Stuart Pigott: Das Buch zur TV-Serie „Weinwunder Deutschland“

Buchcover "Weinwunder Deutschland" von Stuart Pigott
Am 25. Dezember startet das Bayerische Fernsehen unter dem Titel „Weinwunder Deutschland“ eine sechsteilige Serie mit Stuart Pigott in der Hauptrolle. Der englische Weinjournalist im großkarierten Anzug, der seit über 20 Jahren in Berlin lebt, ist der beste Rieslingkenner der Welt und selbst nicht unerheblich am „Weinwunder“ Schuld. Das Buch zur Serie ist bereits erschienen. Jens Priewe hat es sich angeschaut.

Das Baye­ri­sche Fern­se­hen hat sich zu Weih­nach­ten etwas ein­fal­len las­sen. Statt Krip­pen­ro­man­tik, Zither­spiel und Win­ter­im­pres­sio­nen zwi­schen Spes­sart und Kar­wen­del wird das The­ma Wein auf die Matt­schei­be gebracht. Das ver­dient schon mal Lob. Und da Wein kein son­der­lich Fernseh-affines Sujet ist, haben sich die Mün­che­ner klu­ger­wei­se der Diens­te eines Men­schen bedient, der einer­seits viel vom Wein ver­steht, ande­rer­seits komisch genug ist, um auch alko­ho­lisch Min­der­in­ter­es­sier­te zum Zuschau­en zu bewegen.

Der Mensch heißt Stuart Pigott. Er lebt seit über 20 Jah­ren in Ber­lin, ist Wein­jour­na­list, Wein­buch­au­tor und der wohl bes­te Ries­ling­ken­ner der Welt. Er hat einen eng­li­schen Pass (aber weder einen eng­li­schen noch einen deut­schen Füh­rer­schein), einen eng­li­schen Akzent, einen eng­li­schen Humor und eine gewis­se, bei Eng­län­dern oft anzu­tref­fen­de Exzentrik.

Der beken­nen­de Müller-Thurgau-Fan hat Deutsch­land mit der Bahn bereist und im groß­ka­rier­ten Anzug, sei­nem Erken­nungs­zei­chen, alle mög­li­chen gefähr­li­chen Steil­la­gen erklom­men – die BR-Kamera immer an sei­nen Fer­sen. Und da der Wun­der­glau­be in Bay­ern noch immer weit ver­brei­tet ist, heißt die Serie „Wein­wun­der Deutsch­land“. Sie besteht aus 6 Tei­len und wird jeweils nach­mit­tags um 16.30 Uhr ausgestrahlt.

Hier die Sendetermine

25. Dezem­ber, 16.30 Uhr: Die Riesling-Renaissance
26. Dezem­ber, 16.30 Uhr: Die Rotwein-Revolution
31. Dezem­ber, 16.30 Uhr: Guter Wein in rau­en Mengen?
1. Janu­ar, 16.30 Uhr: Die Ökowein-Welle
2. Janu­ar, 16.30 Uhr: Jun­ge Wil­de im Wein
6. Janu­ar, 16.30 Uhr: Süß­wein – ein Herbstmärchen?

Stuart PigottDas Buch zur Serie – es heißt eben­falls „Wein­wun­der Deutsch­land“ – gibt es schon ein paar Tage eher. In ihm berich­tet Pigott über sei­ne Begeg­nun­gen mit deut­schen Win­zern, über deren Bot­schaf­ten, deren Ein­fluss, deren Wer­de­gang, deren Marot­ten. Er tut das in der ihm eige­nen Erleb­nis­spra­che, ein­fach, anschau­lich, schnör­kel­los, manch­mal zum Schmun­zeln, bis­wei­len komisch, immer authentisch.

Bei Rein­hard Löwen­stein, dem „Mar­tin Luther des Wein­baus“, lässt er sich mit dem Mono­rack den Steil­hang hoch­zie­hen. In der „Trollinger-Republik“ Würt­tem­berg erscheint er samt Roll­kof­fer im Hof bei Gerd Aldin­ger, wäh­rend die­ser gera­de sei­nen Mer­lot kel­tert. Mit Mei­ke Meyer-Näkel übt er „Wein­berg­stei­gen“ im Ahrtal. Mit Fritz Kel­ler speist er in des­sen Sterne-Restaurant Schwar­zer Adler und trinkt zum Essen des­sen ALDI-Spätburgunder. Bei den Jun­gen Schwa­ben, einem Winzer-Freundeskreis, die ihm „eine Ladung Wein auf den Tisch packen“, holt er sich einen dicken Kopf.

Vom Ham­bur­ger Schnäpp­chen­händ­ler Gerd Rind­chen lässt er sich in einem PS-schwachen VW-Bus an die Mosel chauf­fie­ren, von Uwe Lütz­ken­dorf aus dem Saale-Unstrut-Gebiet die rich­ti­ge Gewürz­mi­schung für die Thü­rin­ger Brat­wurst erklä­ren. Pigott beschreibt, wie die zar­te Eva Fri­cke vom Rhein­gau­er Wein­gut Leitz sein schwe­res Gepäck leicht­hän­dig in ihrem Gelän­de­wa­gen ver­staut und ihn über­re­det, anschlie­ßend zum Selig­ma­cher zu fah­ren, was ein beson­ders stei­ler Wein­berg im Rhein­tal bei Lorch ist.

So authen­tisch das alles ist – es wird Kri­ti­ker geben, die Pigotts Buch als zu sub­jek­tiv, zu selek­tiv, zu episch geschrie­ben emp­fin­den. In einem gewis­sen Sin­ne haben sie Recht. Pigotts Bewun­de­rung für die Wei­ne und die Men­schen, die sie erzeu­gen, lässt die Leser glau­ben, Deutsch­land sei tat­säch­lich ein Wun­der­land des Weins. Über den trau­ri­gen Teil die­ses Lan­des erfährt man in sei­nem Buch wenig: über Win­zer, die nichts von Reben, geschwei­ge denn von Wein ver­ste­hen, ihn aber trotz­dem erzeu­gen. Über die Rübe­nä­cker, auf denen Reben ange­baut wer­den. Über die Rück­stän­dig­keit vie­ler Win­zer­be­trie­be im Ver­gleich zur inter­na­tio­na­len Kon­kur­renz. Über die Mas­sen von deut­schem Wein, der noch nicht ein­mal Coca-Cola-Niveau erreicht.

Aber „Wein­wun­der Deutsch­land“ ist kein Buch, das jeden Win­kel die­ses Wein­lands aus­leuch­ten und jede Facet­te wür­di­gen will. Es zeigt die erfreu­li­chen Sei­ten des Lan­des, berich­tet von heroi­schen Leis­tun­gen sei­ner bes­ten Win­zer. Eigent­lich wider­legt Pigott den Titel des Buches, indem er klar macht, dass das „Wein­wun­der Deutsch­land“ aus Mut, Anstren­gung und kla­rem Ver­stand besteht – und aus nichts anderem.

„Wein­wun­der Deutsch­land“ ist im Ich-Stil geschrie­ben. Der Autor berich­tet, was er sieht, was er hört, was er schmeckt. Er ver­gibt kei­ne Punk­te. Aber er sagt sei­ne Mei­nung. Das ist legi­tim und macht, dass sein Buch so erfri­schend unkom­pli­ziert zu lesen ist.

Doch das Buch bie­tet mehr. Hin­ter den schein­bar zufäl­li­gen Bege­ben­hei­ten, die Pigott beschreibt, steht eine Ord­nung, eine Sys­te­ma­tik. Da geht es um jene Din­ge, die sei­ner Mei­nung nach für den Wie­der­auf­stieg Deutsch­lands zur respek­tier­ten Wein­na­ti­on ver­ant­wort­lich sind oder waren: um die „Renais­sance des Ries­ling“, um „gute und kit­schi­ge Süß­wei­ne“, um die „Rotwein-Revolution“, um den „Öko­wahn­sinn“, um den „Auf­bau Wein-Ost“, um die „Quer­ein­stei­ger“, die für all die­se Din­ge stehen.

So ist „Wein­wun­der Deutsch­land“ nicht nur eine belie­bi­ge Erleb­nis­rei­se. Am Ende ergibt sich ein kom­ple­xe­res, wenn auch nicht voll­stän­di­ges Bild unse­res merk­wür­dig gespal­te­nen Wein­lan­des. Wäre noch Zeit gewe­sen, einen Index hin­ten dran zu hän­gen, wür­de es dem Leser etwas leich­ter fal­len, sich in die­sem Wein-Deutschland zurechtzufinden.

Buchcover Stuart Pigott: Wein­wun­der Deutschland
280 Sei­ten
Tre Tor­ri Ver­lag, Wiesbaden
ISBN: 978-3-941641-37-2
€ 29,90 (Deutsch­land)
€ 30,50 (Öster­reich)
SFR 49,50 (Schweiz)

Kommentar hinzufügen

Antwort schreiben