Wer heute nicht schlechter trinken will als letztes Jahr, muss bei der Suche nach guten 2010ern doppelt vorsichtig sein. Die Rotweine werden keine Begeisterung auslösen. Fruchtige und edelsüße Weine sind dafür besser denn je. Bei den trockenen Weißweinen gibt es wider alle Unkenrufe die eine oder andere Überraschung – besonders beim Grauburgunder. Er hat vom schwierigen Jahrgang profitiert. Beispiel gefällig? Jens Priewe hat eines.
Nie war der Grauburgunder so weit weg vom Ruländer wie im Jahr 2010. Dieser goldgelbe, selten ganz trockene, meist behäbige und krass spießige Wein, der so aktuell ist wie Hawaii-Toast zum Frühstück und Strukturtapete im Wohnzimmer – diesen Ruländer hat die Natur 2010 nicht zugelassen. Die feucht-kühle Witterung hat verhindert, dass die Öchsle nach oben und die Säure in den Keller gingen. „2010 war der ideale Grauburgunder-Jahrgang“, sagt Martin Schmidt, Inhaber des Weinguts Friedrich Kiefer in Eichstetten am Kaiserstuhl.
Das Wort gilt zumindest für jene Weintrinker, die lieber abstinent bleiben, als Ruländer zu trinken. Zum besseren Verständnis für alle Nicht-Badener: Ruländer ist zunächst einmal nur ein anderer Namen für die Sorte Grauburgunder. Ruländer steht aber auch für einen Weinstil: den fetten, plumpen, manchmal noch restsüßen Grauburgunder-Wein, der in den 1960er Jahren aufkam als schlechte Kopie des Elsässer Pinot Gris. Heute ist dieser Weintyp obsolet. Trotzdem wird er noch immer produziert, vor allem in Baden, auch in der Pfalz – und das in nicht geringen Mengen. Kaum eine Genossenschaft möchte die betagte Kundschaft, die sich ihr Leben lang vom Ruländer beglücken ließ, verschrecken und sie mit einem nervigen, spritzigen Grauburgunder verärgern. Viele Privatgüter denken ebenso. In den Regalen der Lebensmittelketten und Supermärkte ist der Ruländer darum ein Dauerseller.
Grauburgunder – körperreichster deutscher Weißwein
Doch 2010 war ein Jahr, das es den Winzern schwer machte, einen Grauburgunder vom Typ Ruländer zu erzeugen. Zu hoch sind die Säuren, zu gering waren das Mostgewichte. Dadurch ist der Grauburgunder – tendenziell der einzige körperreiche Weißwein, den es in Deutschland gibt – zwar nicht ganz so stoffig wie sonst, aber dafür von einer lebendigen, kitzeligen Säure geädert. Wer aus Panik nicht zu früh gelesen, sondern gewartet hat, freut sich jetzt über herrlich saftige, spannungsreiche Weine, die zum Interessantesten gehören, was der Jahrgang 2010 hervorgebracht hat.
Martin Schmidt hat mehrere Grauburgunder dieses Typs geerntet. Einen süffigen Literwein, eine hochmineralische Spätlese („Tradition“), einen im Barrique vergorenen, mit Mini-Erträgen erzeugten Öko-Grauburgunder („Dreistern“) – und einen extraktreichen Kabinett-Grauburgunder, der zwar relativ leicht (12,5 Vol.%), aber stoffig genug ist, um zur herzhaften badischen Kost genossen zu werden. In der Kategorie der kräftigen, trockenen Grauburgunder belegte er beim diesjährigen Internationalen Grauburgunderpreis den 3. Platz – einer der wenigen prämierten Weine, die unter den Besuchern, die im Juni zur öffentlichen Präsentation in den Endinger Bürgersaal gekommen waren, kein Kopfschütteln auslösten.
Das Weingut Friedrich Kiefer ist Teil einer Erzeugergemeinschaft von 40 Familien mit insgesamt 92 Hektar Rebfläche.