Beide hatte es erstmal in die Ferne gezogen. Michael, der Jüngere der beiden Brüder, jobbte nach dem Önologiestudium in Oregon und Neuseeland. Johannes, der ältere, begab sich nach der Ausbildung auf Weltreise. Dann trafen sie sich in der Südsteiermark wieder – aber nicht, um sich im „Hotel Mama“ auf dem Hügel einzuquartieren, sondern um etwas zu bewegen.
Aber wie soll das gehen in einer Weingegend, die boomt wie nie zuvor in ihrer mehr als tausendjährigen Geschichte? Und was bewegen in einem Weingut, das solide aufgestellt ist und dessen Weine zu den gesuchtesten in ganz Österreich gehören?
Frischer Wind für die Südsteiermark
„Irgendwas geht immer“, war sich Michael, 26, von Anfang an sicher. Ob er oder Johannes, 28, letztlich die Idee zum Jakobiwein hatten, ist im Nachherein nicht mehr eindeutig zu sagen. Fest steht nur, dass die Idee irgendwann da war: die Idee, „einen ganz anderen Wein“ zu schaffen. Der „leicht und fruchtig, aber höherwertig“ ist, der „frischen Wind in die Steiermark bringt“, der „auch das Ausland begeistern kann“. Das Weingut Gross verkauft bisher 80 Prozent seines Weins in Österreich. Und preiswert sollte der neue Wein auch sein, was in der Steiermark gar nicht so einfach ist, da der große Weindurst der Menschen in der Alpenrepublik die Nachfrage hoch hält.
Im Herbst 2011 wurden dann die ersten Trauben für den neuen Wein gekeltert. Sie kamen von jungen Sauvignon blanc-Stöcken, die noch nicht alt genug waren, um Eingang in Sauvignon „Steirische Klassik“ zu finden, des Vaters Basiswein aus dieser Sorte. Das Resultat, das jetzt in den Regalen steht, ist erfreulich: ein feinwürziger, durchaus stoffiger Wein mit nur 12,5 Vol.% Alkohol, mineralisch-trocken am Gaumen, im Bouquet leicht schotig mit Erbsen-, Paprika- und Zitrusnoten. Ein packender, spannungsreicher Wein, der für 9,50 Euro angeboten wird, um „sofort oder innerhalb von zwei, drei Jahren“ getrunken zu werden.
Vater Alois war einverstanden
Johannes und Michael sehen den Jakobi gar nicht als Sauvignon blanc, obwohl er zu hundert Prozent aus dieser Rebsorte gewonnen ist: „Für uns ist er einfach nur ein typischer südsteirischer Weißwein.“
Deshalb und weil es sein könne, dass ihr Jakobiwein in Zukunft auch mal ein bisschen Weißburgunder enthält, der zweiten wichtigen Rebsorte im Weingut Alois Gross, haben Michael und Johannes auf die Angabe der Rebsorte auf dem Etikett verzichtet. Dem Vater war es Recht. Noch einen Sauvignon blanc nach der „Steirischen Klassik“ und den Lagenweinen „Sulz“ und „Nussberg“ – das wäre nicht gut.
Der Jakobiwein ist eine exzellente Visitenkarte für die Gross-Jungs. Aber jeder Wein braucht eine Geschichte. Die Geschichte des Jakobiweins ist sein Etikett. Und diese Geschichte geht so: Eines Abends saßen Johannes und Michael bei der Großmutter in der Küche. Sie ist 76 Jahre alt, lebt auf dem Weingut und kocht noch immer jeden Tag für die ganze Familie, Angestellte eingeschlossen.
Alter Bauernkalender an der Wand
In der Küche hängt ein alter steirischer Bauernkalender. Er prognostiziert anhand der Stellung der Gestirne den voraussichtlichen Witterungsverlauf und erinnerte die Weinbauern früher jeden Monat an die allfälligen Arbeiten in Weinberg und Keller – wie ein Terminkalender. Das Ganze wurde in Form von Bildchen und Symbolen dargestellt, sodass die Bauern genau wussten, wann der Rebschnitt fällig ist und wann der Wein im Fass umgezogen werden muss. Diesen Kalender konnten folglich auch Analphabeten verstehen – was wichtig war, weil viele Menschen auf dem Land nicht lesen und schreiben konnten.
Der „Mandlkalender“, wie die Steirer sagen, wird noch heute von einem österreichischen Verlagshaus jedes Jahr neu angelegt und gedruckt (Alter Bauernkalender, 19,90 Euro). Er hängt bei vielen Familien an der Wand, obwohl die Menschen inzwischen des Lesens und Schreibens kundig sind. „60 bis 70 Prozent der Wettervorsagen stimmen“, stellt Michael bewundernd fest. Dieser Kalender inspirierte ihn und seinen Bruder zum Etikett des Jakobiweins.
Schwester Veronika entwarf das Etikett
Doch wie die Inspiration umsetzen? An diesem Punkt kommt Veronika ins Spiel, die ältere Schwester der beiden. Sie lebt in Wien, arbeitet in einer Kommunikationsagentur und hat eigentlich mit Wein nichts zu tun. Doch wenn es um Prospekte, Etiketten und die Website des Weingutes geht, steht sie bereit.
Sie nahm den „Mandlkalender“ als Vorlage für das Etikett, änderte ihn jedoch ab. Statt das laufende Jahr vorherzusagen, beschreibt das Jakobi-Etikett, wie das vergangene war: Die 12 Zeilen stehen für die 12 Monate des Jahres, jedes schwarze Dreieck steht für einen Tag im Monat. So kann der Betrachter genau nachvollziehen, wann die Rebe blühte, wann der Regen kam, wann Trauben weich und wann sie geerntet wurden – ohne dass er ein einziges Wort lesen muss. „Uns gefällt das Etikett, weil es auf ein schönes, altes Brauchtum hinweist“, sagt sie.
Der Heilige Jakob ist für das Wetter zuständig
Bleibt schlussendlich die Frage: Woher kommt der Name Jakobiwein? Die Antwort ist einfach: Der Heilige Jakob ist in der Steiermark der Schutzpatron des Wetters, was für Weinbauern, speziell in der wetterwendischen Südsteiermark, nicht ganz unwichtig ist. Noch heute wird der 25. Juli, der Jakobitag, dort gefeiert. Speziell in Ratsch, der Gemeinde, in der das Weingut Alois Gross ansässig ist.
Ratsch veranstaltet an diesem Tag eine Jakobiwanderung. Jeder ist herzlich eingeladen mitzuwandern. Doch Vorsicht: Die Wanderstrecke ist nicht nicht lang, aber für Ungeübte möglicherweise beschwerlicher als der Jakobsweg. Denn sie geht über elf Stationen, und bei jeder Station wird getrunken und deftig gegessen. Es beginnt um 11 Uhr mit Sterz und Pilzsuppe, geht weiter mit hausgemachten Würstchen, einer Brettljause, dann Backhendl, Eierspeisen, Kuchen, Schinkenbrot, Handkäse, wieder Aufstrichbrot. Die genaue kulinarische Route kann auf der Website der Gemeinde Ratsch eingesehen werden. Das Finale ist abends um 18 Uhr. Dann wird der Klapotetz aufgestellt, das hölzerne Windrad, Symbol der Südsteiermark. Sein Klappern soll die Vögel vertreiben. Dazu gibt es Spanferkel – wer noch kann.
Übrigens: Alois Gross und seine Jungs werden mitlaufen. Ob sie am Ende noch die Kraft haben, beim Aufstellen des Klapotetz mitzuhelfen, wird sich zeigen.
Der Wein
[printWeinTabelle]Bezugsquellen: siehe Weinprofil 2011 Jakobiwein