Weine aus Übersee haben in Europa einen gespaltenen Ruf. Einerseits gelten sie als Kopien europäischer Weine – und häufig kommerzielle Kopien. Andererseits schmecken sie vielen Weintrinkern verdammt gut. Richtig ist, dass die einfachen Rebsortenweine – egal aus welcher überseeischen Region sie kommen – ziemlich mainstreamig sind: Produkte einer Weinindustrie, aus zusammengekauften Trauben erzeugt, in großer Menge produziert und als Markenweine weltweit distribuiert. Der Supermarkt lässt grüßen.
Das Paris Judgement lässt grüßen
Daneben hat sich in den überseeischen Ländern aber längst eine Weinindustrie etabliert, die den Fokus auf Premium-, Superpremium- und Ultrapremium-Weine legt. Deren Erzeugnisse sind rar, teuer und genauso luxuriös wie europäische Spitzenweine. Sie können auf Augenhöhe mit den großen Gewächsen aus Frankreich, Spanien und Italien sein. Manchmal übersteigen sie diese sogar. Das berühmte Paris Judgement von 1976 ist noch in guter Erinnerung, als französische Spitzenweine in einer Blindprobe gegen kalifornische Cabernet Sauvignons beziehungsweise Chardonnays gestellt wurden und in beiden Kategorien ein Kalifornier den ersten Platz belegte. Übrigens bestand die Jury damals überwiegend aus Franzosen.
Anderes Klima, andere Böden
Allerdings muss man wissen, dass Weine aus Übersee ein anderes Aromenprofil haben als ihre europäischen Pendants – auch wenn sie aus den gleichen Rebsorten gewonnen werden. Sie sind weder im atlantisch-kühlen Klima Bordeaux’ gewachsen noch im milden mediterranen Klima, sondern in Regionen, die durchweg wärmer sind und andere (durchweg saurere) Böden als in Europa aufweisen. Handwerklich sind diese Spitzenweine allerdings mit dem gleichen Aufwand erzeugt wie in Europa.
Die Auswahl der Weine ist zufällig. Die Flaschen habe ich von den Produzenten bekommen. Sie lagen seitdem kühl und dunkel. Der Zustand, in dem sich ihr Inhalt befand, zeigt, dass sich zumindest die Ultrapremium-Weine je nach Jahrgang, Herkunft und Rebsorte, zehn, 20 oder mehr Jahre auf der Flasche verfeinern.
Die nachverkosteten Weine
1998 The Dead Arm Shiraz | d’Arenberg (Australien)
Einer der Signature-Shiraz Australiens, aus dem McLaren Vale südlich von Adelaide kommend: schon leicht aufgehellt am Rand, Bouquet von Trockenpflaumen und Kaffee, am Gaumen leicht schokoladig, locker gewoben und etwas flatterig: deutlich gereifter Wein, der seinen Höhepunkt wohl gerade überschritten hat, leicht alkoholisch im Finale, trotzdem noch mit Genuss zu trinken (junge Jahrgänge zwischen 38 und 45 Euro; www.vineshop24.de, www.koelner-weinkeller.de, www.weinwerk.de u.a.).
Bewertung: 90 Punkte
1998 Coppermine Road Cabernet Sauvignon | d’Arenberg (Australien)
Vielleicht nicht der Top-Cabernet Sauvignon Australiens, aber einer der sehr guten, der sich in der ganzen Welt großer Beliebtheit erfreut. Nach 16 Jahren noch in erstaunlich guter Verfassung: dunkel in der Farbe, erdig-süß in der Nase mit frischen Gooseberry- und Cassis-Noten, dazu eine kräftige Würze mit Eukalyptus-Einschlag: sehr fest, powerful, fleischig und lang. Jetzt in wunderbarer Trinkreife, wäre aber auch vor fünf Jahren gut, vielleicht sogar noch besser zu trinken gewesen. (junge Jahrgänge zwischen 35 und 40 Euro, www.koelner-weinkeller.de, www.australian-wines.de u.a.).
Bewertung: 92 Punkte
1997 Seña | Edoardo Chadwick / Robert Mondavi (Chile)
Der dritte Jahrgang dieses chilenisch/kalifornischen Joint Ventures, das seinerzeit Schlagzeilen machte und noch heute Schlagzeilen macht: Segna war der erste Ultra-Premium-Wein Chiles. Er wächst auf 42 Hektar im kühlen Aconcagua Valley nordwestlich von Santiago de Chile. 2004 verwies der 2001er Seña im berühmten „Berlin Tasting“ (bei dem ich dabei sein durfte) den 2000er Lafite sowie die 2000er Margaux und 2000er Latour auf die Plätze. Das Tasting wurde in vielen Orten der Welt wiederholt, und immer schnitt der Wein hervorragend ab. Der 1997er besteht aus 84% Cabernet Sauvignon und 16% Carmenère (heute enthält er auch Merlot, Cabernet franc, Petit Verdot). Der 1997er zeigt sich gut gereift, aber noch lange nicht am Ende seines Lebens: herrlich duftige Nase mit viel Cassis, Bitterschokolade, Steinmehl, Portweinnoten, dicht gewoben mit immer noch straffem Tannin. In Deutschland ist der Wein nur noch selten zu finden, was auch daran liegt, dass Robert Mondavi aus dem Joint Venture ausgestiegen ist und Edoardo Chadwick den Wein in eigener Regie erzeugt (89 Euro, www.bacchus-vinothek.com).
Bewertung: 93 Punkte
1996 Almaviva | Mouton-Rothschild / Concha y Toro (Chile)
Erster Jahrgang dieses spektakulären französisch/chilenischen Joint Ventures – mit beeindruckendem Resultat. Die Farbe tendiert schon ins Granatrote, in der Nase dominieren Bordeaux-Aromen: schwarzer Pfeffer, Zedernholz, Trockenpilze, dazu süße Konfitürenoten und ein Hauch von Minze, alles sehr delikat und hochfein. Der Wein wirkt europäisch, obwohl er zu hundert Prozent in Puente Alto südlich von Santiago de Chile (im Weinbaugebiet Maipo) gewachsen ist (75% Cabernet Sauvignon, 19% Carmenère, 6% Cabernet franc). Er durchschreitet gerade die erste Reifephase und ist infolgedessen jetzt mit großem Genuß zu trinken. Leider dürften die meisten Flaschen mittlerweile ausgetrunken sein. Übrigens: Die jungen Jahrgänge enthalten noch ein paar Prozent Merlot. Heutiger Preis: um 100 Euro (www.weinwolf.de).
Bewertung: 94 Punkte
1996 The Octavius Barossa Old Vine Shiraz | Yalumba (Australien)
Einer der ganz großen Shiraz-Weine Australiens – und doch relativ unbekannt, vor allem in Deutschland. Er kommt von alten und uralten Rebstöcken aus dem warmen Barossa Valley, wo wuchtige, alkoholreiche Weine aus dieser Sorte gewonnen werden. Produziert wird dieser Wein seit 1990 – aber nur in guten Jahren. 1996 war einer der größten Jahrgänge überhaupt. Das spiegelt dieser Wein auch heute wieder: tintenschwarz in der Farbe mit vielschichtigen Aromen von frischen und gedörrten Pflaumen, Kirschkonfitüre, Teer, schwarzem Pfeffer und dunkler Schokolade, dazu das röstige, zimtige Holz vom Ausbau in kleinen 100 Liter-Fässern (den sog. Ocativius barrels). Lange Zeit war The Ocativius wegen seines intensiven Neuholzgeschmacks untrinkbar. Jetzt präsentiert er sich wie aus einem Guss: opulent mit festem Kern, punktgenau am Gaumen landend, softes Tannin, spektakuläres Finale: Shiraz at its best (89 Euro; www.bremer-weinkolleg.de).
Bewertung: 95 Punkte
1991 Dominus Red Wine | Dominus Estate (Kalifornien)
Der Dominus gehört ohne Zweifel zu den berühmtesten Rotweinen des Napa Valley. Der Jahrgang 1991 war der erste, der mit dem neuen Etikett und ohne das Konterfei von Christian Moueix erschien. Er läutete nach den zahlreichen Irrungen und Wirrungen, mit denen der Pétrus-Besitzer in den ersten Jahren seines Engagements in Napa Valley zu kämpfen hatte, die neue Ära der Dominus-Weine ein. Die Flasche, deren Inhalt ich verkostet habe, enthielt einen wunderbaren Wein: seidig-fein und doch reich, aromentief und doch feinziseliert, leicht malzig, aber gleichzeitig noch mit frischen Cassisnoten, dazu eine mitreißende karamellig-kräuterige Würze, eine hohe Extraktsüße und eine gute Konzentration (80% Cabernet Sauvignon, 19% Cabernet franc, 1% Petit Verdot). Kurz: ein uneingeschränkt großer Wein aus Moueix’ Napanook Vineyard in Yountville, der noch nicht am Ende seines Lebenszyklus angekommen ist. Verwirrt fragt man sich beim Genuss dieses edlen Tropfens, warum nicht alle Bordeaux’ der gleichen Preis- und Alterskategorie mit ähnlicher Klasse aufwarten (junge Jahrgänge zwischen 130 und 330 Euro, www.weinemotionen.de).
Bewertung: 99 Punkte