Thomas Hertlein: der Mann, der den Wein liebt

Thomas Hertlein sieht aus wie eine Mischung aus Rocker und Heiligem: Vollbart, Wollmütze, lange Haare. Harley fährt er auch. Doch sein Thema ist der Wein. Er war der Wirt des legendären Münchener Weinlokals „Blaue Donau“. Jetzt hat er ein Buch geschrieben. Patrick Hemminger hat es gelesen.

Für jeman­den, der sich gut aus­kennt, sagt Hertlein ziem­lich oft, dass er etwas nicht weiß. Etwa ob Wein aus Magnum­fla­schen wirk­lich bes­ser schmeckt. „Weiß ich nicht“, sagt der Selfmade-Sommelier. 99 Pro­zent aller Wein­kun­di­gen wür­den erzäh­len, was sie irgend­wann mal irgend­wo gehört haben. Aber stimmt es?

Ein Buch gegen die neunmalklugen Weinexperten

Die­se Offen­heit und Ehr­lich­keit sind erfri­schend in einer Sze­ne, in der es von Neun­mal­klu­gen und selbst ernann­ten Exper­ten nur so wim­melt. Auf eini­ge mag die­se Offen­heit arro­gant wir­ken. Aber Hertlein kann nicht anders. „Ich mein’s ja nicht bös’“, sagt er. „Ich red’ halt ein­fach.“ Er ist über 40, vor kur­zem Vater gewor­den und mag sich ein­fach nicht mehr auf­re­gen. Vie­le Jah­re hat er ver­sucht, Men­schen beim Wein zu mis­sio­nie­ren, von sei­nen Ansich­ten zu über­zeu­gen. Heu­te sagt er: „Man muss die ande­ren lassen.“

Buchcover
Buch­co­ver

So ganz gelingt ihm das aber dann doch nicht, und des­halb hat er ein Buch geschrie­ben. „Rei­ner Wein – Ein­ge­schenkt vom Wein­hei­li­gen“ heißt es und ist auf knapp 180 Sei­ten eine Anlei­tung zum Aus­pro­bie­ren, zur Freu­de am Wein. Und dazu, kei­ner Bewer­tung soge­nann­ter Exper­ten zu glau­ben, son­dern sich dem The­ma Wein unver­krampft zu nähern. Nur wenn es um Lage­rung, Tem­pe­ra­tur, Glä­ser geht – da ist Hertlein ein Pedant.

Er beschreibt sich selbst als “old school”

Wir tref­fen uns in einem Café in der Mün­che­ner Innen­stadt. Um uns her­um sit­zen haupt­säch­lich alte Damen mit Hut. Die Kuchen- und Tor­ten­stü­cke sind rie­sig. Auf dem Tisch lie­gen Hand­ta­schen statt Han­dys. Ein Ort, der nicht ganz Schritt gehal­ten hat mit der schnel­len Welt von heu­te. Ein biss­chen trifft das auch auf Hertlein zu, der sich selbst als old school beschreibt, obwohl er gera­de erst die 40 über­schrit­ten hat. Man­che Din­ge die­ser smar­ten Welt ver­steht er ein­fach nicht. Von Insta­gram spricht er nur als „Insta­g­ram­schei­ße“, die die Leu­te kaputt mache: „Sie haben kei­ne Selbst­wahr­neh­mung mehr.“ Oder die Mädels, die sich ihre Lip­pen auf­sprit­zen, kaum dass sie dem Jugendlichen-Alter ent­wach­sen sind: „Frü­her, da haben die jun­gen Frau­en Cham­pa­gner getrun­ken …“ Viel­leicht, grü­belt er, soll­ten ihnen die Män­ner öfter mal einen Scham­pus spen­die­ren statt einen Pro­sec­co – „den dann aber bit­te in gro­ßen Glä­sern ser­vie­ren lassen“.

Er jagte jedem 100-Punkte-Wein nach

Vor ein paar Jah­ren hät­te er das gemacht. Da war er der Chef eines legen­dä­ren Wein­kel­lers in Schwa­bing, den jeder ambi­tio­nier­te Wein­trin­ker in der baye­ri­schen Lan­des­haupt­stadt kann­te. „Blaue Donau“ hieß das Lokal. Die Gas­tro­zeit­schrift Fal­staff hat­te das Lokal sogar mit 20 von 20 mög­li­chen Punk­ten bewer­tet. Doch mit den Punk­ten hat­te Hertlein da schon ein Pro­blem. Wie ein Getrie­be­ner jag­te er jedem 100-Punkte-Wein nach, den er krie­gen konn­te. Er woll­te für sei­ne Gäs­te das Bes­te – für sich auch. Doch die Sen­sa­tio­nen blie­ben immer häu­fi­ger aus, zumin­dest bei ihm. „Mei­ne Sen­so­rik war irgend­wann total kaputt, weil ich immer nur gei­les Zeug getrun­ken habe.“ Kein Ver­gleich mehr mit dem ers­ten gro­ßen Wein, der sein Leben ver­än­dert hat­te: ein Châ­teau Pichon-Longueville-Comtesse de Lal­an­de, Jahr­gang 1982*. „Das war, wie wenn du als Kind beim Advents­ka­len­der alle 24 Tür­chen auf ein­mal auf­ma­chen darfst“, erin­nert er sich.

* Der 1982er Pich­on Lal­an­de wird (zusam­men mit ande­ren 1982er Bor­deaux wie Latour, Léoville-Las-Cases, Mar­gaux, Haut-Brion) am 12. Mai 2017 im Rah­men eines Rare Bot­t­le Sha­ring in Mün­chen ein­ma­lig zur Ver­kos­tung ange­bo­ten. Preis: 720 Euro. Anmel­dung bei www.garibaldi.de

Er erkannte, dass er Wein nicht notwendig brauchte

Und dann starb plötz­lich ein guter Freund von ihm. Hertlein begann, sich die Fra­ge nach dem Sinn des Lebens zu stel­len. Er beschloss, die „Blaue Donau“ zuzu­sper­ren und mit sei­ner Frau auf Rei­sen zu gehen, zwei Jah­re lang, in die gan­ze Welt. „Unter­wegs hab ich raus­ge­fun­den, dass ich zuhau­se eigent­lich ziem­lich glück­lich war“, erkann­te er. Ihm wur­de auch klar, dass er Wein zwar liebt, ihn aber nicht not­wen­dig braucht. Wäh­rend sei­ner Welt­rei­se hat­te er wenig getrun­ken. Erst als er zurück­ge­kehrt war, näher­te er sich dem Wein wie­der an. Spaß und Sen­so­rik kamen zurück. Und noch etwas war pas­siert: Sei­ne Frau erwar­te­te ein Kind.

Thomas Hertlein | ©Florian Roser
Tho­mas Hertlein | ©Flo­ri­an Roser

Er beschloss, das Buch zu schrei­ben, und zwar vor der Geburt sei­ner Toch­ter. Schrei­ben? Hertlein winkt ab. Zwar steht sein Name auf dem Buch­um­schlag. Aber er hat­te beim Schrei­ben Hil­fe vom Ver­lag, das war sei­ne Bedin­gung. „Ich hab’ denen gesagt, wenn ich das mache, wird’s eine Katastrophe.“

Jetzt organisiert er Weinproben

Auf der ers­ten Sei­te des Buches steht: „Für Fri­da Marie – In 20 Jah­ren trin­ken wir zusam­men eine gute Fla­sche. Ich freue mich dar­auf. So wie auf die 20 Jah­re dazwi­schen.“ War’s das mit dem Wein?  Nicht ganz. Er grün­de­te die „Wein­werk­stadt“. Das sind Wein­pro­ben, die an ver­schie­de­nen Orten statt­fin­den. Wer teil­neh­men mag, zahlt 150 Euro und bekommt drei Tage vor­her eine Mail mit dem Ort, an dem sie statt­fin­det. Es gibt etwas zu essen und eini­ge alte, von Hertlein per­fekt gepfleg­te Weine.

Wer sich erst­mal in Ruhe an das The­ma Wein her­an­tas­ten möch­te, dem emp­fiehlt er einen kräf­ti­gen Grü­nen Velt­li­ner und ein gro­ßes Glas, um ihn dar­aus zu trin­ken. “Ich sag immer, Velt­li­ner ist Bier mit All­rad. Der schmeckt jedem, hat aber mehr Alko­hol, schiebt mehr.“ Mit einem Grin­sen erzählt er dann ger­ne von den Men­schen, die er im posi­ti­ven Sin­ne ver­dor­ben hat, frü­her in der „Blau­en Donau“. Da kam es ab und an mal vor, dass von einer Wein­pro­be ein Schlück­chen von einem rich­tig gro­ßen Wein übrig geblie­ben war, etwa einem Châ­teau Latour aus dem Jahr 1990. „Da hab ich am nächs­ten Tag den Leu­ten ein­fach mal so ein Glas hin­ge­scho­ben und habe sie pro­bie­ren las­sen.“ Und wenn sich die Augen vor Stau­nen ungläu­big wei­te­ten, sag­te er: „Siehst Du, jetzt weißt Du, was ich meine …“


Tho­mas Hertlein: Rei­ner Wein – ein­ge­schenkt vom „Wein­hei­li­gen“
Riva Ver­lag, 170 Seiten
17,99 Euro


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