Thierry Manoncourt wurde 1917 geboren und wuchs in Paris auf. Nach Ende des zweiten Weltkrieges, den er zeitweise in deutscher Kriegsgefangenschaft verbringen musste, studierte er Agrarwissenschaften, übersiedelte nach St. Émilion und verschrieb sich ganz und gar der Leitung des seit 1892 im Besitz seiner Familie befindlichen Weinguts. Seitdem er im Spitzenjahr 1947 Figeac übernommen hatte, war Manoncourt für über vierzig Jahrgänge des Premier Grand Cru Classé „B“ verantwortlich, bevor er im Jahr 1988 die Leitung der Tagesgeschäfte an seinen Schwiegersohn Éric d’Aramon übergab. Doch auch danach blieb der hoch aufgeschossene, hagere, aristokratische Manoncourt als stiller Lenker auf dem Weingut präsent.
Manoncourts Verdienste um Château Figeac haben ihm unter Kennern einen schon zu Lebzeiten nahezu legendären Ruf eingetragen. Manoncourt hielt am Figeac-Stil fest, auch als ihm von einem Teil der Weinkritik heftiger Gegenwind ins Gesicht zu wehen begann. Denn die Weine von Figeac probieren sich in der Jugend oft abweisend und rau, zuweilen weisen sie fast rustikale Züge auf, ehe sie sich im Verlauf der Flaschenreife wundersam verfeinern. Doch Manoncourt weigerte sich, die Eigenschaft der jugendlichen Härte des Weins, die auf den Boden des Guts und dessen ungewöhnlichen Sortenspiegel zurückgeht, mit kellertechnischen Mitteln zu überschminken. Château Figeac teilt mit seinem (höher klassifizierten) Nachbarn Château Cheval Blanc die Eigenschaft, auf einer Kiesbank zu liegen. Durch diese fürs rechte Ufer Bordeaux‘ ungewöhnliche Bodenbeschaffenheit unterscheiden sich diese beiden Spitzengewächse von allen anderen Weinen St. Émilions (die auf Sand, Mergel oder Kalkstein wachsen). Mit stoischer Ruhe ertrug Manoncourt alle Polemiken und nahm auch von jeder Änderung am Sortenspiegel Abstand: Kein Weingut in St. Émilion kultiviert weniger Merlot. Auf Figeac teilen sich Merlot, Cabernet Franc und Cabernet Sauvignon etwa je zu einem Drittel die Rebfläche.
Lediglich eine Sache war Manoncourt bis zuletzt ein Stachel im Fleisch: die Ungleichbehandlung der beiden Nachbarn Figeac und Cheval Blanc in der offiziellen Klassifikation. Figeac ist nur Premier Grand Cru Classé „B“, während Cheval Blanc die Einstufung „A“ in Anspruch nehmen darf. So konnte der ansonsten stets höflich-zurückhaltende, ja liebenswürdige Manoncourt durchaus einen polemischen Unterton anklingen lassen, wenn er von Cheval Blanc als den „Nachbarn auf der anderen Straßenseite“ oder gar „der früheren Meierei Figeacs“ sprach. Tatsächlich waren die Rebflächen Cheval Blancs bis zur Mitte des 19. Jahrhundert ein Teil Figeacs gewesen. Dennoch wurde Manoncourts Ansinnen, ebenfalls in die Stufe Premier Grand Cru Classé „A“ aufgenommen zu werden, bei den routinemäßigen Neufassungen der Klassifikation St. Émilions stets abgelehnt – dies paradoxerweise nicht unter Verweis auf qualitative Gründe, sondern unter Hinweis auf den zu moderaten Preis des Weins.
Thierry Manoncourt hinterlässt ein mustergültig geführtes Weingut mit starker Identität. 63 Jahrgänge tragen seine Handschrift. Und er hinterlässt auch in Deutschland Erinnerungen wie die von den Wine Awards des Jahres 2007, als er von der Zeitschrift Wein Gourmet auf Schloss Bensberg in Bergisch-Gladbach für sein Lebenswerk geehrt wurde. Für ihn war es selbstverständlich, trotz seiner (damals) 89 Jahre persönlich den Wein auszuschenken. Noch bis Mitternacht stand er hinter seinem Probentisch und füllte jedem Gast, der darum bat, großzügig das Glas – mit freundlichen Worten, mit geduldigen Erklärungen, und erkennbar auch mit Freude an dem Genuss, den er anderen Menschen verschaffen konnte.