinen überrumpelt zu werden.
Willi Klinger singt: „Let it sell“
Schön war es trotzdem, und am Ende der Partynacht trat Willi Klinger ans Mikrofon, gelernter Schauspieler und heutiger ÖWM-Chef. Er sang. Den Beatles-Song „Let it be“ etwa, wobei er die berühmten drei Worte abwandelte in „Let it sell“ und den Refrain „whisper words of wisdom“ durch „great Austrian wines“ ersetzte. Passte im Versmaß nicht ganz, aber hatte seinen Charme. Danach kletterten noch Michael Moosbrugger (Schloss Gobelsburg) und „John“ Nittnaus (Hans und Christine Nittnaus) auf die Bühne und rockten am Schlagzeug beziehungsweise am Keyboard und hörten erst auf, als sie sich in Wasser aufzulösen drohten.
Ach so, die Weißweine. Fast hätte ich sie vergessen. Sie waren sogar mehr das Tagesgespräch auf der VieVinum als die Roten. Erstens weil der Jahrgang 2011 ähnlich gut ist wie der 2009er bei den Rotweinen, und zweitens weil ihr guter Ruf schon furchteinflößend weit reicht. Weineinkäufer großer Warenhäuser aus Singapur, Moskau, Tokio, Seoul und Ottawa hatten ihre Abgesandten nach Wien geschickt, um sich ihren Anteil zu sichern.
„Make Space for Austrian Wines“
„Make Space for Austrian Wines“ hörte man bei Ausländern fast überall. Glücklicherweise finden viele Abgesandte dieser fernen Nationen das Mittelmäßige bereits derart „thrilling“, dass sie das wirklich Gute liegen lassen. Österreichs Gastronomie und jener Teil der deutschen, die Wein zu schätzen weiß, werden sich die Hände reiben.
Dass Tement, Knoll, Bründlmayer & Co. in 2011 keine schlechten Weine machen, muss nicht betont werden. Aber hier all die weniger bekannten Winzer und Weingüter aufzuführen, die ebenfalls Hervorragendes anbieten, würde den Rahmen sprengen. Weinkenner.de wird in den nächsten Wochen lieber ein paar wirklich coole Weißweine aus Österreich vorstellen.
Vielleicht werden Sie, lieber Leser, fragen, ob es in unserem Nachbarland nur Gutes (oder wenigstens Mittelmäßiges) und überhaupt nichts Schlechtes gibt. Ich gestehe: Schlechtes habe ich nicht getrunken, obwohl der eine oder andere Wein, den ich mir unvorsichtig zugemutet habe, hart an der Grenze war.
Der neue Trend: maßgeschneiderte Schlichtweine
Was ich aber nicht verschweigen will: Es gibt in Österreich eine wachsende Zahl maßgeschneiderter Schlichtweine, die aus allen in Österreich wachsenden Rebsorten gewonnen und mit lautem Getöse angeboten werden. Sie wurden auf der VieVinum an jeder Ecke ausgeschenkt. Sogar im Foyer der Hofburg entkam man ihnen nicht. An den knallig-bunten Etiketten, die an den Flaschen kleben, hat man noch den meisten Spaß. Doch der Inhalt ist bedrückend: mager, ausdruckslos, leicht bis zur Belanglosigkeit. Dabei natürlich immer knackig-frisch, manchmal sogar noch Reste von Gärungskohlensäure aufweisend. Einige dieser Weinlimonaden sind durch eine leichte Restsüße, andere durch Zugabe einer Aromasorte aufgemotzt. Früher hieß so was G’spritzter. Aber den mischte man sich selbst am Tisch mit Mineralwasser.