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Subskription Bordeaux 2010: Der große Frust geht um

Négoçiants und Weinhändler sind sich weitgehend einig: Die Premiers Crus können fast jeden Preis nehmen – sie werden immer gekauft. Alle acht Premiers wissen um ihr Charisma. Alle acht haben ihre Preise für den 2010er Jahrgang auf einem bereits extrem hohen Niveau noch einmal erhöht – und teilweise spektakulär: Latour + 30%, Cheval Blanc + 21%, Haut Brion + 20%.

Aber was ist mit anderen klassifizierten Châteaux? Den weniger berühmten der  Möchtegern-Berühmten? Sie können, darin sind sich die Experten ebenfalls einig, nicht mit den Preisen jonglieren wie die Premiers. Trotzdem scheint es, dass es sich in deren Windschatten gut segeln lässt. Denn die meisten haben ihre Preise ebenfalls mutig erhöht, am höchsten Smith Haut Lafitte (+48%), Pavie Macquin (+60%), L’Eglise Clinet (+104%).

Segeln im Windschatten der Premiers

Londoner Fine Wine Index Liv-exDie meisten sind durchgekommen, aber nicht alle. Rauzan-Ségla, ein zweitklassifizierter Margaux, hatte seinen Preis gegenüber dem Jahrgang 2009 von 60 auf 84 Euro pro Flasche angehoben, obwohl die Bewertungen der meisten Kritiker niedriger waren als 2009. Der Bordelaiser Négoçiant Barrière Frères verkündete daraufhin offen und öffentlich, er werde Rauzan-Ségla dieses Jahr nicht anbieten. Der Preis sei „lächerlich“.

Eine klare Ansage, die ihre Wirkung nicht verfehlt hat

Cos d'EstournelCos d’Estournel, ein anderes zweitklassifiziertes Château, das 2009 seine Preise massiv erhöht hatte, steckte dieses Jahr zurück und kam in seiner ersten Tranche mit einem um knapp sechs Prozent niedrigeren Preis heraus. Cos wurde bei Parker in 2010 nur mit „bescheidenen“ 95-97 Punkten gerankt, während Ducru Beaucaillou, für nahezu alle Kritiker einer der Highflyer in 2010 (Parker: 96-98+), nur 150 Euro verlangte – fast 17 Prozent weniger als 2009. Warum also Cos kaufen?

Cos d’Estournel verkauft sich zäh

Cos sei ein angesehener Brand, argumentieren die Händler, die sich wie gewohnt mit dem Wein eingedeckt haben. Das Château mit seinen Pagodentürmchen rühre speziell an die Gefühle der Asiaten. Aber der Preis von Cos d’Estournel sei in den letzten Jahren von 80 auf 200 Euro gestiegen, gaben die Skeptiker zu bedenken. Und: Sechs Prozent unter Vorjahresniveau – „das ist zu wenig“. Sie scheinen im Moment die Käuferseele besser zu kennen: Cos 2010 verkauft sich zäh.

Etikett Léoville Las CasesDer erste Release-Preis von Léoville-Las-Cases, ebenfalls einer der Super Seconds, liegt immerhin 11 Prozent unter Vorjahresniveau. Doch dieser Super Second, direkt neben Latour gelegen und mit einem durchschnittlichen Rebstockalter wie der Nachbar vor 20 Jahren, befindet sich noch in Familienbesitz. Trotz hoher Bewertungen (Parker: 96-98) scheint man hier den Vorsatz, die traditionellen Kunden und Märkte nicht preiszugeben , ernst zu nehmen.

Anders als Pichon Lalande, das seit 2007 zum Champagnerhaus Roederer gehört und den Preis für seinen 2010er forsch um zehn Prozent auf 138 Euro angehoben hat. Und das, obwohl sich die Begeisterung der Kritiker (wie schon beim 2009er) in Grenzen hielt (Parker: 92-95 Punkte).

Pichon Baron überflügelt Pichon Lalande

Chateau Pichon BaronPichon Baron, zum Immobilienbesitz der AXA-Versicherungsgruppe gehörend und einer von Parkers Top-Favoriten (Parker: 97-99+), hat in 2010 endlich die Chance gesehen, zum ungeliebten Mitbewerber preislich aufzuschließen. Sein Wein ist zwar um sagenhafte 47 Prozent teurer geworden, war aber mit 132 Euro immer noch niedriger als die Comtesse. Allerdings hat sich, kaum dass der Wein auf dem Markt war, das Blatt schnell gewendet. Die Nachfrage nach ihm ist deutlich stärker als für Pichon Lalande. Der Baron kostet rund 220 Euro, während die Comtesse für 185 Euro zu haben ist (Nettopreise).

Es gibt also Anzeichen dafür, dass mit Preisen nicht beliebig gespielt werden kann – erstmals übrigens auch bei einem Premier: Cheval Blanc. Das im Besitz des Luxuskonzern LVMH befindliche Château liegt (mit 96-98+ bei Parker) bewertungsmäßig deutlich hinter den anderen Premiers, sogar hinter Pontet-Canet, kam aber mit dem höchsten Preis aller Premiers heraus (850 Euro). Kopfschütteln bei den Londoner Brokern: „Total sprachlos“ meldete sich Simon Staples über Twitter zu Wort, der Sales und Marketing Director des Londoner Brokers Berry Bros. & Rudd. „Wer seinen Wein für 700 Euro nicht verkauft, kann natürlich versuchen, ihn für 850 zu begraben.“
Auch beim Londoner Fine Wine Index Liv-ex, eine Art Dax für Weine, ist man schockiert: „Den 2010 Cheval Blanc zu verkaufen, wird schwer.“

Ausweg: ausgewählte kleine Châteaux

Chateau Pichon ComtesseMit ihren Preiserhöhungen haben sich fast alle klassifizierten Châteaux für traditionelle Bordeauxtrinker uninteressant gemacht, jedenfalls für solche, denen der Markt der großen spanischen, italienischen, kalifornischen und Rhôneweine offen steht. Zumal selbst da, wo derzeit noch ein Minuszeichen vor dem Preis steht, man berücksichtigen muss, dass der Preis nur für die erste Tranche gilt – und die war in diesem Jahr meistens klein.

Bei jenen Châteaux, die bereits mit einer zweiten oder dritten Tranche auf dem Markt sind, zeigt sich, dass sich die Preise sich im Aufwind befinden. Das lässt im Moment den klaren Schluss zu: Die Klassifizierten werden noch teurer. Wer dennoch auf Bordeaux konditioniert ist, muss sein Portemonnaie noch weiter aufmachen oder sich auf ausgewählte Médoc AC oder Cru Bourgeois konzentrieren, die in 2010 teilweise Qualitäten aufweisen, bei denen der Unterschied zu formal höherrangigen Wein nicht erkennbar ist.

Sicher, man kann stock picking betreiben und versuchen, Rosinen aus dem Kuchen zu holen. Etwa den zwar preislich stark gestiegenen, aber grandiosen und möglicherweise von den Premiers nicht weit entfernten Pontet Canet ordern (falls man ein paar Fläschlein von ihm bekommt). Oder sich auf Lynch Bages, Boyd Cantenac, Haut Bailly konzentrieren. Doch wer ältere Jahrgänge dieser Weine im Keller hat, wird sich schwer tun, plötzlich das Doppelte für sie zu zahlen.

Teure Zweitweine

Etikett Pontet CanetNatürlich kann man sich auch auf die Zweitweine der großen Châteaux stürzen. Zwar haben gerade sie die größten Preissprünge gemacht. Aber unter denen, die verkosten konnten, herrscht Einigkeit, dass speziell Pavillon Rouge, aber auch Les Forts de Latour und Petit Mouton heute qualitativ da sind, wo die Premiers vor 20 Jahren waren. Trotzdem: Wer bislang regelmäßig Margaux kaufte, hat keine Lust auf Zweitweine, wie gut sie auch seien.

Entsprechend gering ist das Kaufinteresse im Moment in den traditionellen Märkten. Europäische und amerikanische Bordeauxtrinker erinnern sich noch genau, dass es für den Preis einer Flasche 2010er Margaux vor 15 Jahren eine ganze Kiste dieses Weins zu kaufen gab. Vielen von ihnen ist die Lust vergangen, das Bordeaux-Roulette weiterzuspielen. Und mit einer oder zwei Flaschen können sie vielleicht ihren Keller dekorieren, aber nicht mehr nach dem Grundsatz leben: Wer hart arbeitet, muss auch hart feiern dürfen.

In den USA, dem bislang größten Markt für Bordeauxweine, ist das Kaufinteresse jedenfalls stark gesunken (was sicher auch mit der miesen Wirtschaftslage und dem niedrigen Dollar zu tun hat). Aber auch in England werden die Bordeaux-Preise langsam als prohibitiv empfunden. Selbst wenn manch Händler von einer „robusten Nachfrage“ spricht – das Statement gilt nur für die Mengen, die von den klassifizierten Gewächsen zugeteilt wurden. Das gilt erst recht für Deutschland. Wenn C&D in Köln auf ihrer Subskriptionswebsite mitteilt, dass vom Pichon Baron „nur noch fünf Flaschen“ vorrätig seien, zeigt das, dass von den großen Namen Einzelflaschen verkauft werden, keine Kisten wie früher.

Der große Durst der Chinesen

Natürlich hat der Preishype mit der Erweiterung des Bordeauxmarktes zu tun, speziell nach Hongkong. Und dort herrschen andere Spielregeln. „Um die Frage nach überhöhten Bordeaux-Preisen zu diskutieren, muss man sie in den richtigen Kontext stellen“ moniert der in London lebende Australier Jackson Taylor in seinem Newsletter Wine Yields. Und der chinesische Kontext sieht so aus:

Etikett Chateau Ducru-BeaucaillouWer in der Lage ist, seiner Freundin Pumps von Jimmy Choo für 950 Euro zu schenken, legt gern noch 200 Euro für eine Flasche Latour drauf. Wer 50.000 Euro für das Eingangsmodell eines Porsche Boxter hinblättert, diskutiert nicht lange, ob eine Kiste Lafite 14.000 oder 16.000 Euro kostet. Wer im Londoner Stadtteil Chelsea ein 3-Zimmer-Cottage für 4 Millionen Euro kauft, wird an der Möblierung nicht sparen, Weinkeller eingeschlossen.

Wohlgemerkt: Taylor ist ein Margaux-Liebhaber. Er trauert um die hohen Preise für seinen Lieblingswein. Falsch liegt er mit seiner Kontext-Theorie nicht. Die Financial Times warb in ihrer Ausgabe vom 1. Juni ebenfalls um Verständnis für die Chinesen: „Der Weinmarkt in China ist erst zehn Jahre alt … Die Preise sind Teil der Wachstumsphase.“ Dass die Chinesen sich erst herantasten müssen an den berühmten, fremden Wein, will die Londoner Finanzzeitung gern konzedieren. Ihrer Meinung nach haben die Chinesen allerdings einen Vorteil gegenüber vielen Bordeauxtrinkern in Europa: „Sie kaufen, um zu trinken und zu sammeln, nicht um wiederzuverkaufen.“ Und: „Der Durst der Chinesen ist noch nicht befriedigt.“

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Autor

Jens Priewe
Jens Priewe hat viele Jahre als Politik- und Wirtschaftsjournalist gearbeitet, bevor er auf das Thema Wein umsattelte. Er schreibt Kolumnen für den Feinschmecker und für das schweizerische Weinmagazin Merum. Für den Weinkenner, dessen Gesellschafter er ist, hat er seit der Gründung über 200 Artikel beigesteuert. Außerdem ist er Verfasser mehrerer erfolgreicher Weinbücher (u. a. „Wein – die grosse Schule“, „Grundkurs Wein“). Er stammt aus Schleswig-Holstein, lebt aber seit fast 40 Jahren in München.

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