The Wine Advocate verkauft, Robert Parker bleibt

Robert M. Parker Teaser
Der amerikanische Starkritiker Robert M. Parker hat seinen legendären Newsletter The Wine Advocate nach Singapur verkauft. Entgegen anderslautenden Berichten bleibt der 65-Jährige selbst seinen Lesern jedoch erhalten. Die Frage ist, ob die Leser ihm erhalten bleiben. Jens Priewe glaubt: sie werden. Und der Wine Advocate wird noch mächtiger werden, als er jetzt schon ist.

Robert M. Par­ker hat in einem Gespräch mit dem Wall Street Jour­nal letz­te Woche bestä­tigt, dass er einen „sub­stan­zi­el­len Teil“ sei­nes News­let­ters The Wine Advo­ca­te ver­kauft habe. Also die Mehr­heit. Der Kauf­preis soll bei 15 Mil­lio­nen US-Dollar liegen.

Käu­fer sei­en „drei jun­ge Visio­nä­re“ aus Sin­ga­pur, die aus dem Finanz- bezie­hungs­wei­se IT-Business stam­men. Namen wur­den bis­her nicht genannt. Aber: „Alle drei lie­ben Wein, betrach­ten den Kauf aber auch aus einer geschäft­li­chen Perspektive.“

Par­ker wird als Chef­re­dak­teur des (bis­lang) wer­be­frei­en News­let­ters zurück­tre­ten. Die redak­tio­nel­le und orga­ni­sa­to­ri­sche Ver­ant­wor­tung wird künf­tig Lisa Perrotti-Brown über­neh­men. Par­kers lang­jäh­ri­ge Kor­re­spon­den­tin für Asi­en lebt in Sin­ga­pur am künf­ti­gen Sitz des Wine Advo­ca­te. Sie wird wei­ter­hin über die Wei­ne Aus­tra­li­ens und Neu­see­lands berichten.

Wichtigste Weinpublikation der Welt

The Wine Advocate

Der Ver­kauf des Wine Advo­ca­te kommt nicht über­ra­schend, hat aber in der Wein­welt erheb­li­ches Auf­se­hen erregt. Denn Par­ker ist der ein­fluss­reichs­te Wein­kri­ti­ker der Welt. Kein ande­rer Publi­zist besitzt die Macht, gan­ze Märk­te in die eine oder ande­re Rich­tung zu diri­gie­ren. Die Hoch­preis­po­li­tik der gro­ßen Châ­teaux von Bor­deaux und die Hausse an der Rhô­ne, ins­be­son­de­re bei den Châteauneuf-du-Pape-Weinen, ist maß­geb­lich auf ihn und sei­ne Bewer­tun­gen zurück­zu­füh­ren. Der Wine Advo­ca­te ist somit eine Schlüs­sel­pu­bli­ka­ti­on für Wein in der Welt.

Vor allem in Nord­ame­ri­ka, wo über 75 Pro­zent der ins­ge­samt 50.000 Abon­nen­ten des Wine Advo­ca­te sit­zen, ist sein Ein­fluss groß. In Euro­pa ist sei­ne Akzep­tanz dage­gen gering. Hie­si­ge Wein­trin­ker wer­fen ihm vor, Wei­ne mit „ame­ri­ka­ni­schem Geschmack“ zu bevor­zu­gen. Vie­le Wein­kri­ti­ker nei­den ihm sei­ne Macht. Und Wein­händ­ler füh­len sich von ihm nicht sel­ten bevor­mun­det (obwohl sie kaum eine Gele­gen­heit aus­las­sen, mit Parker-Punkten zu werben).

Ist das Parker-Monopol nun gebrochen?

So kommt es, dass die einen jetzt erleich­tert sind, weil das Parker-Monopol gebro­chen scheint. Ande­re fürch­ten, dass sich in der Nach-Parker-Ära ein rie­si­ges Infor­ma­ti­ons­loch auf­tun werde.

Tat­säch­lich wird es kei­ne Nach-Parker-Ära geben – jeden­falls noch nicht. Der Ame­ri­ka­ner, im letz­ten Som­mer 65 gewor­den, wird wei­ter­hin aktiv und prä­sent sein. Dar­an hat er im Gespräch mit dem Wall­street Jour­nal kei­nen Zwei­fel gelas­sen. Er wird wei­ter­hin die Wei­ne aus Bor­deaux und von der Rhô­ne ver­kos­ten und beur­tei­len. Und er wird als Chair­man der neu­en Gesell­schaft fun­gie­ren. Das heißt: Er wird mit sei­nem Namen für die Glaub­wür­dig­keit aller publi­zis­ti­schen Akti­vi­tä­ten stehen.

Zuletzt Führungsschwäche gezeigt

Dass Par­ker sich aus dem All­tags­ge­schäft zurück­zieht, wird den Wine Advo­ca­te ver­mut­lich eher stär­ken als schwä­chen. Denn in den letz­ten Jah­ren hat es das „Ora­kel von Mary­land“, wie Par­ker sei­nem Wohn­sitz ent­spre­chend genannt wird, an Füh­rungs­stär­ke ver­mis­sen las­sen. Die Anschul­di­gun­gen sei­ner frü­he­ren Mit­ar­bei­te­rin Han­na Ago­s­ti­ni und das Fehl­ver­hal­ten sei­nes Spanien-Testers Jay Mil­ler haben gezeigt, dass er die Kon­trol­le über sein gewach­se­nes Wein­im­pe­ri­um zeit­wei­lig ver­lo­ren hat­te. Zur Infor­ma­ti­on: Par­ker beschäf­tigt fünf freie Mit­ar­bei­ter, die die wich­ti­gen Wein­bau­län­der unter­ein­an­der auf­ge­teilt haben und deren Wei­ne sie regel­mä­ßig verkosten.

Perrotti-Brown hat bereits ange­kün­digt, die Bei­trä­ge der Mit­ar­bei­ter künf­tig „stär­ker zu kon­trol­lie­ren“. Außer­dem soll den Mit­ar­bei­tern ange­bo­ten wer­den, full time-Angestellte zu werden.

Kindles für alle Newsletter-Abonnenten?

Singapur
Sin­ga­pur

Durch den Ein­stieg der neu­en Inves­to­ren wird sich aber noch eini­ges mehr ändern. So wird erwo­gen, die gedruck­te Ver­si­on des Wine Advo­ca­te bis Ende 2013 ein­zu­stel­len. Die Berich­te Par­kers und sei­ner Mit­ar­bei­ter wür­den in die­sem Fall aus­schließ­lich in digi­ta­ler Form ver­brei­tet werden.

Der schon jetzt exis­tie­ren­de digi­ta­le News­let­ter wür­de dann das ein­zi­ge Publi­ka­ti­ons­me­di­um sein. „Viel­leicht wer­den wir all unse­ren Abon­nen­ten Kind­les anbie­ten, um sie mit­zu­neh­men“, mut­maßt Par­ker im Wallstreet-Interview.

Des Wei­te­ren sol­len chi­ne­si­sche, thai­län­di­sche und ande­re asia­ti­sche Wei­ne in die Bericht­erstat­tung auf­ge­nom­men wer­den. Dafür soll ein eige­ner Kor­re­spon­dent ein­ge­stellt werden.

Schließ­lich wird erwo­gen, den Wine Advo­ca­te künf­tig für Wer­bung offen zu hal­ten. Gedacht ist an Wer­bung für Luxus­gü­ter oder Luxus­ho­tels. „Wein­be­zo­ge­ne Wer­bung bleibt tabu“, ver­si­chert Perrotti-Brown.

Heikler Plan: künftig für Werbung offen

Das wird aller­dings nicht ganz ein­fach sein: Denn dann müss­te der Wine Advo­ca­te zum Bei­spiel auch auf die Wer­be­ban­ner der Par­füms von Dior und der Uhren von Tag Heu­er ver­zich­ten. Sie sind Mar­ken des Luxus­gü­ter­kon­zerns LVMH, unter des­sen Dach sich zugleich rund 20 ver­schie­de­ne Wein­mar­ken befin­den: von Moët & Henes­sy über Clou­dy Bay bis zu Châ­teau Che­val Blanc.

Sei­ne Ent­schei­dung, den News­let­ter 34 Jah­re nach der Grün­dung nach Fern­ost zu ver­kau­fen, erklärt der gelern­te Jurist so: „Der asia­ti­sche Markt ist in den letz­ten zehn Jah­ren gereift, und es wäre unrea­lis­tisch anzu­neh­men, er gehör­te nicht dazu.“

Das ist eher vor­sich­tig aus­ge­drückt. Das stärks­te Wachs­tum im Wein­markt wird heu­te in Asi­en gene­riert. Und die Chan­cen, die Abon­nen­ten­zahl sei­nes News­let­ters zu stei­gern, sind in Chi­na und den asia­ti­schen Schwel­len­län­dern zwei­fel­los grö­ßer als im (infor­ma­ti­ons­ge­sät­tig­ten) Ame­ri­ka oder im rück­läu­fi­gen euro­päi­schen Weinmarkt.

Werden die Abonnenten bei der Stange bleiben?

Lisa Perrotti-Brown
Lisa Perrotti-Brown

Die ent­schei­den­de Fra­ge wird ers­tens sein, ob die ame­ri­ka­ni­schen Leser Par­ker treu blei­ben, und zwei­tens, ob es den neu­en Eigen­tü­mern gelingt, die Wein­be­geis­te­rung in den asia­ti­schen Län­dern in kon­kre­te Abon­ne­ments umzu­set­zen. Ich hal­te Ers­te­res für frag­lich und Letz­te­res nicht für ausgeschlossen.

Die ame­ri­ka­ni­schen Wein­trin­ker sehen in Par­ker einen Verbraucherschutz-Anwalt, der sie davor bewahrt, zu viel Geld für mit­tel­mä­ßi­ge Wei­ne aus­zu­ge­ben. Für vie­le wird der Wech­sel der Eigen­tums­ver­hält­nis­se und die Ver­la­ge­rung des Schwer­punkts der Publi­ka­ti­on nach Asi­en die Glaub­wür­dig­keit ihres „Anwalts“ erschüttern.

Asi­en dage­gen braucht drin­gend einen „Anwalt“. Die Kennt­nis­se über Wein sind noch rudi­men­tär, und der Wunsch nach west­li­chem Life­style ist stark. Das geo­gra­fi­sche Her­an­rü­cken der Publi­ka­ti­on an den asia­ti­schen Markt und die Instal­lie­rung eines eige­nen Kor­re­spon­den­ten für Wei­ne aus Chi­na & Co. wer­den das Gefühl in Asi­en ver­stär­ken, gleich­wer­ti­ger Teil des Welt­mark­tes zu sein.

Mög­li­cher­wei­se wird, so wird in ein­schlä­gi­gen Krei­sen ver­mu­tet, der künf­ti­ge Erfolg des Wine Advo­ca­te davon abhän­gen, wie asia­ti­schen Wei­ne bewer­tet wer­den, etwa die aus den neu­en chi­ne­si­schen Kel­le­rei­en Chan­gyu Pio­neer Wine, Cha­teau Bolong­bao oder Grace Viney­ards. Erhal­ten sie im Wine Advo­ca­te 90 und mehr Punk­te, wer­den die Ame­ri­ka­ner den News­let­ter abbe­stel­len. Lie­gen sie um 84 Punk­te, wer­den sich die Chi­ne­sen belei­digt abwenden.

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