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Château d’Esclan: Wie schmeckt ein 100-Euro-Rosé?

Das Privileg von Weinjournalisten ist, dass sie häufig bemustert werden. Jede Woche liefert der Paketbote zwei- bis dreimal Weinkartons an meiner Haustür ab. Sie wurden nicht bestellt. Der Inhalt ist als Probewein deklariert.

Mancher Weinjournalist empfindet das Privileg als lästig. Denn die Weine müssen natürlich verkostet und kommentiert werden. Wenn möglich, in den Zeitungen, Zeitschriften oder Online-Medien, für die der Journalist schreibt. Sicher, es gibt schlimmere Jobs. Aber Verkosten ist nicht Trinken, und das Kommentieren kostet Zeit. Hinterher muss das Leergut auch noch entsorgt werden. Das Gute ist, dass der Trinkfluss im Haushalt dieser Berufsgruppe auf diese Weise dauerhaft gewährleistet ist (was bei Journalisten, die oft in ziemlich prekären Verhältnissen leben, nicht ganz unwichtig ist).

Wie in der Wohnhöhle eines Alkoholikers

Flaschenlager in Jens Priewes Büro
Flaschenlager in Jens Priewes Büro

Ich nehme, zugegeben, meinen Job nicht immer so ernst, wie ich es müsste. Ich horte die Probenweine, verschiebe die harte Arbeit des Verkostens und Kommentierens auf morgen. Oder übermorgen. Manchmal auch auf irgendwann. Die Folge: In meinem Büro sieht es aus wie in der Wohnhöhle eines Alkoholikers (siehe aktuelles Foto), mit dem Unterschied, dass dessen Flaschen leer, meine noch unangebrochen sind.

Doch nun zum Anlass dieses Beitrags. Neulich brachte mir der Paketbote einen Karton Wein mit vier Flaschen Rosé. Ohne Rechnung, nur mit einer Karte, auf der von Hand geschrieben stand „Avec mes meillieurs sentiments et bonne dégustation, Sacha.“

Ich kenne keinen Sacha. Und auch den Namen des Weinguts, in dessen Namen mir Sacha schrieb, hatte ich noch nie gehört. Château d’Esclans heißt es und liegt, wie ich herausgoogelte, im Hinterland von St. Tropez. Okay, dachte ich, es ist Sommer, nächste Woche kommen sowieso ein paar Freunde, da wirfst du den Grill an, schmeißt ein paar Tintenfisch-Tuben darauf, beträufelst sie mit Olivenlöl, würzt sie mit Meersalz und schwarzem Pfeffer und stellst die Rosé-Weine dazu, gut gekühlt natürlich.

Keine Weine, wie der Deutsche sich Rosé vorstellt

Château d’EsclansDoch schon wenig später nahm ich Abstand von dem Plan. Denn was Sacha mir geschickt hatte, waren keine leichten, fruchtigen Terrassenweine, erdbeerfarben oder lachsrot, frisch, knackig, Typ Weißherbst – also das, was sich ein deutscher Weintrinker unter Rosé vorstellt. Sachas Weine waren ganz anders. Ich musste nicht einmal die Flaschen öffnen, um das festzustellen.

Einer schimmerte wie Kupfer, zwei andere hatten einen Alkoholgehalt von 14 Vol.%. Der Vierte war so blass, dass seine Farbe eher als Shades of Grey denn als Pink bezeichnet werden könnte. Bevor ich mich ernsthaft mit diesen merkwürdigen Tropfen zu befassen begann, googelte ich erstmal, um herauszukriegen, ob die Weine von Château d’Esclans überhaupt in Deutschland vertreten sind. Sind sie. Das Internet sagte mir auch, dass der einfachste von Sachas Rosés 19 Euro, der teuerste 99,90 Euro kostet.

Schockieren können mich Weinpreise schon lange nicht mehr. Aber ein Rosé für 100 Euro ist mir in den letzten dreißig Jahren noch nicht untergekommen. Vielleicht habe ich einen Trend verschlafen? Oder lebt, wer nicht in regelmäßig in St. Tropez Urlaub macht, hinter dem Mond?

Trend zu höherwertigen Roséweinen

Alte Grenache-RebenLetztere Frage beantworte ich mit einem klaren Nein, erstere mit Ja. Dass Roséweine im Trend liegen, weiß inzwischen zwar jeder. Aber dass es eine Tendenz zu höherwertigen Roséweinen gibt, war mir bisher nicht klar: also zu Weinen, die nach mehr als nur Himbeerbonbon schmecken und mehr als nur Terrassenweine sind. In Südafrankreich verlegen sich immer mehr Weingüter darauf, aus den roten Trauben, die bei ihnen wachsen, elegante Rosés zu erzeugen statt klobige Rotweine, die der Markt nicht braucht. Diese Rosés besitzen zwar die Struktur eines Rotweins, aber den Duft und die Feinheiten eines Weißweins. Der Miraval von Angela Jolie und Bratt Pitt ist ein gutes Beispiel für diese Zwitterwesen. Aber es gibt auch zahlreiche andere Rosés, die eher wie erblasste Rotweine schmecken als wie klassische Rosés. Sie kosten schnell mal 17 Euro und mehr, dafür bieten sie Komplexität, Länge, Entwicklungspotenzial.

Das Château d’Esclans  ist, wie ich nachrecherchiert habe, der wichtigste Repräsentant dieser neuen Rosé-Philosophie. Die internationale Weinkritik reiht seine Weine unter den Rosés der Welt unisono ganz oben ein. In der Spitze werden sie sogar mit den weißen Burgundern verglichen, obwohl diese gar nicht pinkfarben sind. Aber die Farbe ist, wie die Kollegin Caro Maurer neulich in einem Zeitungsbeitrag schrieb, bei dieser Art von Weinen egal. Mit deutschen Weißherbsten und ähnlichen Tröpfchen haben die Esclans-Weine jedenfalls so viel gemein wie eine Hauskätzchen mit einem Bengalischen Tiger. Das habe ich schnell gemerkt, als ich Sachas Flaschen öffnete.

Provence – die Wiege der Rosés

Sacha Lichine
Sacha Lichine

Mit Nachnamen heisst Sacha übrigens Lichine. Bei Bordeauxkennern klickt es: Lichine, das ist der Name eines Grand Cru Classé aus Margaux. Es gehörte einst Sacha. Er  hatte es von seinem Vater geerbt und 1999 verkauft. Mit dem Erlös erwarb er 2004 das Château d’Esclan. Kein schlechter Deal, wenn man das bescheidene alte Château Prieuré-Lichine mit dem neuen vergleicht. Und das Klima ist auch besser in der Provence. Château d’Esclan liegt im Départment Var, wo die meisten Rosés der Provence herkommen. Zu ihm gehören 44 Hektar Weinberge, die vorwiegend mit Grenache-Reben bepflanzt sind – alten und uralten Stöcken. Aus ihnen ist der größte Teil der Rosé-Weine des Château gewonnen. Ergänzt wird die Grenache durch die weiße Vermentino-Traube, die in der Provence „Rolle“ heißt. Dazu kommt meist noch ein kleiner Anteil Tibouren: eine antike Rotweinsorte, die nur noch selten in Südfrankreich anzutreffen ist.

Die Esclans-Rosés sind also – typisch französisch – Cuvées von weißen und roten Weinen. Die Farbe ist, anders als in Deutschland, nicht das Resultat eines kurzen Verweilens auf der Maische. Außerdem sind sie – ebenfalls typisch französisch – durchgegoren. Alte Ladies und junge Spritzz-Trinkerinnen werden mit ihnen nichts anfangen können. Und die Leichtwein-Apostel haben längst vor ihnen Reißaus genommen. Zwischen 13 und sündigen 14 Vol.% liegt ihr Alkoholgehalt.

Die Menschen hinter dem Wein

Patrick Léon
Patrick Léon

Der Önologe, der auf Château d’Esclans für Wein und den Weinstil zuständig ist, heißt Patrick Léon. Ältere Bordeaux-Trinker werden ihn kennen: Léon war jahrerlang Direktor von Chateau Mouton-Rothschild und von Opus One. Sacha hat ihn in die Provence verpflichtet. Zu erwarten, dass Léon seinem Auftraggeber einen süß-säuselnden, leichtfüßigen Rosé liefert, wäre unrealistisch. Soviel zum Hintergrund von Sacha und seinen Rosés. Wie die Weine schmecken und was ich von ihnen halte, habe ich unten beschrieben. Soviel vorweg: Es war eine Rosé-Erfahrung.

Wenn Sie, liebe Besucher dieser Website, meine Kommentare gelesen haben, werden Sie verstehen, dass es manchmal gar nicht lästig ist, bemustert zu werden. Man kommt an Weine, die man nicht kennt und die man, weil preislich oder sonstwie verrückt, nie kaufen würde. Zumindest war das so bei dem Paket von Sacha.


Die Weine


2014 „Whispering Angel“ | Caves d’Esclans2014 „Whispering Angel“, Côtes de Provence Rosé | Château d’Esclans
Der einfachste Rosé des Château, erzeugt aus zugekauften Grenache- und Vermentino-Trauben, wirkt mit seiner blass-pinken Farbe ein wenig anämisch, ist es aber ganz und gar nicht: Die Substanz ist gut mit viel Schmelz und feinen Himbeer- und Pfirsichnoten. Im Edelstahl ausgebaut und zum sofortigen Genuss geeignet.
Bewertung: 87 Punkte
Preis: ca. 20 Euro


2014 „Rock Angel“ | Château d’Esclans2014 „Rock Angel“, Côtes de Provence Rosé | Château d’Esclans
Laut Sacha Lichine die Power-Version des „Whispering Angel“, gewonnen aus skrupulös verlesenen Grenache- und Vermentino-Trauben (15%) aus eigenem Anbau: ein anspruchsvoller, zartblumiger Rosé, der seine Power am Gaumen ausspielt mit seiner Fleischigkeit, Kraft und der feinen Kräuterwürze, die ihn durchzieht. Ein kleiner Teil des Weins wurde im 600-Liter-Holzfass vergoren, ohne dass dies geschmackliche Spuren hinterlassen hat. So einen Wein trinkt man natürlich nicht zu einem Wurstbrot, sondern zu Hummerspaghetti oder – wie Bon Jovi – zu gefüllten Zucchiniblüten.
Bewertung: 89 Punkte
Preis: ca. 25 Euro (in Deutschland nicht erhältlich)


2013 „Les Clans“ | Château d’Esclans2013 „Les Clans“, Côtes de Provence Rosé | Château d’Esclans
Ein üppig strukturierter Wein von pfirsichfarbener Tönung, gewonnen aus Trauben sehr alter Grenache-Stöcke (90%) und alter Vermentino-Reben (30%), gewachsen in den besten Parzellen des Château, ohne Maischestandzeit vergoren in 600-Liter-Fässern aus neuem und einjährigen Holz, danach assembliert und zehn Monate auf der Feinhefe unter ständigem Aufrühren ausgebaut: eher ein verblasster Rotwein als ein klassischer Rosé, wuchtig, schwer, alterungsbeständig, wärmend am Gaumen mit fleischiger Textur, zarten Quitten- und Fenchelnoten mit untergründigem Salzmandelton und einer leichten Holznote. Ich würde diesen Wein nicht vor drei Jahren trinken, und dann zu einem kräftigen Ragout Fin oder einem Rochenflügel servieren.
Bewertung: 92 Punkte
Preis: ca. 55 Euro


2013 „Garrus“ | Château d’Esclans2013 „Garrus“, Côtes de Provence Rosé | Château d’Esclans
Für hundert Euro kriegt man ein Opernticket bei den Salzburger Festspielen. Warum nicht einmal hundert Euro für eine Flasche guten Wein ausgeben? Dieser  „Garrus“ist ein Natureignis, so mitreißend, so opulent, so speziell, wie er ist. Die englische Weinautorin Jancis Robinson nennt ihn den „besten Rosé der Welt“. Dabei hat er mit einem Rosé eigentlich nichts zu tun. Schon die Farbe ist anders: blasses Pink mit kupfergoldenen Reflexen. Außerdem wird er zu 100 Prozent in  neuem Holz ausgebaut mit allem, was dazu gehört: zweimal wöchentlich Bâtonnage und malolaktische Gärung. Der Saft kommt zu 70 Prozent von den ältesten Grenache-Reben des Esclans-Besitzes. Am Ende wurde der Wein mit 30 Prozent Vermentino assembliert. Im Unterschied zum Les Clans ist er dichter und konzentrierter: in der Nase schwerer Blütenduft, vorherrschend Trockenblumen, am Gaumen Bittermandel, getrockenete Pfirsiche, Toffee. Wer Frische sucht, wird von diesem Wein enttäuscht. Dafür prunkt er mit Gewicht und breiten Schultern. Im Moment ist er allerdings uninteressant zu trinken. Sein Versprechen richtet sich auf die Zukunft. Aber auch wenn seine Aromen in ein paar Jahren explodieren werden, wird er vermutlich nicht jedem schmecken. An mitteleuropäischen Weinen geschulte Zungen werden mit Sicherheit die Säure vermissen. Aber das gälte auch für weiße Hermitage, Rioja Blanco oder einige weiße Languedoc-Weine, die dennoch zu den größten Weißweinen der Welt gezählt werden. Sie kompensieren die mangelnde Säure mit mediterraner Aromenfülle. Sacha trinkt den „Garrus“ zu Austern, wie ich gelesen habe. Ich erlaube mir hinzuzufügen: nicht zu kühl und möglichst aus einem  Burgunderglas.
Bewertung: 93 Punkte
Preis: ca. 100 Euro


Die Weine von Château d’Esclans und Caves d’Esclans sind in Deutschland in folgenden Weinhandlungen erhältlich: Edeka Zurheide (Bottrop), weinundco.eu (Meerbusch), Pro Idee (Aachen), Weinschmecker (Grube), Schoemaker (Bremen), VivalaViva – Steffen Krischak Onlinehandel (Hannover), WeinBaule.de (Frankfurt), vicampo.de (Mainz), Käfer Feinkost (München), Guido al Duomo (München), Weinhaus Sabitzer (München), Lederer-Medolago-Albani (Starnberg), Weinhandel Bühler (Kempten)

 

 


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Autor

Jens Priewe
Jens Priewe
Jens Priewe hat viele Jahre als Politik- und Wirtschaftsjournalist gearbeitet, bevor er auf das Thema Wein umsattelte. Er schreibt Kolumnen für den Feinschmecker und für das schweizerische Weinmagazin Merum. Für den Weinkenner, dessen Gesellschafter er ist, hat er seit der Gründung über 200 Artikel beigesteuert. Außerdem ist er Verfasser mehrerer erfolgreicher Weinbücher (u. a. „Wein – die grosse Schule“, „Grundkurs Wein“). Er stammt aus Schleswig-Holstein, lebt aber seit fast 40 Jahren in München.

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