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Steht GG bald für „Große Gurke“?

Nach der neuen Weinverordnung darf jeder Erzeuger seine Weine (nahezu) beliebig als Großes Gewächs in Verkehr bringen. Der VDP ist verärgert und denkt über einen Gegenschlag nach.

Ab 1. September dürfen die Mitglieder des Verbands Deutscher Prädikatsweingüter (VDP) ihre Großen Gewächse des Jahrgangs 2023 anbieten. Die Weine werden heiß begehrt. Weinfreunde, Händler, Gastronomen im In- und Ausland warten sehnsüchtig auf die Ankunft der edlen Tropfen. Denn die Großen Gewächse, abgekürzt GG, sind Deutschlands beste trockene Weine: die Spitzen von Riesling, Weißburgunder, Grauburgunder, Silvaner, Spätburgunder. Sie stammen aus den besten Lagen des Landes und müssen höchsten qualitativen Ansprüchen genügen. So sieht es das Regelwerk des VDP vor. 

Der Begriff „Großes Gewächs“ ist nicht schützbar

Allerdings hat der VDP, als er das GG im Jahre 2001 einführte, einen Fehler gemacht. Der Begriff Großes Gewächs ist nicht schützbar. Und der VDP repräsentiert als Eliteclub der deutschen Winzer gerade mal 200 Weingüter. Das sind etwa 5 Prozent der Winzerschaft. Nun pocht der Rest der Winzer, die nicht im VDP organisiert sind, darauf, ihre Weine auch als Große Gewächse labeln zu dürfen, und zwar ohne die beim VPD geltenden Qualitätskriterien. Von Gesetz vorgeschrieben sind nur Handlese und eine Ertragsreduzierung auf maximal 50 Hektoliter. Ein Herkunftsnachweis – das Herzstück der VDP-Statuten – ist nicht erforderlich. Die pfälzische Großkellerei Trautwein, die badische Genossenschaft Hex vom Dasenstein, die Winzer Sommerach aus Franken, das kleine Weingut Schmitt Erben von der Mosel – sie alle warten plötzlich mit Großen Gewächsen auf, ohne dass, dass sichergestellt ist, dass die Trauben aus klassifizierten, präzis parzellierten Spitzenlagen kommen. Eine Änderung des Paragrafen 32 b der Weinverordnung hat es möglich gemacht.

VDP-Präsident Steffen Christmann © Peter Bender
VDP-Präsident Steffen Christmann © Peter Bender

Jeder Wald- und Wiesenwein kann sich jetzt theoretisch Großes Gewächs nennen

Die regionalen Weinbauverbände, die alle Winzer vertreten, auch die Nicht-VDP-Mitglieder, wehren sich seit Jahren schon gegen die Vereinnahmung des Begriffs „Großes Gewächs“ durch den VDP. Entsprechend verärgert ist jetzt der Elite-Verband. „Wir haben das GG eingeführt, es mit Leben erfüllt, zu einer im In- und Ausland bekannten Marke für deutsche Spitzenerzeugnisse gemacht, und nun soll sich jeder Murkswein auch Großes Gewächs nennen dürfen“, kritisiert Steffen Christmann, Präsident des VDP, die Entscheidung. Bei der Abstimmung im Bundesrat haben Länder wie Schleswig-Holstein, Mecklenburg-Vorpommern, Hamburg und andere für die Öffnung des Begriffs GG gestimmt – alles Nicht-Weinbauländer. Gegen die Weinbauländer Baden-Württemberg, Bayern und Rheinland-Pfalz.

Ist Klassifikation der Lagen eine Lösung?

Nachdem das Kind nun in den Brunnen gefallen ist, sinniert der VDP über Gegenmaßnahmen. Angedacht wird, die VDP-Lagenklassifizierung als Voraussetzung für eine Einstufung als GG oder 1. Gewächs zu machen. Heißt: zu legalisieren. Große Gewächse dürfen dann nur von Großen Lagen kommen, und deren Güte muss objektiv nachprüfbar sein. So ließe sich verhindern, dass jeder Wald- und Wiesenwein ein GG sein darf, wenn der Erzeuger es möchte. Intern arbeitet der VDP bereits an einer solchen, auf Fakten beruhenden Klassifikation. Jede in Frage kommende Lage würde nach einem Tausend-Punkte-Schema bewertet, in das historische, ökonomische und reputative Faktoren eingehen. Etwa: Wie die Weine in den letzten Jahren von der Weinkritik bewertet wurden, welche Preise sie am Markt erzielten, welche geschichtlichen Erwähnungen es gibt – und natürlich, ob der Wein in einer Blindprobe den qualitativen Anforderungen genügt. Dafür sollen Jurys von externen Experten gebildet werden.

In Österreich und im Elsass gibt es eine Klassifikation

In Österreich wird eine solche „objektive“ Klassifikation bereits seit einigen Jahren erfolgreich angewendet, um Gebietsweine, Ortsweine und Lagenweine äußerlich sichtbar voneinander zu unterscheiden. Auch das Elsass hat ein ähnliches Grand Cru-System. Eine solche Klassifikation zu erarbeiten, braucht es aber Zeit. Und wenn sie einmal steht, muss sie von den Verbänden diskutiert und gebilligt werden, bevor der Gesetzgeber sie verabschiedet. Auch der VDP ist nicht in allen seinen Teilen einig, was eine neue Klassifikation angeht.

Last Exit: Große Gurke

Dennoch: Die Tendenz für eine Einigung zwischen den Weinbauverbänden, dem VDP und den Ministerien ist laut Christmann positiv. Aber der Teufel steckt im Detail. Und wenn eine Einigung nicht möglich ist? Wenn die Weinbauverbände mit der Macht der Genossenschaften und Großkellereien, die hinter ihnen stehen, nicht mitspielen? Im VDP gibt es erste Überlegungen dazu. Im schlimmsten Fall könnte man aus dem ganzen weingesetzlichen System aussteigen – ähnlich wie einst die toskanischen Supertuscans. „Wir behalten unsere Klassifikation bei und denken uns für unsere Weinpyramide andere Namen aus“, sagt Christmann. GG, scherzt er, könne dann zum Beispiel für Große Gurke stehen. Den Begriff, ist er sicher, werde niemand klauen. 

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Autor

Jens Priewe
Jens Priewe hat viele Jahre als Politik- und Wirtschaftsjournalist gearbeitet, bevor er auf das Thema Wein umsattelte. Er schreibt Kolumnen für den Feinschmecker und für das schweizerische Weinmagazin Merum. Für den Weinkenner, dessen Gesellschafter er ist, hat er seit der Gründung über 200 Artikel beigesteuert. Außerdem ist er Verfasser mehrerer erfolgreicher Weinbücher (u. a. „Wein – die grosse Schule“, „Grundkurs Wein“). Er stammt aus Schleswig-Holstein, lebt aber seit fast 40 Jahren in München.

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