Sicher, das Glas ist maschinell gefertigt. Nicht mundgeblasen. Der Kelch ist dünnwandig, aber nicht ganz so dünn wie bei anderen Gläsern. Auch der Stiel ist etwas dicker als bei dem einen oder anderen Luxusglas.
Aber der Trinkrand ist genauso fein geschliffen, und auch bei den restlichen Eigenschaften unterscheidet es sich nicht gravierend von den fünf- bis zehnmal so teuren Gläsern der Nobelhersteller: das Bordeauxglas „Experience“ des Lausitzer Glasherstellers Stölzle.
Besser als manches „Dickschiff“ der Branche
Bei einem umfangreichen Gläsertest, den die Zeitschrift stern vor vier Jahren durchgeführt hat, hatte das namenlose Glas aus der Lausitz einen Großteil der berühmteren Konkurrenz hinter sich gelassen. Es belegte den 3. Platz in der Kategorie Bordeaux – vor „Dickschiffen“ der Branche wie Riedel, Orrefors, Lobmeyr, Eisch, Leonardo zum Beispiel. Nur das Glas der österreichischen Glasmanufaktur Zalto und das von Zwiesel Kristallglas schnitten besser ab – beides Gläser, die um die 30 Euro pro Stück kosten. Der Stölzle-Kelch dagegen kostet um die sechs Euro.
Der Gläsertest hatte damals wie eine Bombe eingeschlagen. Bislang galten die bahnbrechenden, aber eben auch sündhaft teuren Riedel-Gläser als das Non-Plus-Ultra des anspruchsvollen Weintrinkers und als ein Must für viele Restaurantbesitzer. Jetzt zeigte sich, dass die Produkte der in Kufstein ansässigen Glashütte Konkurrenz bekommen haben – mächtige Konkurrenz.
Mit Augenbinde und Gazehandschuhen
Gewicht erhielten die Testergebnisse damals vor allem durch den Umstand, dass die Firmeninhaber und Repräsentanten der einzelnen Glashütten persönlich anwesend waren und zusammen mit bekannten Sommeliers und Fachjournalisten in der Jury saßen. Mit einer Binde vor den Augen hatten sie selbst die Gläser getestet und bepunktet. Damit sie ihre eigenen Gläser nicht am Stiel ertasten können, waren ihnen extra weiße Gazehandschuhe angelegt worden. Ein Amtsrichter beaufsichtigte die ganze Prozedur.
Inzwischen ist der Test vergessen. Aber seine Wirkung hat er getan. Unter Kennern gelten inzwischen die leichten, hauchdünnen Zalto-Gläser als die besten der Welt. Zalto hatte sowohl in der Kategorie Riesling als auch bei Burgundern und Bordeaux den Sieger gestellt (in diesen drei Kategorien waren die Gläser getestet worden). „Die Konkurrenz hat stark aufgeholt“, musste Georg Riedel eingestehen, dessen Vater einst die Eckpfeiler für die moderne Weinglas-Philosophie formulierte hatte.
„Achtbare Punktzahlen in allen Kategorien“
Auch Stölzle hat von dem Hamburger Gläsertest profitiert, zumal die anderen Gläser der Stölzle-Serie „Experience“ ebenfalls gut abschnitten: „Betrachtet man das Verhältnis von Preis zu Punkten, liegt Stölzle vorn“, resümierte der stern. „Mit achtbaren Punktzahlen in allen Kategorien und Preisen unter sieben Euro sind sie am günstigsten.“
Bordeauxglas, Burgunderglas, Rotweinkelch, Sektkelch, Süßweinkelch, Weißweinglas und Weißweinkelch (v.l.) des Lausitzer Herstellers StölzleWer das neue Jahr mit einen guten Vorsatz beginnen will, sollte also seine Ikea-Rollrandgläser beziehungsweise seinen ganzen Pressglasschrott sofort zum Glascontainer fahren und schwören, Wein künftig nur aus guten Gläsern zu trinken. Der Unterschied ist enorm, und am Anfang reichen ein Rotwein- und ein Weißweinglas aus.
Zugleich sollte er wissen, dass Weingenuss nicht erst bei mundgeblasenen Gläsern für 30 Euro und mehr beginnt, sondern auch schon für weniger Geld zu haben ist. Wer im Internet googelt, findet die Stölzle-Gläser sogar schon für unter sechs Euro. Der einzige Nachteil: Es gibt sie nur im Sixpack. Oder ist das gar kein Nachteil?