Dass man bei der Weinproduktion überhaupt zu tierischen Produkten greift, mag manche Menschen verwundern. Denn Wein wird zu hundert Prozent aus Trauben hergestellt. Aber bevor der Wein auf Flaschen gefüllt wird, muss er „stabil“ gemacht werden. Er muss Hitze und Kälte aushalten können, wie sie beim Transport auftreten können. Er muss Erschütterungen standhalten. Er darf sich auch auf der Flasche nicht eintrüben. Wenn er eingeschenkt wird, soll klar und transparent sein. Aus diesem Grund werden die meisten Weine gefiltert, bevor sie gefüllt werden. Im Filter bleiben alle Schwebeteilchen hängen, die sich im Wein befinden: Weinstein, Hefen, ausgefälltes Tannin. Nach dem Filtern ist der Wein in der Regel optisch klar. Aber chemisch ist er noch nicht stabil. In der Flasche kann er sich trotz Filterung eintrüben.
Um das zu verhindern, muss der Wein „geschönt“ werden. Er muss von jenen unsichtbaren biologisch-organischen Bestandteilen geklärt werden, die sich erst später materialisieren und ihn unansehnlich machen, ja auch zu Geruchs-und Geschmacksfehlern führen können: unsichtbare Eiweißverbindungen, Gerbstoffe, Hefeschlieren.
Der Vorgang, um den es geht: das Schönen
Dieser Schönungsvorgang findet vor dem Filtern statt, und zwar im Fass oder im Edelstahltank, in dem der Wein reift. Er ist relativ einfach durchzuführen: Der Kellermeister rührt ein Schönungsmittel in den Wein ein, das die biologisch-organischen Substanzen elektrolytisch bindet, welche dann als Flocken auf den Boden des Fasses oder des Tanks sinken. Der Wein darüber ist dann chemisch stabil und kann in ein anderes Fass umgepumpt werden, von dem aus er dann in die Flasche kommt.
Diese Schönungsmittel sind den Veganern ein Dorn im Auge. Denn die meisten sind tierischen Ursprungs:
- Kasein: ein Protein, das aus Magermilch gewonnen wird
- Ovoalbumin: ein Protein, das im Eiweiß vorkommt
- Gelatine: ein Protein, das aus Eiweiss, Knochen oder Hufen stammen kann
- Isinglass: ein Protein, das aus der Blase verschiedener Fische gewonnen wird
- Eiklar: aufgeschlagenes Eiweiß
Die Eiweiß-Schönung stammt aus Großmutters Küche
Wenn man streng vegan lebt, sind diese Produkte natürlich tabu – auch wenn sie keine oder kaum Rückstände im Wein hinterlassen. Gesundheitlich sind sie völlig unbedenklich, eben weil sie biologischen und nicht chemisch-synthetischen Ursprungs sind. Es sind probate Mittel, die in der traditionellen Kellerwirtschaft seit Jahrhunderten benutzt werden. Bordeaux-Châteaux klärten ihre Weine bis vor wenigen Jahrzehnten immer, indem sie in jedes Fass ein aufgeschlagenes Eiklar gaben – eine besonders schonende Methode, ihren Wein zu klären. Sie stammt übrigens aus Großmutters Küche, wo in die Fleischbouillon im Topf immer ein Eiweiss eingerührt wurde. Das stockende Eiweiß bindet den Fleischtrub und ließ sich mit dem Schöpfsieb leicht aus dem Topf entfernt. Die Bouillon war danach klar.
Das Schönungsmittel der Wahl ist heute Bentonit
Möchte man einen veganen Wein herstellen, nutzt man als Ersatz für die tierischen Produkte Pflanzenproteine, beispielsweise aus Kartoffelstärke, Erbsen oder Bohnen. Vor allem aber kommt heute Bentonit, eine natürliche Mineralerde (auch als Kaolin bekannt), zum Einsatz – auch bei Weingütern, die gar nicht darauf aus sind, einen veganen Wein zu erzeugen und diesen auch nicht als solchen deklarieren. Fischblase wird schon lange nicht mehr benutzt, Gelatine nur noch selten.
Ein einheitliches Logo für veganen Wein gibt es nicht
Das bedeutet: Auch Weine aus konventionellem Anbau können vegan sein. Umgekehrt gilt: Bio-Weine müssen nicht zwangsläufig vegan sein. Das Bio-Siegel schließt den Verzicht auf tierisches Eiweiß nicht zwangsläufig ein. Es hängt allein vom Winzer ab, wie er im Keller arbeitet und ob er seinen Verzicht auf tierisches Eiweiß nach außen kommuniziert oder nicht. Ein einheitliches europäisches Logo für vegane Weine gibt es bislang nicht. Der Verbraucher erkennt vegane Weine stattdessen an Siegeln, wie sie zum Beispiel die Europäische Vegetarier-Union oder der Vegetarierbund Deutschland verleihen. Von Weiß- über Rosé- bis hin zu Rotweinen reicht das Angebot an veganen Weinen mittlerweile. Auch veganen Sekt erhält man bereits.
Allergiehinweis für Laktose-Allergiker
Die Nachfrage nach veganen Weinen steigt auch, weil viele Milchzucker- Allergiker (Lactose), die gerne Wein trinken möchten, nach veganen Produkten Ausschau halten. Wie oben schon gesagt, werden die ausgeflockten proteinhaltigen Schönungsmittel zwar aus dem Wein entfernt, so dass dieser in der Regel laktosefrei ist. Aber es kann natürlich nicht ausgeschlossen werden, dass kleinste Bestandteile noch im Wein verblieben sind. Deshalb müssen Weine, die mit eiweißhaltigen Schönungsmitteln geklärt wurden, von Gesetz wegen einen Allergiehinweis auf dem Etikett tragen. Die Lactose-Allergie ist zwar weit verbreitet, doch erst eine ausreichend große Menge an Milchzucker ruft allergische Reaktionen hervor. Diese Menge wird bei herkömmlich geschönten Weinen nicht annähernd erreicht. Anders die Milcheiweiß-Allergie: Betroffene reagieren hier schon auf kleinste Mengen. Doch kommt die Milcheiweiß -Allergie sehr selten vor.
Die beste Alternative: gar nicht klären
Die qualitätsbewusstesten Winzer – egal ob Bio oder nicht Bio – sind in den letzten Jahren vermehrt dazu übergegangen, ihre besten Weine, vor allem die roten, überhaupt nicht zu klären und zu filtern. Bei jeder dieser Eingriffe in den werdenden Wein geht nämlich ein kleines Stück Qualität verloren. Außerdem hat sich ein Wein, der beispielsweise drei Jahre im Fass gelegen hat, praktisch von selbst geklärt. Filtern, Klären und Schönen sind Vorgänge, die vor allem für junge Weine wichtig sind, etwa Weißweine, die schon wenige Monate nach der Lese auf den Markt kommen und keine Zeit hatten, sich selbst zu klären. Aber auch da beginnt ein Umdenken bei einigen Winzern, insbesondere bei Naturweinproduzenten. Sie verzichten auf jegliche Eingriffe von außen, weil sie der Meinung sind, dass Trübungen ein Ausweis für die unverfälschte Natur ihres Weins sind – egal ob gereift oder jung.