Das Bayerische Fernsehen hat sich zu Weihnachten etwas einfallen lassen. Statt Krippenromantik, Zitherspiel und Winterimpressionen zwischen Spessart und Karwendel wird das Thema Wein auf die Mattscheibe gebracht. Das verdient schon mal Lob. Und da Wein kein sonderlich Fernseh-affines Sujet ist, haben sich die Münchener klugerweise der Dienste eines Menschen bedient, der einerseits viel vom Wein versteht, andererseits komisch genug ist, um auch alkoholisch Minderinteressierte zum Zuschauen zu bewegen.
Der Mensch heißt Stuart Pigott. Er lebt seit über 20 Jahren in Berlin, ist Weinjournalist, Weinbuchautor und der wohl beste Rieslingkenner der Welt. Er hat einen englischen Pass (aber weder einen englischen noch einen deutschen Führerschein), einen englischen Akzent, einen englischen Humor und eine gewisse, bei Engländern oft anzutreffende Exzentrik.
Der bekennende Müller-Thurgau-Fan hat Deutschland mit der Bahn bereist und im großkarierten Anzug, seinem Erkennungszeichen, alle möglichen gefährlichen Steillagen erklommen – die BR-Kamera immer an seinen Fersen. Und da der Wunderglaube in Bayern noch immer weit verbreitet ist, heißt die Serie „Weinwunder Deutschland“. Sie besteht aus 6 Teilen und wird jeweils nachmittags um 16.30 Uhr ausgestrahlt.
Hier die Sendetermine
25. Dezember, 16.30 Uhr: Die Riesling-Renaissance
26. Dezember, 16.30 Uhr: Die Rotwein-Revolution
31. Dezember, 16.30 Uhr: Guter Wein in rauen Mengen?
1. Januar, 16.30 Uhr: Die Ökowein-Welle
2. Januar, 16.30 Uhr: Junge Wilde im Wein
6. Januar, 16.30 Uhr: Süßwein – ein Herbstmärchen?
Das Buch zur Serie – es heißt ebenfalls „Weinwunder Deutschland“ – gibt es schon ein paar Tage eher. In ihm berichtet Pigott über seine Begegnungen mit deutschen Winzern, über deren Botschaften, deren Einfluss, deren Werdegang, deren Marotten. Er tut das in der ihm eigenen Erlebnissprache, einfach, anschaulich, schnörkellos, manchmal zum Schmunzeln, bisweilen komisch, immer authentisch.
Bei Reinhard Löwenstein, dem „Martin Luther des Weinbaus“, lässt er sich mit dem Monorack den Steilhang hochziehen. In der „Trollinger-Republik“ Württemberg erscheint er samt Rollkoffer im Hof bei Gerd Aldinger, während dieser gerade seinen Merlot keltert. Mit Meike Meyer-Näkel übt er „Weinbergsteigen“ im Ahrtal. Mit Fritz Keller speist er in dessen Sterne-Restaurant Schwarzer Adler und trinkt zum Essen dessen ALDI-Spätburgunder. Bei den Jungen Schwaben, einem Winzer-Freundeskreis, die ihm „eine Ladung Wein auf den Tisch packen“, holt er sich einen dicken Kopf.
Vom Hamburger Schnäppchenhändler Gerd Rindchen lässt er sich in einem PS-schwachen VW-Bus an die Mosel chauffieren, von Uwe Lützkendorf aus dem Saale-Unstrut-Gebiet die richtige Gewürzmischung für die Thüringer Bratwurst erklären. Pigott beschreibt, wie die zarte Eva Fricke vom Rheingauer Weingut Leitz sein schweres Gepäck leichthändig in ihrem Geländewagen verstaut und ihn überredet, anschließend zum Seligmacher zu fahren, was ein besonders steiler Weinberg im Rheintal bei Lorch ist.
So authentisch das alles ist – es wird Kritiker geben, die Pigotts Buch als zu subjektiv, zu selektiv, zu episch geschrieben empfinden. In einem gewissen Sinne haben sie Recht. Pigotts Bewunderung für die Weine und die Menschen, die sie erzeugen, lässt die Leser glauben, Deutschland sei tatsächlich ein Wunderland des Weins. Über den traurigen Teil dieses Landes erfährt man in seinem Buch wenig: über Winzer, die nichts von Reben, geschweige denn von Wein verstehen, ihn aber trotzdem erzeugen. Über die Rübenäcker, auf denen Reben angebaut werden. Über die Rückständigkeit vieler Winzerbetriebe im Vergleich zur internationalen Konkurrenz. Über die Massen von deutschem Wein, der noch nicht einmal Coca-Cola-Niveau erreicht.
Aber „Weinwunder Deutschland“ ist kein Buch, das jeden Winkel dieses Weinlands ausleuchten und jede Facette würdigen will. Es zeigt die erfreulichen Seiten des Landes, berichtet von heroischen Leistungen seiner besten Winzer. Eigentlich widerlegt Pigott den Titel des Buches, indem er klar macht, dass das „Weinwunder Deutschland“ aus Mut, Anstrengung und klarem Verstand besteht – und aus nichts anderem.
„Weinwunder Deutschland“ ist im Ich-Stil geschrieben. Der Autor berichtet, was er sieht, was er hört, was er schmeckt. Er vergibt keine Punkte. Aber er sagt seine Meinung. Das ist legitim und macht, dass sein Buch so erfrischend unkompliziert zu lesen ist.
Doch das Buch bietet mehr. Hinter den scheinbar zufälligen Begebenheiten, die Pigott beschreibt, steht eine Ordnung, eine Systematik. Da geht es um jene Dinge, die seiner Meinung nach für den Wiederaufstieg Deutschlands zur respektierten Weinnation verantwortlich sind oder waren: um die „Renaissance des Riesling“, um „gute und kitschige Süßweine“, um die „Rotwein-Revolution“, um den „Ökowahnsinn“, um den „Aufbau Wein-Ost“, um die „Quereinsteiger“, die für all diese Dinge stehen.
So ist „Weinwunder Deutschland“ nicht nur eine beliebige Erlebnisreise. Am Ende ergibt sich ein komplexeres, wenn auch nicht vollständiges Bild unseres merkwürdig gespaltenen Weinlandes. Wäre noch Zeit gewesen, einen Index hinten dran zu hängen, würde es dem Leser etwas leichter fallen, sich in diesem Wein-Deutschland zurechtzufinden.
Stuart Pigott: Weinwunder Deutschland
280 Seiten
Tre Torri Verlag, Wiesbaden
ISBN: 978-3-941641-37-2
€ 29,90 (Deutschland)
€ 30,50 (Österreich)
SFR 49,50 (Schweiz)