Dienstag, September 10, 2024
17.5 C
München
spot_img

Thomas Hertlein: der Mann, der den Wein liebt

Für jemanden, der sich gut auskennt, sagt Hertlein ziemlich oft, dass er etwas nicht weiß. Etwa ob Wein aus Magnumflaschen wirklich besser schmeckt. „Weiß ich nicht“, sagt der Selfmade-Sommelier. 99 Prozent aller Weinkundigen würden erzählen, was sie irgendwann mal irgendwo gehört haben. Aber stimmt es?

Ein Buch gegen die neunmalklugen Weinexperten

Diese Offenheit und Ehrlichkeit sind erfrischend in einer Szene, in der es von Neunmalklugen und selbst ernannten Experten nur so wimmelt. Auf einige mag diese Offenheit arrogant wirken. Aber Hertlein kann nicht anders. „Ich mein’s ja nicht bös’“, sagt er. „Ich red’ halt einfach.“ Er ist über 40, vor kurzem Vater geworden und mag sich einfach nicht mehr aufregen. Viele Jahre hat er versucht, Menschen beim Wein zu missionieren, von seinen Ansichten zu überzeugen. Heute sagt er: „Man muss die anderen lassen.“

Buchcover
Buchcover

So ganz gelingt ihm das aber dann doch nicht, und deshalb hat er ein Buch geschrieben. „Reiner Wein – Eingeschenkt vom Weinheiligen“ heißt es und ist auf knapp 180 Seiten eine Anleitung zum Ausprobieren, zur Freude am Wein. Und dazu, keiner Bewertung sogenannter Experten zu glauben, sondern sich dem Thema Wein unverkrampft zu nähern. Nur wenn es um Lagerung, Temperatur, Gläser geht – da ist Hertlein ein Pedant.

Er beschreibt sich selbst als „old school“

Wir treffen uns in einem Café in der Münchener Innenstadt. Um uns herum sitzen hauptsächlich alte Damen mit Hut. Die Kuchen- und Tortenstücke sind riesig. Auf dem Tisch liegen Handtaschen statt Handys. Ein Ort, der nicht ganz Schritt gehalten hat mit der schnellen Welt von heute. Ein bisschen trifft das auch auf Hertlein zu, der sich selbst als old school beschreibt, obwohl er gerade erst die 40 überschritten hat. Manche Dinge dieser smarten Welt versteht er einfach nicht. Von Instagram spricht er nur als „Instagramscheiße“, die die Leute kaputt mache: „Sie haben keine Selbstwahrnehmung mehr.“ Oder die Mädels, die sich ihre Lippen aufspritzen, kaum dass sie dem Jugendlichen-Alter entwachsen sind: „Früher, da haben die jungen Frauen Champagner getrunken …“ Vielleicht, grübelt er, sollten ihnen die Männer öfter mal einen Schampus spendieren statt einen Prosecco – „den dann aber bitte in großen Gläsern servieren lassen“.

Er jagte jedem 100-Punkte-Wein nach

Vor ein paar Jahren hätte er das gemacht. Da war er der Chef eines legendären Weinkellers in Schwabing, den jeder ambitionierte Weintrinker in der bayerischen Landeshauptstadt kannte. „Blaue Donau“ hieß das Lokal. Die Gastrozeitschrift Falstaff hatte das Lokal sogar mit 20 von 20 möglichen Punkten bewertet. Doch mit den Punkten hatte Hertlein da schon ein Problem. Wie ein Getriebener jagte er jedem 100-Punkte-Wein nach, den er kriegen konnte. Er wollte für seine Gäste das Beste – für sich auch. Doch die Sensationen blieben immer häufiger aus, zumindest bei ihm. „Meine Sensorik war irgendwann total kaputt, weil ich immer nur geiles Zeug getrunken habe.“ Kein Vergleich mehr mit dem ersten großen Wein, der sein Leben verändert hatte: ein Château Pichon-Longueville-Comtesse de Lalande, Jahrgang 1982*. „Das war, wie wenn du als Kind beim Adventskalender alle 24 Türchen auf einmal aufmachen darfst“, erinnert er sich.

* Der 1982er Pichon Lalande wird (zusammen mit anderen 1982er Bordeaux wie Latour, Léoville-Las-Cases, Margaux, Haut-Brion) am 12. Mai 2017 im Rahmen eines Rare Bottle Sharing in München einmalig zur Verkostung angeboten. Preis: 720 Euro. Anmeldung bei www.garibaldi.de

Er erkannte, dass er Wein nicht notwendig brauchte

Und dann starb plötzlich ein guter Freund von ihm. Hertlein begann, sich die Frage nach dem Sinn des Lebens zu stellen. Er beschloss, die „Blaue Donau“ zuzusperren und mit seiner Frau auf Reisen zu gehen, zwei Jahre lang, in die ganze Welt. „Unterwegs hab ich rausgefunden, dass ich zuhause eigentlich ziemlich glücklich war“, erkannte er. Ihm wurde auch klar, dass er Wein zwar liebt, ihn aber nicht notwendig braucht. Während seiner Weltreise hatte er wenig getrunken. Erst als er zurückgekehrt war, näherte er sich dem Wein wieder an. Spaß und Sensorik kamen zurück. Und noch etwas war passiert: Seine Frau erwartete ein Kind.

Thomas Hertlein | ©Florian Roser
Thomas Hertlein | ©Florian Roser

Er beschloss, das Buch zu schreiben, und zwar vor der Geburt seiner Tochter. Schreiben? Hertlein winkt ab. Zwar steht sein Name auf dem Buchumschlag. Aber er hatte beim Schreiben Hilfe vom Verlag, das war seine Bedingung. „Ich hab’ denen gesagt, wenn ich das mache, wird’s eine Katastrophe.“

Jetzt organisiert er Weinproben

Auf der ersten Seite des Buches steht: „Für Frida Marie – In 20 Jahren trinken wir zusammen eine gute Flasche. Ich freue mich darauf. So wie auf die 20 Jahre dazwischen.“ War’s das mit dem Wein?  Nicht ganz. Er gründete die „Weinwerkstadt“. Das sind Weinproben, die an verschiedenen Orten stattfinden. Wer teilnehmen mag, zahlt 150 Euro und bekommt drei Tage vorher eine Mail mit dem Ort, an dem sie stattfindet. Es gibt etwas zu essen und einige alte, von Hertlein perfekt gepflegte Weine.

Wer sich erstmal in Ruhe an das Thema Wein herantasten möchte, dem empfiehlt er einen kräftigen Grünen Veltliner und ein großes Glas, um ihn daraus zu trinken. „Ich sag immer, Veltliner ist Bier mit Allrad. Der schmeckt jedem, hat aber mehr Alkohol, schiebt mehr.“ Mit einem Grinsen erzählt er dann gerne von den Menschen, die er im positiven Sinne verdorben hat, früher in der „Blauen Donau“. Da kam es ab und an mal vor, dass von einer Weinprobe ein Schlückchen von einem richtig großen Wein übrig geblieben war, etwa einem Château Latour aus dem Jahr 1990. „Da hab ich am nächsten Tag den Leuten einfach mal so ein Glas hingeschoben und habe sie probieren lassen.“ Und wenn sich die Augen vor Staunen ungläubig weiteten, sagte er: „Siehst Du, jetzt weißt Du, was ich meine …“


Thomas Hertlein: Reiner Wein – eingeschenkt vom „Weinheiligen“
Riva Verlag, 170 Seiten
17,99 Euro


Vorheriger Artikel
Nächster Artikel
- Anzeige -spot_img

1 Kommentar

- Anzeige -spot_img

Autor

Jens Priewe
Jens Priewe hat viele Jahre als Politik- und Wirtschaftsjournalist gearbeitet, bevor er auf das Thema Wein umsattelte. Er schreibt Kolumnen für den Feinschmecker und für das schweizerische Weinmagazin Merum. Für den Weinkenner, dessen Gesellschafter er ist, hat er seit der Gründung über 200 Artikel beigesteuert. Außerdem ist er Verfasser mehrerer erfolgreicher Weinbücher (u. a. „Wein – die grosse Schule“, „Grundkurs Wein“). Er stammt aus Schleswig-Holstein, lebt aber seit fast 40 Jahren in München.

Must know

- Anzeige -spot_img

Ähnliche Artikel

- Anzeige -spot_img